Geesthacht. Wachstum ja, aber nachhaltig. Wie das geht, zeigen gleich zwei Universitäten bei einem Pilotprojekt der Metropolregion Hamburg.

Die Aufnahme in die Liste der zehn größten Städte in Schleswig-Holstein gibt ein Zeugnis ab für das Geesthachter Wachstum der vergangenen Jahre. 32.522 Einwohner zählte das Statistikamt Nord im Juni dieses Jahres. Der Finkenweg Nord gilt als letztes mögliches, großes Neubaugebiet in Geesthacht. Und dann? Die Stadtverwaltung verspricht sich viel von einem brandneuen Pilotprojekt der Metropolregion Hamburg, das Kommunen Wege weist, wie es ohne viel Flächenfraß weitergehen kann mit der Stadtentwicklung.

Insgesamt fünf Gemeinden können an dem Projekt KomZerti – eine Zusammensetzung der Begriffe Kommune und Zertifizierung – teilnehmen, für das es ein Auswahlverfahren gibt. Doch schon jetzt steht fest: Geesthacht ist dabei, wie Professor Frank Schwartze vom Fachbereich Städtebau und Planung der Technischen Hochschule Lübeck, unserer Redaktion berichtete. Die TH betreut die teilnehmenden Gemeinden zusammen mit der Hafencity Universität Hamburg, Stadtplanung und Regionalentwicklung, sowie Experten von der Metropolregion fachlich.

Stadtentwicklung Geesthacht: Pilotprojekt KomZerti richtet sich gegen Flächenfraß

Flächenverbrauch und Versiegelung Fachbegriff Flächenneuinanspruchnahme – wird mittlerweile auch in der Politik als großes Problem gesehen. Bei der jüngsten Erhebung 2018 wurden in Schleswig-Holstein 3,1 Hektar pro Tag von Freiraumflächen in Siedlungs- und Verkehrsflächen umgewandelt. Das entspricht etwa zwei Fußballfeldern.

Die nationale Nachhaltigkeitsstrategie soll diesen Verbrauch eigentlich zunächst bis zum Jahr 2030 auf 1,3 Hektar am Tag und ab 2050 auf Netto-Null senken. Nur: „Die schon viele Jahre geltenden beziehungsweise mit großen Anstrengungen entwickelten Regelungen, Instrumente und Strategien zur Reduzierung der Neuinanspruchnahme von Flächen haben bisher nicht die erwartete Wirkung erzielt“, heißt es auf dem Internetportal der Landesregierung.

Angesagt ist ein veränderter Umgang mit der Fläche als Ressource

Ob zumindest im Hamburger Speckgürtel KomZerti nun die Wende bringt? Verbote stehen nicht zur Debatte. Gefördert wird ein veränderter Umgang mit der Ressource Fläche. Das Potenzial des neuen Projektes wird auch in Geesthacht gesehen. Aber vor der Teilnahme stand zunächst eine Bewerbung an für ein Auswahlverfahren, wer mitmachen darf.

Das Neubaugebiet Finkenweg Nord ist aktuell das letzte in Geesthacht.
Das Neubaugebiet Finkenweg Nord ist aktuell das letzte in Geesthacht. © Dirk Schulz | Dirk Schulz

Die Geesthachter Stadtverwaltung wollte gern dabei sein, und so machte Dagmar Poltier vom Fachbereich Umwelt und Bauen das Thema den Vertretern der Fraktionen auf dem Stadtplanungsausschuss schmackhaft, um die Zustimmung für die Bewerbung zu erhalten. „Das ist ein Angebot für Kommunen, sie auf dem Weg, flächensparend zu planen, zu begleiten“, erklärte sie. Vertreter der Verwaltung hatten bereits an einem Planspiel zum Kennenlernen der Pläne am 16. November teilgenommen.

Stadtgebiet besteht aus sehr unterschiedlich strukturierten Stadtteilen

Das klang gut für die meisten – fast schon zu gut. Einige argwöhnten, dass da Kosten auf die Stadt zukämen. „Es würde für die Kommunen zunächst kostenfrei sein, und es gäbe zudem die Begleitung durch ein externes Planungsbüro“, sagte Dagmar Poltier. Sie verwies auf das eher schwierige Stadtgebiet mit seinen sehr unterschiedlich strukturierten Stadtteilen.

„Wir versprechen uns fachliche Unterstützung von Leuten, die sich damit intensiver beschäftigen können als wir“, warb Dagmar Poltier. Mit dieser Begleitung könnten die Stadtteile untersucht werden, wo man aus Sicht der Universität Potenziale sehe oder eben auch nicht, sagte sie. Es würden Mittel an die Hand gegeben, die an den Universitäten erarbeitet wurden, um flächensparend städtebaulich planen können. Mit den Plänen für die Nachverdichtung an der Geesthachter Straße ist die Stadt selbst bereits tätig geworden.

