Lauenburg. Zum 30. Juni stellt das Walter-Gerling-Haus seinen Betrieb ein. Auch die Mieter der Betreuten Wohnanlage sollen raus. Doch die wollen sich wehren.

„Zuerst kommt der Mensch“ – so steht es in der Unterzeile des Logos der Awo Pflege Schleswig-Holstein GmbH. Die Bewohner der betreuten Wohnungen im Lauenburger Walter-Gerling-Haus haben einen ganz anderen Eindruck gewonnen. Während einer Mieterversammlung in der vergangenen Woche wurde ihnen mitgeteilt, dass sie in der Wohnanlage nicht mehr gewollt sind. Bis zum 30. Juni dieses Jahres sollen sie ausziehen. Wohin? Das sei ihren überlassen.

Das Walter-Gerling-Haus an der Berliner Straße wurde Anfang der 1970er-Jahre gebaut. Welche baulichen Mängel es mittlerweile gibt, wird aus einem internen Papier vom November vergangenen Jahres deutlich. Der Betrieb des Walter-Gerling-Hauses hätte demnach 2023 ein Defizit von 700.000 Euro ergeben. Grund seien bauliche Mängel und damit verbundene hohe Instandhaltungskosten. Die Awo Pflege empfahl dem Awo Landesverband die Schließung des Pflegeheimes zum 30. Juni.

Mieter bleiben sich selbst überlassen

„Allen Bewohnern werden wir einen neuen Platz vermitteln. Dafür stehen unsere anderen Awo-Häuser in der Umgebung zur Verfügung. Wir unterstützen aber auch bei der Vermittlung zu anderen Trägern und Häusern“, versichert Sprecherin Franziska Brzezicha. Auch wenn Angehörige der 39 stationären Heimbewohner zum Teil bereits andere Erfahrungen gemacht haben, steht in diesem Fall die Awo in rechtlicher Verantwortung nach dem Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz.

Die Mieter im Trakt für betreutes Wohnen hingegen bleiben sich offenbar selbst überlassen. „Ich hatte bei Facebook von dem Gerücht gelesen, dass das Walter-Gerling-Haus schließen soll. Die armen alten Leute, war mein erster Gedanke. Nie hätte ich gedacht, dass mich das auch betreffen könnte“, sagt Angelika Horstmann. Am nächsten Tag klebte dann ein Zettel an der Haustür, der mit „Wichtig, wichtig!“ überschrieben war. Die Mieter der 16 Wohnungen wurden für den nächsten Tag ins Haupthaus gebeten. Dort erfuhren sie, dass auch ihnen gekündigt wird und sie ihre Wohnungen bis spätestens 30. Juni verlassen sollen.

9000 Euro Miete monatlich für 16 Wohnungen

„Ich war wie vom Donner gerührt. Zuerst bin ich allerdings davon ausgegangen, dass man uns andere Wohnungen anbieten würde. Aber als ich danach fragte, zuckte die Frau von der Awo-Zentrale nur mit den Schultern“, sagt Ulf Milschlag, der mit seiner Frau in einer der größeren Wohnungen wohnt. Ottmar Dräger lebt schon seit 20 Jahren in einer der betreuten Wohnungen. „Wo soll ich denn noch hin? In der Nähe gibt es keine Wohnungen, die ich mir leisten kann“, fragt er verzweifelt.

„Im Haus befinden sich noch 16 Seniorenwohnungen, für die die Awo den Service stellt. Diese generieren 9000 Euro an monatlichen Mieteinnahmen“, heißt es in dem Schreiben der Awo Pflege an den Landesverband. Tatsächlich sind die Mieten in dem Gebäudetrakt des Walter-Gerling-Hauses vergleichsweise günstig. Knapp über 500 Euro zahlt Angelika Horstmann für ihre Einzimmerwohnung, einschließlich des Kostenanteils für die Betreuungsleistungen. Allerdings wartet die 66-Jährige seit vier Jahren auf die Installation des Notrufes, für den sie aber Monat für Monat bezahlt. „Die Wohnungen haben hier so einige Mängel, um die sich die Awo nicht gekümmert hat. Aber wir haben es leider hingenommen. Schließlich wohnen wir hier vergleichsweise günstig“, sagt sie.

Das Pflegeheim
Das Pflegeheim "Walter-Gerling-Haus" der Awo wird zum 30. Juni 2024 geschlossen. © Gabriele Kasdorff | Gabriele Kasdorff - Kasdorff@magenta.de

Keine Alternativangebote in der Region

Vorsichtshalber hat sie sich bei der Stadt schon mal erkundigt, was eine neue Wohnung kosten dürfte. Wegen ihrer schmalen Rente bezieht Angelika Horstmann Wohngeld – so wie die meisten ihrer Nachbarn. „Ich bin ja noch relativ fit im Internet. Aber ich habe nichts gefunden. Was sollen denn erst diejenigen machen, die völlig allein darstehen?“, fragt sie. Tatsächlich ist der Markt für Betreutes Wohnen in der Region wie leergefegt.

Nach der Recherche in verschiedenen Portalen gibt es aktuell nur ein Angebot für Betreutes Wohnen im Umkreis von 50 Kilometern von Lauenburg. Im „Seniorenpark am Elbufer“ in Geesthacht ist eine Zweizimmerwohnung frei für eine Warmmiete von 1061 Euro – also rund das Doppelte, was die meist langjährigen Mieter im Walter-Gerling-Haus bezahlen.

Mietrecht findet nur bedingt Anwendung

Im Streitfall sorgen Verträge über Bertreutes Wohnen immer wieder für gerichtliche Auseinandersetzungen. Im Falle der Mieter der Betreuten Wohnanlage im Walter-Gerling-Haus ist die Rechtslage tatsächlich kompliziert: Eigentümer der Wohnungen ist der Awo-Landesverband, der die Wohnungen an die Awo Pflege gGmbH vermietet hat. Das mag im ersten Moment zwar wie Wortklauberei klingen, hat aber für die Bewohner des Hauses weitreichende Konsequenzen, mit denen sich kürzlich der Berliner Mieterverein beschäftigt hat.

„Problematisch ist es, wenn der Eigentümer einer Wohnung an einen gemeinnützigen Verein oder an eine gGmbH vermietet. Vermietet dieser gemeinnützige Träger die Wohnung an eine von ihm betreute Person weiter, so kann Letztere sich gegenüber dem Räumungsverlangen des Eigentümers oder Erwerbers nicht auf den Kündigungsschutz des sozialen Mietrechts berufen“, stellen die Experten fest.

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Awo will Gebäude und Grundstück verkaufen

Die Mieter im Walter-Gerling-Haus wollen sich trotzdem nicht unterkriegen lassen. Im Gegenteil: Man müsse sie schon mit Gewalt auf die Straße setzen, sind sie sich einig. „Wir wollen doch mal sehen, ob die Awo es wagt, uns alte Menschen auf die Straße zu setzen“, gibt sich Renate Lagerin kämpferisch. Inzwischen macht das Gerücht die Runde, dass die Awo das Gebäude schnellstmöglich an einen interessierten Investor abstoßen will.

Ganz aus der Luft gegriffen erscheint das nicht. „Im Anschluss besteht die Option, Gebäude und Grundstück zu verkaufen“, steht in dem internen Papier aus dem vergangenen Jahr. Aktuell hält sich die Awo bedeckter. „Die Awo Pflege mietet das Gebäude vom Awo Landesverband. Dieser befindet sich derzeit in Gesprächen. Eine offizielle Stellungnahme kann noch nicht abgegeben werden“, sagt Sprecherin Franziska Brzezicha.

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