Aumühle. Der 54 Jahre alte Mann ist wegen Totschlags angeklagt. Vor Gericht entsteht ein komplexes Bild einer komplizierten Beziehung.
Als dem Angeklagten Alexander S. (Alle Namen der Familie geändert) die Aussage seiner 20 Jahre alten Stieftochter Karen H. vorgelesen wird und er hört, wie es seinen beiden drei und 13 Jahre alten Söhnen geht, verzieht der 54 Jahre alte Aumühler mit russischen Wurzeln schmerzverzerrt das Gesicht. Für einige Sekunden sieht es so aus, als müsste er weinen.
Doch ansonsten bleibt seine Miene während des dritten Prozesstages am Freitag, 17. November, vor dem Landgericht Lübeck weiter regungslos. Die Anklage lautet auf Totschlag. Während sein Anwalt Eric Goldbach die deutsche Übersetzung seiner eigenen Aussage vorliest, verbirgt der Angeklagte sein Gesicht vor den Zuschauern, indem er die rechte Hand vor seine Augen und seine Stirn hält. Denn Alexander S. hat sich erstmals selbst vor Gericht geäußert: In seiner Aussage räumt der 54-Jährige ein, seine 41 Jahre alte Frau in der Nacht zum 9. März in der gemeinsamen Wohnung an der Großen Straße in Aumühle nach einem Streit zu Tode gewürgt zu haben.
Aumühler erwürgt Frau: Angeklagter bittet die Kinder um Entschuldigung
Er bedauert dies und bittet um Entschuldigung bei allen Hinterbliebenen, besonders aber bei ihren Kindern. Der Alkohol und ein Blackout hätten dazu geführt, dass der Streit zwischen den Eheleuten nach der Familienfeier eskaliert sei. Seine Schuld sei Alexander S. durchweg bewusst, trägt sein Anwalt vor und liest: „Ich möchte mich bei allen Angehörigen entschuldigen, besonders bei den Kindern, denen ich die Mutter genommen habe. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an meine Frau denke. Es tut mir unendlich leid. Ich würde es gern ungeschehen machen. Nur weiß ich, dass das nicht geht.“
Nach einer kleinen Familienfeier zum Weltfrauentag am 8. März, mündete der schöne Abend in dem erbitterten Streit, währenddessen er Olga H. schließlich fünf Minuten gewürgt habe, erst mit beiden Händen, dann nur mit der Rechten. Er habe dabei auf die Küchenuhr gesehen und beschreibt mit drastischen Worten: „Ihre Augen waren geöffnet, aber dann atmete sie nicht mehr.“
Der Täter und sein Opfer führten eine schwierige Ehe
In seiner Aussage versucht der 54-Jährige auch darzulegen, wie es so weit kommen konnte. Ihre Ehe sei nicht einfach gewesen, räumt Alexander S. ein. Seine Frau habe wechselnde Sexualpartner gehabt, was ihn aber nicht gestört habe. Sie sei eine vitale, sehr lebendige Frau gewesen. Das Paar hatte zwei gemeinsame Söhne, die nun Getötete zwei erwachsene Kinder, einen Sohn und eine Tochter, aus erster Ehe.
Doch in ihren letzten Tagen habe sie sich verändert. Sie habe noch mehr Alkohol getrunken als vorher, praktisch jeden Tag. „Sie hat mich provoziert und beleidigt“, berichtet Alexander S. „Ich habe darauf nicht reagiert, verletzt hat es mich aber doch.“ Nach seinen Schilderungen haben diese Versuche, ihre Anfeindungen an sich abperlen zu lassen, seine Frau wohl noch mehr gereizt.
Angeklagter: „Sie würgte mich und zielte mit einer Flasche nach mir“
Selbst einen angeblichen Versuch von Olga H., ihn im Schlaf mit ihrem Bademantelgürtel zu erdrosseln, habe er nur versucht zu ignorieren: Er sei sehr müde gewesen und sei schließlich davon aufgewacht, dass sie neben seinem Bett stand und ihm den Gürtel in einer Schlaufe um den Hals legte. Er habe einfach so getan, als würde er sich rekeln und hätte dabei den Frottier-Gürtel abgestreift. „Zwei Tage später hat sie mir gesagt, dass sie mich hatte umbringen wollen.“
Auch an dem besagten Abend des 8. März sei sie, nachdem sie lange draußen mit ihrer Tochter Karen und deren Freund gesprochen hatte und schließlich noch einmal mit ihrem Ex-Mann telefoniert habe, zu ihm in die Küche gekommen, hätte mit beiden Fäusten auf die Küchentheke geschlagen und geschrien: „Ich bringe euch alle um!“ Er hielt gerade sein Handy und tat so, als nehme er das Gespräch auf, sie sei immer aggressiver geworden, habe ihn beschuldigt, sie vergewaltigt zu haben. „Aber ich habe meine Frau nicht vergewaltigt“, hat Alexander S. ausgesagt.
