Lauenburg. Die Vielzahl an Entscheidungsträgern hat bislang Fortschritte blockiert. Eine Organisationsberaterin legt nun ihre Erkenntnisse vor.
Über zehn Jahre zeigte sich die Elbe vor Lauenburg von ihrer freundlichen Seite. Und je mehr Zeit nach dem verheerenden Hochwasser im Sommer 2013 verstrich, desto mehr geriet die damalige Verzweiflung der Betroffenen in Vergessenheit. Im Oktober 2014 bildeten mehr als 500 Lauenburger eine Menschenkette, um für den Schutz der Altstadt zu kämpfen. Heute machen sich nur noch wenige Altstadtbewohner für die damaligen Forderungen stark. Viele winken müde ab: Zu viele leere Versprechen hätten sie seit 2013 gehört. Und bisher sei ja auch alles gut gegangen. Fachleute haben für dieses Phänomen einen offiziellen Begriff geprägt: Hochwasserdemenz.
Doch jetzt hat die Elbe sich in Erinnerung und Lauenburg wieder in die Schlagzeilen gebracht. Angesichts bedrohlich steigender Pegel interessierten sich auch überregionale Medien dafür, warum die denkmalgeschützte Altstadt noch immer keinen Hochwasserschutz hat. Man könnte deshalb meinen, die aktuellen Ereignisse haben eine neue Dynamik gebracht.
Hochwasserschutz
Schon im Oktober vergangenen Jahres hatte ein externes Beratungsunternehmen die jeweiligen Zuständigkeiten vom Land, dem Wasser- und Bodenverband sowie der Stadt Lauenburg unter die Lupe genommen. Hier knirscht es nämlich gewaltig im Getriebe. Aber es gibt eine gute Nachricht: In Kiel hat man die Schwachstellen offenbar auch erkannt.
Der Höchststand des aktuellen Hochwassers betrug 8,10 Meter und wurde am 5. Januar gemessen. Zum Vergleich: 2013 stand das Wasser auf einer Höhe von 9,64 Meter. Auch wenn der Pegel seit Tagen kontinuierlich sinkt, der Normalwert von 4,50 Meter ist noch lange nicht erreicht. Am Freitagmittag (19. Januar) lag der Pegel bei knapp über sieben Metern.
Allerdings gab es diesmal zwei Besonderheiten: Das Hochwasser erreichte Lauenburg in zwei aufeinanderfolgenden Wellen. Schuld waren erneute, ergiebige Niederschläge im Einzugsgebiet der Elbe. Außerdem ließ eine Sturmflut der Nordsee am 15. Januar den schon fallenden Pegel noch einmal schlagartig ansteigen. Solche Ereignisse müssten natürlich in die Planungen des Hochwasserschutzes einfließen, ohne getroffene Festlegungen immer wieder infrage zu stellen.
Hochwasserschutz: Zu viele Mitarbeiter auf allen Ebenen wollen mitreden
Doch die Realität sieht anders aus. Als Richtlinie für den Hochwasserschutz dient das sogenannte Bemessungshochwasser. Für jeden kritischen Punkt entlang der Elbe ist dieser Wert festgelegt. Für den Pegel Hohnstorf liegt er bei 9,60 Meter. Der war allerdings nach dem Hochwasser 2013 überholt. Deshalb sind alle Überlegungen für den Hochwasserschutz von einem Bemessungswert von zehn Metern ausgegangen.
Nachdem beim Land die Zuständigkeiten erneut gewechselt hatten, stand diese Festlegung wieder zur Disposition und warf die Vorplanung um Monate zurück. „Zu viele Mitarbeiter auf allen Ebenen wollen ein Wörtchen mitreden. Aber viele Köche verderben nun mal den Brei“, bringt es Lauenburgs Bauamtsleiter Christian Asboe auf den Punkt. .
Tatsächlich sind die Strukturen kompliziert. In der sogenannten kleinen Lenkungsgruppe stimmen sich Vertreter des Landes, des Wasser- und Bodenverbandes und der Stadt über die nächsten Schritte ab. In der großen Lenkungsgruppe sitzen dann die Entscheidungsträger zusammen. Kommt man dort zu dem Schluss, dass die Vorschläge nicht überzeugend seien – etwa, weil wieder ein neuer Teilnehmer in der Runde sitzt – fängt die kleine Lenkungsgruppe quasi von vorn an.
