Geesthacht. Das größte Kreuzfahrtschiff der Welt geht Anfang 2024 erstmals mit Passagieren auf Reisen. Was den Antrieb so besonders macht.
Die „Icon of the Seas“ der Reederei Royal Caribbean ist ein gewaltiges Kreuzfahrtschiff. Das größte, das jemals in See stach. 365 Meter lang, 67 Meter breit, auf dem höchsten Punkt stehen die Urlauber 47 Meter über dem Meeresspiegel. Platz an Bord ist für 7600 Gäste und 2350 Crewmitglieder. Gebaut hat es die Meyer Werft Turku. Anfang 2024 nimmt es den Dienst auf. Teile der Technik an Bord wurden hingegen in Geesthacht gebaut.
Denn die „Icon of the Seas“, wie auch weitere Schiffe aus der Flotte, ist mit sechs Antriebsmotoren ausgestattet, die Flüssigerdgas (LNG) verarbeiten. „Und da haben wir im Auftrag von Siemens Energy die Schaltschränke für die Flüssiggas-Versorgung gebaut“, berichtet Manfred Hackbarth von der Firma gat – Gesellschaft für Automatisierungstechnik.
Die gat hat seit 1990 ihren Sitz in der Pankower Straße 8b in Geesthacht. Aus kleinen Anfängen heraus hat sich die Firma zu einem weltweit agierenden Unternehmen entwickelt. Die gat baut selbst keine Maschinen, es geht um deren Automatisierung. In Geesthacht entstehen die Schaltschränke für die Steuerung. Dazu gehört die Planung, der eigentliche Schaltschrankbau, die Programmierung sowie vor Ort die Montage und Inbetriebnahme. „Gewaltige Dinger manchmal“, sagt Manfred Hackbarth, Gesellschafter und Software-Leiter. Alle seien individuell, es gebe keine Schränke, die gleich sind.
„Icon of the Seas“: Größtes Kreuzfahrtschiff der Welt hat Technik aus Geesthacht an Bord
„Wir automatisieren für unsere Kunden Tanklager, Verdichterstationen, Verbrennungsanlagen, um die Emissionen zu verringern, verschiedenste Systeme im Bereich der Schiffstechnik, Anlagen für den Transport und Einsatz von Flüssiggas (LNG), Reinraum-Klimatisierung für die Herstellung von pharmazeutischen Produkten oder in der Fertigung von Halbleiter-Chips sowie Gebäude wie Einkaufszentren und Krankenhäuser“, zählt Manfred Hackbarth auf.
Zum Ausliefern packen dann auch mal große Kräne auf dem Werksgelände zu. Der bisher größte gebaute Schrank ist 4,8 Meter lang und 2,2 Meter breit. Er wiegt 800 Kilogramm. Eine eigene Qualitätssicherungsabteilung simuliert mit einer Art Schaltschrankzwilling im Vorfeld, ob alles wie vorgesehen funktioniert. Eine aufwendige Angelegenheit, die Tage dauern kann.
gat ist weltweit aktiv – von Kanada bis zu den Nickelminen in Neukaledonien
Aber auch der Transport könnte seine Tücken haben. „Die Schaltschränke sind nicht dafür gedacht, flachzuliegen“, sagt Manfred Hackbarth. Und so sind an ihnen Sensoren angebracht, die registrieren, ob der Schrank bei der Auslieferung die ganze Zeit korrekt – also aufrecht – gelagert wurde. Es handelt sich um kleine Kügelchen, die im Falle einer falschen Lagerung aus ihren Positionen herausfallen würden. So überwacht ein fast archaisches System die Unversehrtheit der Hightech-Geräte.
Ein Blick auf die Weltkarte an der Wand des Konferenzraumes zeigt, wie begehrt die Schaltschränke aus Geesthacht bei anderen Unternehmen sind. Links oben im Nordwesten steckt ein Fähnchen an der kanadischen Pazifikküste, rechts unten auch, das ist in Neukaledonien östlich von Australien. Dazwischen wird kein Erdteil ausgelassen. 72 Länder sind es mittlerweile, „und es werden immer mehr“, weiß Manfred Hackbarth.
Aber die Kunden kommen auch aus der Region. Bedarf für Schaltschränke und Automatisierung ist überall. In Geesthacht stehen unter anderem das AKW in Krümmel auf der Kundenliste, die GEQ Quarzschmelze, Sensient und Evonik. In den Vier- und Marschlanden sind die Gasförderanlagen auf den Feldern mit dem markanten „Pferdekopf“ gut bekannt – hier ist ebenfalls Automatisierungstechnik aus Geesthacht drin.
Disney-Konzern übernimmt Kreuzfahrtschiff
Viele Fähnchen stecken mitten im Meer. Sie kennzeichnen die vielen Schiffe, die Schaltschränke aus Geesthacht an Bord haben. Da geht es mal um die Steuerung von Anlagen zur Trinkwasseraufbereitung oder um die umweltgerechte Entsorgung von Müll. „Für die Schiffe der Sphinx-Klasse der AIDA Flotte erwarten wir demnächst einen Auftrag zur Modernisierung der Steuerungen für die Abwasseraufbereitung“, erzählt Manfred Hackbarth.