Es steht schon fest: Geesthacht kann mitmachen

Das kam an. „Meine Meinung ist positiv, ich möchte, dass wir uns bewerben“, meinte Andreas Schwandt (CDU). „Sehr begrüßenswert“, befand Max Hansen (Grüne). Er sah viel Potenzial in Geesthacht. „Erstmal geht es darum, dass man was lernt. Wir sollten uns beteiligen“, sagte Petra Burmeister (SPD). Das Ja für das weitere Vorgehen fiel einstimmig aus.

Dagmar Poltier vom Fachbereich Umwelt und Bauen warb bei der Politik für das Projekt.
Dagmar Poltier vom Fachbereich Umwelt und Bauen warb bei der Politik für das Projekt. © Stadt Geesthacht | Stadt Geesthacht

Dass Geesthacht bereits jetzt weiß, dass es bei dem Projekt mitmachen kann, liegt an der geringen Anzahl der Bewerber. Außer der Elbestadt haben nur zwei weitere Bewerber ihren Hut in den Ring geworfen. Insgesamt fünf Gemeinden können teilnehmen. Die Bewerber sind allesamt in der Größe von Mittelzentren wie Geesthacht. .„Da gab es wohl die Befürchtung, dass zu viel Arbeit auf sie zukommt“, hat Frank Schwartze bei kleineren Gemeinden ausgemacht. Die Organisatoren hätten gern weitere Kommunen gewonnen, die nachhaltige Stadtplanung lernen wollen. So gibt es für Bewerber nun einen weiteren Aufschlag.

Ansprechpartnerin ist Deborah Heinen von der Metropolregion Hamburg (E-Mail: deborah.heinen@metropolregion.hamburg.de), Die Idee zu dem Pilotprojekt ist aus ihrer Dissertation heraus entstanden. Die Fördergelder kommen vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung. Am 23. Januar gibt es online ein Werkstattgespräch zum Thema.

Für den Erfolg der Umsetzungen gibt es Zertifikate in Gold, Silber und Bronze

Der Arbeitseinsatz ist überschaubar, auch angesichts knapper Kapazitäten in den Bauämtern. „Angedacht ist, sich einmal im Monat zusammenzusetzen, und es gibt fünf Workshop-Termine“, sagt Deborah Heinen zum Aufwand. Vorgesehen ist die Gründung eines verwaltungsinternen Teams.

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Schon im Januar geht es los mit einer Informationsveranstaltung für die teilnehmenden Pilotgemeinden und dem Beginn von Phase I, der Vorzertifizierung. Der März sieht eine politische Beschlussfassung der Gemeinden vor, gefolgt von Phase II bis zum Ende des Jahres mit der Analyse der Ist-Situation und einer Festlegung eigener Ziele. Phase III sieht dann bis zum Jahr 2028 eine Messung und Bewertung der umgesetzten Maßnahmen vor, entsprechend gibt es Zertifikate in Gold, Silber und Bronze.

Flächen sollen intelligenter genutzt werden

„Der Begriff Flächensparen ist genaugenommen ein wenig irreführend“, erläutert Professor Frank Schwartze vom Fachbereich Städtebau und Planung der Technischen Hochschule Lübeck. Flächenhaushaltspolitik sei in Fachkreisen der treffendere Begriff. Es gehe in Zeiten knapper werdender Flächen und um sie konkurrierende Interessen und deren effizientere Nutzung. „Und nicht darum, nichts darauf zu machen. Flächen sollten intelligenter genutzt werden, zum Beispiel auch für Klimaanpassungen“, sagt der Universitätsdozent.

Auch Deborah Heinen betont, dass es durch die Maßnahmen des Pilotprojektes keinen Wachstumsstopp geben müsse: Man könne ja wachsen und trotzdem Flächen sparen, sagt sie und verweist auf Baulücken und die gerade in Geesthacht vielen Einfamilienhaussiedlungen. „Die Stadt kann Kosten sparen, wenn man dichter baut. Pro verlegtem Rohr und Leitung gibt es mehr Leute, die einzahlen“, sagt sie. Die verlegte Infrastruktur lasse sich intensiver nutzen.

„Die Beratung zweier Universitäten plus weiterer Stadtplaner, und das alles auch noch umsonst. Da kann man nicht viel falsch machen“, ist Frank Schwartze überzeugt, dass teilnehmende Kommunen von Komzerti nur profitieren können.