Geesthacht. Im Rahmen der Tage der Industriekultur konnte das Gelände besichtigt werden. Referent Karsten Wulff erzählt von einem verrückten Traum.

Ob der größte Wunsch der Mitarbeiter im stillgelegten Kernkraftwerk Krümmel in diesem Jahr doch noch in Erfüllung gehen wird? Die Zeit wird knapp. Karsten Wulff, Referent für regionale Kommunikation bei Betreiber Vattenfall, befürchtet bereits, dass es wieder nichts wird mit der Zustellung der Genehmigung zum Rückbau der Anlage.

Anfang des Jahres sah das noch anders aus. Die Landesregierung rechne derzeit mit einer Genehmigung in der zweiten Jahreshälfte 2023, hieß es im Januar auf eine kleine Anfrage des FDP-Abgeordneten Christopher Vogt im Kieler Landtag. Das Jahr geht nun bald in sein letztes Quartal, und Karsten Wulff bezweifelt, dass die Genehmigung noch in diesem Jahr in seinem Postfach landet.

Ein Bauchgefühl sagt: Genehmigung kommt nicht mehr in diesem Jahr

Zugeflüstert habe ihm es das niemand, auch die Gerüchteküche habe nicht gebrodelt, beteuert er. „Es ist eher ein Bauchgefühl“, sagte Karsten Wulff am Sonntag, als er Besucher im Rahmen der Tage der Industriekultur am Wasser über die Anlage führte.

Karsten Wulff spricht aus Erfahrung. Jahr ums Jahr ging seit der Beantragung 2015 ins Land. Vattenfall hat 2017 nachgelegt, seinen Antrag 2017 mit weiteren Unterlagen präzisiert. Zudem wurde noch ein Sicherheitsgutachten nachgereicht, das der atomrechtlichen Genehmigungsbehörde seit Juli 2022 vorliegt.

So lange hat der Prüfvorgang bisher bei keinem anderen AKW in Deutschland gedauert. Vattenfall kostet das Geld. Die jährlichen Betriebskosten liegen im mittleren zweistelligen Millionenbereich.

Vor 40 Jahren begann der Testbetrieb im AKW Krümmel

Normalerweise hätte es im September Grund zum Feiern gegeben. Vor 40 Jahren ging das AKW Krümmel zum ersten Mal erfolgreich in Betrieb. Zunächst war es ein Probelauf.

Klein, aber wichtig: Das sogenannte „Neutronenschwein“ des HZG hängt an einem Zaun im rückwärtigen AKW-Gelände. Der richtige Fachbegriff lautet Neutronendoseleistungssonde. Sie informiert Strahlenschützer über die Situation der Umgebungswerte.
Klein, aber wichtig: Das sogenannte „Neutronenschwein“ des HZG hängt an einem Zaun im rückwärtigen AKW-Gelände. Der richtige Fachbegriff lautet Neutronendoseleistungssonde. Sie informiert Strahlenschützer über die Situation der Umgebungswerte. © Dirk Palapies | Palapies/Palapies

Nachdem alles funktionierte, fand die Übergabe an die HEW dann ein halbes Jahr später im März statt, erst da begann die eher kurze Geschichte der Stromproduktion für Haushalte und Industrie. Denn nach einem Brand im Trafohaus am 28. Juni 2007 stand der ehemals größte Siedewasserrekator der Welt überwiegend still. 2011 wurde in Deutschland dann unter dem Eindruck der Atom-Katastrophe von Fukushima der Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen.

Statt Jubiläumsparty ist nun also „Dornröschenschlaf“ angesagt, wie Karten Wulff befand. Der durch die Besucher nun ein kurzes Intermezzo fand. Nach einem Vortrag im Informationszentrum ging es zu einem Spaziergang über die Anlage.

Karsten Wulff erzählte auch Anekdoten zum Schmunzeln und Staunen

Karsten Wulff schlug, oft angereichert mit Anekdoten zum Staunen und Schmunzeln, einen thematischen Bogen von der Entstehungszeit des AKW über den technischen Betrieb bis zur Zeit nach dem Rückbau.

