Geesthacht. Neue hamburgische Städteordnung vom 2. Januar 1924 kümmert Bewohner wenig. Sie haben andere Sorgen. Ein Blick 100 Jahre zurück.
Nach Feiern und Jubeln steht es den Geesthachtern am 2. Januar 1924 nicht, trotz eines bedeutsamen Datums für den Ort. Mit Inkrafttreten einer neuen hamburgischen Städteordnung ist das damals rund 5000 Einwohner zählende und zur Hansestadt gehörende Geesthacht zu einer Stadt aufgestiegen.
Von dem formalen Akt nimmt an der Elbe kaum jemand Notiz. Auch politsche Sondersitzungen suchte man vergebens. Finanziell wird der Ort ohnehin bereits seit April 1920 wie eine Stadt behandelt und den anderen Hamburger Landstädten Bergedorf und Cuxhaven gleichgestellt. 100 Jahre später ist das anders: Der runde Geburtstag der Verleihung der Stadtrechte wird das Jahr über mit mehreren Aktion groß gefeiert.
Geesthachts Bewohner haben vor 100 Jahren andere Sorgen
Unsere Vorfahren hatten andere Sorgen. „1924 war eine Zeit der wirtschaftlichen Ungewissheit“, schrieb Wilhelm Mittendorf in einer Festschrift zum 25-jährigen Stadtjubiläum 1949. Auf eine laut Heimatforscher Magnus Prüß „treibhausartige, wirtschaftliche Blüte“ (Geesthachter Heimatbuch, 1929), die besonders im Ersten Weltkrieg eingesetzt hatte, folgte Tristesse.
Beides stand in engem Zusammenhang mit der Sprengstofffabrik Krümmel (gegründet 1865) und der Pulverfabrik Düneberg (1877), obwohl beide auf preußischem Gebiet lagen und erst 1937 (Düneberg) beziehungsweise 1939 (Krümmel) eingemeindet wurden. Geesthacht selbst war mit dem Groß-Hamburg-Gesetz nach 517-jähriger Zugehörigkeit zur Hansestadt dem Kreis Herzogtum Lauenburg zugeschlagen worden.
Munitionsfabriken in Geesthacht müssen demontiert werden
Nach dem verlorenen Krieg mussten die Munitionsfabriken demontiert werden. Die meisten Beschäftigten verloren ihren Job. Darum war die Arbeitslosigkeit während der Weimarer Republik vor Ort besonders hoch. 1924 waren 700 der rund 5000 Einwohner erwerbslos. Waren im letzten Kriegsjahr 1918 nur 5700 Mark an Arbeitslosenunterstützung in Geesthacht gezahlt worden, explodierte die Summe 1920 auf 720.000 Mark.
Viele Geesthachter sind auf öffentliche Hilfe angewiesen, auf Speisen aus der Volksküche und billige Lebensmittel. Einwohner, die unter 2500 Reichsmark im Jahr verdienen, bekommen auf Manufakturwaren und Schuhe bis zu 15 Prozent Rabatt und können in Raten bezahlen. Auch Wohnraum ist knapp. Im Mittel suchen laut Wilhelm Mittendorf 150 bis 200 Menschen eine Bleibe. „In Geesthacht hat es keine Goldenen Zwanziger gegeben“, betont Helmut Knust, der Vorsitzende der Ortsgruppe des Heimatbund und Geschichtsvereins.
Geesthacht wird zu einer Industriestadt ohne Industrie
Zumal es andere bedeutende Industrie in Geesthacht nicht gab. So kam auch die 1914 geschlossene Glasfabrik, in der zeitweise eine halbe Million Flaschen jährlich beflochten worden waren und die Arbeit für 180 Personen bot, nach dem Krieg nicht mehr Gang. „Geesthacht war eine Industriestadt ohne Industrie“, schrieb unserer früherer Redakteur Bernhard Menapace in seinem Buch „Klein Moskau wird braun“.
Politisch profitierten die Gegner der jungen Republik von diesen Verhältnissen. Geesthacht erhielt wegen einer starken Kommunistischen Partei (KPD) den Beinamen „Klein Moskau“, im Ort gab es den Sportverein „Roter Stern“. 1921 hatten die Kommunisten hier einen Aufstand versucht. Bei der Wahl zur Stadtvertretung erhielt die KPD 41,6 Prozent (11 Sitze), die bürgerlichen Parteien kamen als Wahlvorschlag Willy Heitmann (WHH) auf 37,8 Prozent (9 Sitze) und die SPD auf 20,6 Prozent (5).