Und auch mit dem Disney-Konzern gibt es Berührungspunkte. Die in Wismar liegende, bisher nicht fertiggestellte „Global One“ wurde mittlerweile von Disney Cruises übernommen. „Auf der ,Costa Fascinosa‘ wie auch auf der ,Global One‘ haben wir im Auftrag von EVAC die Schaltschränke für das gesamte Entsorgungs- und Aufbereitungssystem für Abwasser und sonstige Abfälle geliefert und die Steuerungen programmiert“, erläutert Manfred Hackbarth.
Gegen Seekrankheit: Geesthachter Elektronik gleicht Schiffsbewegungen aus
Und eine Technik ist besonders wichtig für das Wohlbefinden der Passagiere – und ihrer Mägen. „Ein Opfer für Neptun“, heißt es salopp an Bord immer dann, wenn jemand seekrank ist, und das eingenommene Essen nicht auf dem vorgesehenen Weg den Körper verlässt. Die Schaltschränke von gat sorgen unter Deck dafür, dass diese unfreiwilligen Opferungen unterbleiben.
Die Elektronik regelt, dass die Schiffsschwankungen durch Gegenbewegungen ausgeglichen werden, damit das Schiff schön ruhig im Wasser liegt. „So sind auch die neusten AIDA-Schiffe ,AIDAnova‘ und ,AIDAcosma‘ ausgerüstet mit unseren Schaltschränken für die Flossen-Stabilisatoren, die wir im Auftrag von SKF – vormals Blohm+Voss-Industries – gebaut haben“, berichtet Manfred Hackbarth.
Die gat ist geschäftlich breit aufgestellt, viele Kunden kommen aus völlig unterschiedlichen Bereichen. Da geht es um Gasverdichteranlagen von MAN für die Einspeisung in Pipelines, dann wieder um die Herstellung von Nivea-Produkten bei Beiersdorf. Der weit geschlagene Bogen verhindert Abhängigkeiten von nur einem Markt – und Krisenzeiten.
Einer der ersten Kunden kam aus Saudi-Arabien
Seit 1988 hat sich die Umsatzkurve steil nach oben entwickelt von 1,4 Millionen Euro auf über 20 Millionen Euro. Der Geschäftsführer Karsten Hofmann leitet seit 2003 die Firma. Erstaunlich: Dieses Wachstum wurde ohne eine Vertriebsabteilung möglich – und zwar alleine durch die Akquise der Abteilungs- und Niederlassungsleiter sowie das sich Herumsprechen in der Branche.
„Am 2. Januar 1988 war Arbeitsbeginn“, erinnert sich Manfred Hackbarth an die Gründung, damals noch in Schwarzenbek. Zusammen mit einer Niederlassung in Schwalbach/Taunus gab es nur zehn Mitarbeiter. Doch der Markt war lukrativ, das Wachstum begann. Einer der ersten Kunden kam aus Saudi-Arabien. Es ging um die Steuerung einer Meerwasserentsalzungsanlage. Heute sind es 168 Mitarbeiter, davon sechs Azubis, sowie weitere freie Ingenieure und Fremdarbeiter.
In Geesthacht sind es 80 bis 90 Beschäftigte, Elektro- und Softwareplaner sowie Schaltschrankbauer und Monteure, die zur Installierung von Anlagen auch ins Ausland reisen – wenn sie denn wollen. Einer kam gerade von einer Nickelmine in Neukaledonien zurück. Seit 1991 gibt es zudem einen Standort Ost in Chemnitz.
In der Anfangszeit saßen sieben Programmierer auch mal im Hausflur
„Das Büro in Schwarzenbek ist schnell viel zu klein geworden. Bei mir zu Hause saßen dann sieben Mitarbeiter im Flur, die programmiert haben. Und dazwischen liefen meine kleinen Kinder herum – die sind auch Ingenieure geworden“, erinnert sich Manfred Hackbarth. Er hatte bereits in den 70er-Jahren an der Hochschule der Bundeswehr mit Mikroprozessoren gearbeitet.
„Es war klar, wir müssen irgendwo bauen“, sagt Manfred Hackbarth. Das war 1990 auf einem 3000 Quadratmeter großen Grundstück am jetzigen Standort. Am Anfang schien alles groß – zu groß. „Wir haben überlegt, ob wir nicht untervermieten sollten“, erzählt Manfred Hackbarth.
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Diese Zeiten waren schnell vorbei. Das Grundstück ist mit dem letzten Ausbauschritt 2019 und Erweiterungen für Bürotrakt und Produktionshallen mittlerweile ausgereizt. Ausbaupotenzial befindet sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Dort, wo ehemals die Kfz-Zulassungsstelle untergebracht war. Das Grundstück wurde vom Kreis gekauft.
„Die Zukunft des Standortes in Geesthacht ist gesichert. Wir wachsen sehr organisch“, verspricht Personalreferentin Clara Mann. Freie Stellen gibt es auch. Kontakt über die Homepage.