Leichnam in einer schwarzen Plane versteckt
Sie habe ihn mit beiden Händen gewürgt und mit einer Likörflasche nach ihm geworfen. Diese sei aber ebenso wenig zerbrochen wie eine Flasche Ahornsirup, mit der sie nach seinem Kopf gezielt habe. Schließlich habe er sie mit einer Hand ins Gesicht geschlagen oder mit der Faust – „Ich weiß es nicht mehr“, sagt der Angeklagte. „Ich hatte einen Blackout. Als ich aufhörte, atmete sie nicht mehr. Es tut mir unendlich leid.“
Sein Bedauern und seine Reue kommen zu spät. Nach der Eskalation hatte er ihren Leichnam in eine schwarze Abdeckplane für Gartenmöbel verpackt und unter einer Decke im Schlafzimmer versteckt. Am folgenden Morgen brachte er seine Söhne zur Großmutter und rief selbst die Polizei.
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Alexander S. informiert selbst die Polizei
Sie sei gegen Mittag vom Martinshorn der Polizei und des Rettungswagens wach geworden, erzählte Karen H., die 20-jährige Tochter von Olga H. Sie wurde am dritten Verhandlungstag als Zeugin gehört, hatte sich unter der Bedingung, dass der Angeklagte nicht im Saal sein dürfe, dazu bereit erklärt, auszusagen. So wurde Alexander S. in Handschellen abgeführt, bevor seine Stieftochter den Saal betrat. Auch wenn sie in der Nacht zum 9. März im Obergeschoss nichts von dem Streit und dessen folgenschweren Ausgang mitbekommen hatte, konnte sie doch einiges von der Beziehung und wie ihre Mutter sie gesehen hatte, berichten.
So habe ihr Stiefvater Alexander S. seine Frau auch zuvor schon zweimal gewürgt. Das habe ihr Olga H. zumindest erzählt. „Meine Mutter war sehr unglücklich“, sagt die junge Frau. „Sie fühlte sich nicht wertgeschätzt und sie hat sich sehr danach gesehnt, geliebt zu werden.“ Weil sie Angst vor dem Alleinsein gehabt habe, habe sie sich nicht trennen wollen. Olga H. habe die glückliche Beziehung ihrer Tochter gesehen. „Ich glaube, so etwas hat sie sich auch gewünscht“, sagt Karen H. Sie habe ein starkes Interesse gehabt, wieder eine Beziehung zu ihrem Ex-Mann, Karen H.s leiblichen Vater, aufzunehmen. Im Interesse ihrer Halbbrüder habe sie aber versucht, dies ihrer Mutter auszureden.
Bei dem Abendessen zum Weltfrauentag ist reichlich Wodka geflossen
An dem Abend des 8. März 2023 sei ihre Mutter sehr betrunken gewesen, dies habe sie auch an ihrer undeutlichen Aussprache gemerkt. Während des Essens habe man einige Wodka-Shots getrunken. Auf Nachfrage der Richterin Beate Sager, sagt sie, dass ihre Mutter wohl ein Alkoholproblem gehabt habe. Als der Verteidiger des Angeklagten nachfragte, ob ihre Mutter bipolar gewesen sein könnte, wie die 20-Jährige es wohl gegenüber der Polizei gesagt habe, wies die junge Frau dies aber wieder zurück: „Als ich das gesagt habe, hatte ich kein genaues Bild dieser Krankheit“, betonte sie.
Karen H. hat mittlerweile eine eigene Wohnung gefunden, sie ist einmal in der Woche in Therapie und sucht einen Ausbildungsplatz. Ihr älterer Halbbruder sei sehr verschlossen, sei an seiner Therapie nicht mehr interessiert. Für den Kleinen, der im März drei Jahre alt war, werde gerade ein Therapieplatz gesucht. Beide lebten jetzt bei der Großmutter, aber sie helfe ihr oft mit den Kindern. Der Jüngere spreche oft vom Tod seiner Mutter: „Er hat gesagt, Papa habe Mama geschlagen und er wollte sie retten, aber Papa habe nicht aufgehört“, erzählt Karen H. „Er hat ein Bild gemalt– mit sehr viel Blut.“
Der Prozess wird am Dienstag, 21. November, fortgesetzt. Bislang sind noch drei Termine eingeplant.