Julius Weltzien wird zum ersten Bürgermeister der Stadt gewählt
Bei der Wahl des erst 26-jährigen Julius Weltzien zum ersten Bürgermeister im März erhielt dieser noch die Unterstützung von Kommunisten und Bürgerlichen, später wurde er jedoch zum Feind der Linken. Dazu schreibt Mittendorf 1949: „Leider fehlten ihm bei seiner Tüchtigkeit liebenswürdige Umgangsformen und dadurch entstand ihm mancher Gegner, der mit seiner sachlichen Arbeit durchaus einverstanden war.“
Mit Bauprojekten gelang es Weltzien vorübergehend, die Arbeitslosigkeit zu reduzieren, die Wohnungsnot zu lindern und die miserable Straßenanbindung an preußische Umlandgemeinden zu verbessern. In den folgenden Jahren wurden Doppelhäuser in der Norder- und der Hegebergstraße gebaut, an Pastorenkoppel und am Kreuzweg sowie am Schwarzen Kamp und der Gärtnerstraße, gebaut. Auch Stockwerkhäuser an Keil, Richtweg und Hörnerweg entstanden in dieser Zeit.
Ausgebaut wurden Richtweg und Bahnhofstraße, neu geschaffen ein Fußweg zwischen Geesthacht und Krümmel und ein Lösch- und Ladeplatz im Hafen. Durch freiwilligen Arbeitsdienst, damit ein Teil der Wohlfahrtsempfänger eine vorübergehende geregelte Beschäftigung hatte, wurden zudem ein Sportplatz an der Norderstraße (heute ZOB) oder Straßen wie Hohenhorner Weg und Marksweg ausgebaut.
Der Wohnungsbau bringt nur kurzzeitige Belebung der Wirtschaft
Allerdings brachte dies keine dauerhafte wirtschaftliche Belebung. 1928 stellte Julius Weltzien fest, dass für die Arbeiterschaft nicht genügend Arbeit vorhanden sei. „Die Vorbedingungen hierzu können nur durch öffentliche Maßnahmen geschaffen werden.“ Er forderte etwa die Verlegung hamburgischer Staatsanstalten nach Geesthacht. Doch das Gegenteil war der Fall: Die Außenstation der Strafanstalten auf dem Heinrichshof wurde 1933 aufgegeben.
Neue Industrie anzusiedeln, gelang Julius Weltzien (im Amt bis 1931) nicht. Dafür etablierte er Geesthacht als Ausflugsort. Ein Fremdenverein wirbt seit 1927 um Besucher, die Jugendherberge wurde 1928 eingeweiht. Zudem brachte Weltzien den Ort als Standort einer neuen Elbbrücke ins Gespräch, die aber erst 1966 eröffnet wurde.
Seit 1922 gibt es in Geesthacht elektrische Straßenbeleuchtung
Die Geesthachter Verwaltung sitzt seit 1922 am heutigen Ort. Damals wurde das ehemalige Kino Schauburg erst gepachtet, später gekauft und mehrfach um- und angebaut. Seit 1922 hat Geesthacht auch elektrische Straßenbeleuchtung. Laut Heimatforscher Prüß ist das Stadtbild im Jahr 1929 uneinheitlich. Wegen eines fehlenden Bebauungsplanes würden die Häuser unregelmäßig vorrücken.
Neben und hinter den Gebäuden waren ausgedehnte Gärten und Hofplätze. „Die meisten Bürger waren zumindest nebenbei Selbstversorger. Von den zwei Schweinen, die man oft hatte, wurde eines geschlachtet und das andere verkauft. Das war das sogenannte Sparschwein“, weiß Helmut Knust vom Heimatbund.
Infrastruktur kann mit Bevölkerungswachstum nicht Schritt halten
Derweil schreibt der 1949 amtierende Bürgermeister Carl Bung, dass Geesthacht 1924 durch die Fabriken (Krümmel und Düneberg) so schnell gewachsen war, dass die dafür notwendigen öffentlichen Gebäude, wie Schulen und Krankenhaus nicht geschaffen werden konnten. Von 1865 bis 1924 hatte sich die Einwohnerzahl auf knapp 5000 in etwa verdoppelt. 1942, nach der Eingemeindung von Grünhof-Tesperhude waren es dann gut 9000 Einwohner. Nach einer großen Flüchtlingswelle nach dem Zweiten Weltkrieg dann schon 20.400 Einwohner (1949) und in diesem Jahr ist Geesthacht mit 33.500 Einwohnern dann zur zehntgrößten Stadt in Scheswig-Holstein aufgestiegen.
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Die meisten Feierlichkeiten zum 100. Stadtgeburtstag sollen im Juni steigen. Dann trat die Stadtsatzung der hamburgischen Stadt Geesthacht in Kraft. Das war ein weiterer formaler Akt, von dem kaum jemand Kenntnis genommen hat.