Aumühle/Lübeck. Prozess am Landgericht Lübeck: Kurz vor der Tat soll die 41-Jährige ihrem früheren Mann ihre Liebe gestanden haben.

Man muss der russischen Sprache nicht mächtig sein, um zu erahnen, dass es nichts Nettes ist, das der Ex-Mann von Olga H. (alle Namen geändert) zu dem Mann sagt, der seine geschiedene Frau mutmaßlich zu Tode gewürgt hat. Am zweiten Verhandlungstag am Freitag, 10. November, vor dem Landgericht Lübeck verliert der 41-Jährige beim Anblick des Angeklagten die Fassung. Es fallen russische Schimpfwörter, die die Dolmetscherin nicht übersetzen will. „Du hast vier Kinder ohne Mutter hinterlassen“, brüllt er den Angeklagten an. Momente später kommt eine Schar Sicherheitsmitarbeiter in den Saal, um die Situation unter Kontrolle zu bringen.

Seit dem 3. November muss sich Alexander S. wegen Totschlag vor Gericht verantworten. Der 54-Jährige soll in der Nacht zum 9. März seine 41 Jahre alte Ehefrau in der gemeinsamen Wohnung in der Großen Straße in Aumühle nach einem Streit zu Tode gewürgt haben. Zuvor hatten sie gemeinsam mit der Familie den Weltfrauentag gefeiert. Das Paar hatte zwei gemeinsame Söhne, die Getötete zwei erwachsene Kinder, einen Sohn und eine Tochter, aus erster Ehe. Sowohl Alexander S. als auch Olga H. sollen am Tatabend alkoholisiert gewesen sein.

Der Ex-Mann hat noch kurz vor ihrem Tod mit Olga H. telefoniert

Was genau zwischen den Eheleuten passierte, bleibt auch am zweiten Verhandlungstag unklar. Der Angeklagte schweigt wie schon beim Prozessauftakt. Als Zeugen werden Mitarbeiter von Polizei und Staatsanwaltschaft, ein Nachbar und Familienangehörige gehört – darunter auch der Ex-Mann, mit dem Olga H. von 2000 bis 2009 verheiratet gewesen war. Laut seiner Aussage habe er noch am Tatabend kurz vor ihrem Tod mit seiner Ex-Frau telefoniert – einmal am frühen Abend und wenige Stunden später noch einmal.

„Sie hat gesagt, dass sie mich mein ganzes Leben geliebt hat und bis heute liebt“, sagt der 41-Jährige. Das habe sie in all den Jahren nach ihrer Scheidung so noch nie gesagt. Ihr Mann Alexander S. soll das mitgehört haben. Das hat der Ex-Mann damals der Polizei gesagt. Als er sie nach ihrem Liebesgeständnis gefragt habe, wo ihr Mann ist, soll Olga H. gesagt haben: Er sitzt neben mir. Ihr Ex-Mann habe gemerkt, dass sie stark betrunken gewesen ist. „Ich habe ihr gesagt, dass sie ins Bett gehen soll und wir morgen weiterreden“, sagt er.

Das Verhältnis zwischen den Eheleuten soll schon lange schlecht gewesen sein

Doch dazu kam es nicht. Nachdem er seine Frau erwürgt haben soll, soll Alexander S. sich selbst bei der Polizei gemeldet haben. Die Beamten fanden den Leichnam in einer schwarzen Plane eingehüllt im Schlafzimmer. Am nächsten Tag hat Alexander S. die beiden jüngsten Kinder der Mutter der Getöteten gebracht – ohne zu berichten, was passiert war. Kurz darauf setzte er den Notruf ab.