Wasser- und Bodenverband in Lauenburg ist als Träger überfordert
Bei der Lauenburger Verwaltung laufen die Fäden dieser Koordination zusammen. Die Verantwortung für die Ausschreibung der Leistungen im Zusammenhang mit dem Hochwasserschutz liegt dagegen nicht bei der Stadt, sondern bei der Gebäudemanagement Schleswig-Holstein AöR (GMSH). Vertreter des Landes prüfen zudem, ob alle Planungsüberlegungen aus ihrer Sicht förderfähig sind. Schließlich wird die Gesamtmaßnahme zu 90 Prozent vom Land gefördert.
Krasser Kontrast zu der riesigen Gruppe von hauptamtlichen Entscheidern: Träger der Maßnahme ist der ehrenamtlich geführte Wasser- und Bodenverband. Seit Herbst vergangenen Jahres ist Reinhard Nieberg Vorsitzender des Verbandes. Der ehemalige Bauamtsleiter der Stadt ist auch aus seiner früheren Tätigkeit ein „alter Hase“ in Sachen Hochwasserschutz.
„Der Verband kann das schon aufgrund der personellen Situation nicht leisten. Es wäre gut, wenn die Trägerschaft auf die Stadt übertragen würde“, sagt er. Das könnte sich auch sein Nachfolger im Amt, Christian Asboe, grundsätzlich vorstellen. „Das hätte den Vorteil, dass es schon mal eine Ebene weniger gäbe. Allerdings müssten zuvor einige Voraussetzungen geschaffen werden, unter anderem die personellen“, gibt er zu bedenken.
Andere Bundesländer machen vor, wie Hochwasserschutz funktioniert
Neben dieser Variante will der Amtsleiter allerdings eine weitere nicht ausschließen: die Übernahme der Trägerschaft des Hochwasserschutzes durch das Land Schleswig-Holstein. Dafür gibt es in Deutschland durchaus Beispiele. In der sächsischen Stadt Grimma zum Beispiel ist die Landestalsperrenverwaltung Trägerin der 2019 eingeweihten Hochwasserschutzanlage an der Mulde.
Im Sommer vergangenen Jahres hatte sich eine Lauenburger Delegation vor Ort ein Bild gemacht. Grimma könnte auch deshalb Vorbild sein, weil es auch hier galt, den Denkmalschutz bei der technischen Umsetzung zu berücksichtigen.
In Niedersachsen wurde 2020 unter dem Dach der Landesregierung ein Hochwasserkompetenzzentrum (HWK) als Koordinierungsstelle für alle Maßnahmen eingerichtet. Für Lauenburg wünscht sich Asboe: „Es wäre gut, wenn es beim Land eine Person mit weitreichenden Kompetenzen statt vieler Entscheidungsträger gäbe. Das könnte Prozesse deutlich beschleunigen.“
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Schleswig-Holstein will sich Neuerungen nicht ganz verschließen
Alle diese Erfahrungen sind in die Interviews eingeflossen, die Organisationsberaterin Ute Lamboley aus dem Büro Profi-Training mit allen Beteiligten geführt hat. Im Februar wird die Kommunikationsexpertin erste Vorschläge vorlegen. Dann wird sich zeigen, ob es auch beim Landumweltministerium Vorstellungen gibt, die Prozesse zu verschlanken. Dort sieht man allerdings andere Ursachen für die zähe Planung.
„Ausschlaggebend für den hohen zeitlichen Aufwand sind die fachlich komplizierten Bearbeitungen der Planungen und Bauausführungen, die unter Berücksichtigung der Anforderungen des Denkmalschutzes, des Hochwasserschutzes und der örtlichen Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel der Baugrundverhältnisse, abzustimmen sind“, heißt es in der Antwort auf unsere Anfrage.
Dennoch will sich das Land Neuerungen offenbar nicht ganz verschließen. „Im Ergebnis wird es keine neue Realisierungsvereinbarung unter den Beteiligten geben. Dennoch könnte sich aus der einen oder anderen Aufgabenwahrnehmung eine neue Zuständigkeit ableiten lassen“, so Sprecherin Martina Gremler.