Als parallel in den 1960er Jahren auch in Brunstorf ein AKW geplant wurde, sei der Geesthachter Standort kurzfristig in Gefahr geraten, berichtete er. „Können Sie sich vorstellen, was da hier los war?“, fragte Karsten Wulff seine Besucher.

Als der Standort gefährdet schien, gab es Proteste für den Bau des AKW

Die staunten über die Antwort. „Es gab Proteste, weil befürchtet wurde, dass das AKW hier nicht mehr gebaut werden sollte“. Der Schub des Glaubens an ein goldenes Atomzeitalter aus den 1950er-Jahren sei damals noch vorhanden gewesen. Man stelle sich vor, Proteste zugunsten eines AKWs. Wie sich die Zeiten später dann doch geändert haben.

Lacher erntete die Anekdote, dass die im Schriftverkehr verwendet Abkürzung KKK (Kernkraftwerk Krümmel) in den USA zunächst für starkes Befremden sorgte. Die drei K stehen dort für den Ku-Klux-Klan, einen rassistischen, gewalttätigen weißen Geheimbund.

Aus 1000 Räumen werden die Wände abgemeißelt

Für den Rückbau rechnet Karsten Wulff mit 1,1 Milliarden Euro Kosten. Mindestens. Der Bau hatte 5,3 Milliarden DM gekostet. Sobald eine Genehmigung vorliegt, wird so schnell wie möglich begonnen. Die Arbeiten beginnen zentral mit dem Abbau des Reaktordruckbehälters und enden an den Außenwänden.

Bis alle Arbeiten abgeschlossen sind, können bis zu 15 Jahre vergehen. Gefolgt von einem konventionellen Abbau von fünf Jahren. So müssen zum Schluss, wenn das technische Gerät aus dem Weg ist, auch aus 1000 Räumen Strukturen von Wänden, Fußboden und Decken gemeißelt werden. Die Oberfläche wird Stück für Stück abgetragen. Der Beton des Gebäudes soll geschreddert und wieder verbaut werden können.

Täglich sollen bis zu 15 Lastwagen die Anlage verlassen

Karsten Wulff rechnet mit einem Aufkommen von 540.000 Tonnen Müll. „Es ist geplant, den Abtransport mit Lastwagen zu machen“, erklärt er. „Wir rechnen mit zehn bis 15 Lkw am Tag, die die Anlage verlassen. Die Anwohner müssen sich keine Sorgen wegen einer starken Verkehrsbelastung machen“, beschwichtigt Karsten Wulff.

Angesichts des Verkehrs, der bereits jetzt die Elbuferstraße täglich entlangfahre, falle der zusätzliche Faktor nicht besonders ins Gewicht, findet er.

Kasseler Studenten erarbeiteten als Semesterarbeit ein Nachnutzungskonzept

Es gibt bereits einige Ideen für die Nachnutzung. Die Stadt favorisiere den Bestand als Industriefläche, erzählt Karsten Wulff. Auch die Universität Kassel ist aufmerksam geworden. Studenten der Stadtplanung hätten als Arbeit für ihre Fakultät ein Nachnutzungskonzept erarbeitet.

Und Geesthachts Bürgermeister Olaf Schulze sprach im Juni auf einer Online-Konferenz bei der Internationalen Atomenergie-Organisation IAEA zum Thema der Nachnutzung, Karsten Wulff übersetzte ins Englische.

Denkmalschützer befanden das AKW als „Kathedrale der Industriekultur“

Ob der Atomenergie aber ein Wasserstoff-Projekt auf dem Gelände folge, darüber halte sich Vattenfall zurzeit bedeckt, berichtet Karsten Wulff. „Denn wer weiß, ob Wasserstoff auch in 20 bis 30 Jahren noch ein großes Thema sein wird?“ Bei einer Konferenz kürzlich hätten auch Denkmalschütze interessiert den Finger gehoben. „Sie bezeichneten das AKW als Kathedrale der Industriekultur“.

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Karsten Wulff hegt eine ganz eigene Vorstellung, die der Historie des Standortes gerecht wird: „Wir haben hier ein Maschinenhaus so groß wie ein Fußballplatz. Ein Traum von mir wäre, einmal die Verleihung der Nobelpreise hier durchzuführen. Wer hat hier einen guten Draht ins schwedische Königshaus?“, fragte er seine Besucher.