In der Nacht zum 9. März soll der Angeklagte in der gemeinsamen Wohnung in der Großen Straße in Aumühle seine Frau erwürgt haben.
In der Nacht zum 9. März soll der Angeklagte in der gemeinsamen Wohnung in der Großen Straße in Aumühle seine Frau erwürgt haben. © Birte Keller | Birte Keller

Die Mutter des Opfers tritt bei dem Prozess als Nebenklägerin auf. Auch sie wird am zweiten Verhandlungstag vor Gericht gehört. Das Verhältnis zwischen ihrer Tochter und deren Ehemann sei schon länger schlecht gewesen. „Meine Tochter hat mir erzählt, dass er ihr das Leben zur Hölle macht“, sagt sie. Alexander S. habe nicht gearbeitet, sich nicht um den Haushalt gekümmert. „Meine Tochter hat das ganze Geld verdient“, so die Mutter. Alexander S. habe stets die Hälfte davon für sich beansprucht.

2021 wollte Olga H. ihren Mann wegen häuslicher Gewalt anzeigen

Auch Gewalt soll es in der Beziehung gegeben haben. Das berichtet auch ein Mitarbeiter der Lübecker Staatsanwaltschaft, bei dem Olga H. sich 2021 wegen eines Vorfalls von häuslicher Gewalt gemeldet hatte. Es hatte zwar ein Telefongespräch gegeben, zu einer Verhandlung kam es aber nicht. „Die Frau hat gesagt, wenn er eine Geldstrafe bezahlen muss, wird es sowieso aus der gemeinsamen Familienkasse bezahlt“, so der Zeuge. Damals habe es kurzzeitig eine räumliche Trennung gegeben. Doch Olga H. soll wieder Kontakt zu ihrem Mann aufgebaut haben, weil sie und die Kinder ihn vermisst hätten.

Auch die Mutter habe von ihrer Tochter von Gewalt zwischen den Ehepartnern gehört. „Sie wollte sich trennen, er wollte das aber nicht und hat ihr Angst gemacht“, so die Mutter des Opfers. Mehrere Stunden lang wird die Mutter am Freitag vor dem Landgericht Lübeck befragt. Sechs der insgesamt elf geladenen Zeugen können deshalb nicht gehört werden und werden zu einem Folgetermin geladen, darunter auch der erwachsene Sohn und die Schwester des Opfers.

Die Mutter der Opfers wurde mehrere Stunden vernommen

Immer wieder verstrickt die Mutter sich während der Befragung vor Gericht in widersprüchliche Aussagen, muss von Richterin Gesine Brunkow an ihre Wahrheitspflicht erinnert werden. Lässt sie doch zunächst kaum ein gutes Haar an ihrem Schwiegersohn und sagt, er habe ihre Tochter terrorisiert und ausgenutzt, habe ihr vorgeworfen, zu dick zu sein und nicht zu putzen, räumt sie später ein, dass sie das meiste nur aus Erzählungen ihrer Tochter wisse. Sie selbst sei nur ein einziges Mal dabei gewesen, als der Angeklagte nach einem Streit geschrien hat. Ansonsten habe sie selbst ihn nie laut oder impulsiv erlebt. Ihre Tochter, das hat sie gegenüber der Polizei gesagt, sei kein einfacher Mensch gewesen, habe ihren Mann möglicherweise provoziert. „Sie waren beide für sich gute Menschen“, so die Mutter des Opfers. „Aber sie passten einfach nicht zusammen.“

Auch interessant

Der Angeklagte selbst zeigt während der Verhandlung kaum eine Regung. Doch als er hört, was seine Schwiegermutter über die Kinder erzählt, weint er. Die beiden jüngeren Söhne, drei und zwölf Jahre alt, leben seit der Tat bei ihrer Großmutter. „Sie weinen viel und machen beide eine Therapie“, sagt sie. Der ältere Sohn sei sehr ruhig. Der jüngere brauche viel Aufmerksamkeit, habe Angst, wenn jemand laut spricht, wolle nicht einmal allein auf die Toilette gehen. „Wenn er andere Mütter mit Kindern sieht, fragt er, wo seine Mama ist“, so die Großmutter. Das zu hören, ging offenbar nicht spurlos an dem Angeklagten vorbei. Der Prozess wird am Freitag, 17. November, fortgesetzt. Dann, so kündigte der Verteidiger an, werde sich der Angeklagte selbst zu Wort melden.