Schwarzenbek. Beim Anteil Junger an der Bevölkerung ist Schwarzenbek Spitzenreiter. Doch es fehlt an Freizeitangeboten. Experten suchen Lösungen.

Schwarzenbek ist eine der jüngsten Städte in Schleswig-Holstein: Sowohl was die Verleihung der Stadtrechte im Jahr 1953 angeht als auch bei der Zusammensetzung seiner Bevölkerung. 19,9 Prozent der Bürger (Stand 2021) sind jünger als 18 Jahre. Damit liegt Schwarzenbek im Land auf Platz eins, gefolgt von Kaltenkirchen (19 Prozent) und Rendsburg (18,9 Prozent). Aber trotzdem gibt es massive Defizite - sowohl bei der Kinderbetreuung als auch bei den Bewegungsangeboten. Das soll sich ändern.

Dreh- und Angelpunkt soll ein neues Netzwerk aus allen Institutionen und Vereinen werden, die sich um Kinder in der Stadt kümmern und künftig enger kooperieren wollen – mit dem TSV als zentraler Anlaufstelle. Das Konzept steht unter dem Motto „Gesundheitsort Sportverein“ und ist eine Idee, die vom Landessportverband (LSV) initiiert worden ist. Der LSV hat fünf Modellstädte in Schleswig-Holstein ausgesucht, um die Idee in der Praxis zu erproben. Im Herzogtum Lauenburg ist Schwarzenbek dabei.

Schwarzenbek soll zu einem Gesundheitsort für die vielen jungen Bewohner werden

Mit 3000 Mitgliedern ist der TSV Schwarzenbek nicht nur der größte Verein in der Europastadt, sondern zugleich der größte Sportverein im Kreis. „Trotz unserer zahlreichen Angebote erreichen wir aber nur 34 Prozent der Kinder in der Stadt. Wenn man andere Vereine, bei denen Bewegung im Fokus steht, wie den Karateverein oder Tanzsportler dazuzählt, liegen wir vielleicht bei 40 Prozent. Das ist immer noch zu wenig“, bilanzierte TSV-Geschäftsführer Florian Leibold bei der Auftaktveranstaltung unter dem Motto „Schwarzenbek, wie geht es deinen Kindern?“ im Festsaal des Rathauses.

Phillip Elias ist Spezialist für Bewegungsberatung bei der AOK Nordwest. Er hat festgestellt, dass Kinder zu viel Zeit vor dem Computer und zu wenig auf dem Spielplatz verbringen.
Phillip Elias ist Spezialist für Bewegungsberatung bei der AOK Nordwest. Er hat festgestellt, dass Kinder zu viel Zeit vor dem Computer und zu wenig auf dem Spielplatz verbringen. © Stefan Huhndorf | Stefan Huhndorf

Wie groß das Interesse an dem Thema ist, hat selbst die Initiatoren um die beiden TSV-Geschäftsführer Florian Leibold und Mareike Neuber überrascht. Mehr als 70 Teilnehmer aus Schulen, Kitas, Schulsozialarbeit, Straßensozialarbeit, Jugendtreff, Jugendring, Jugendfeuerwehr und vielen anderen Institutionen kamen.

Es fehlt an einem Schwimmbad in der Europastadt

Die erste Bestandsaufnahme ist zwiespältig: Auf zwei Pinnwänden sammelten die Initiatoren, was gut ist in Schwarzenbek und was fehlt. Grundsätzlich steht die Europastadt mit ihren knapp 18.000 Einwohnern gar nicht schlecht da, da es ein Kino, den Pumptrack, viele Sporthallen und -plätze sowie eine Bücherei und zahlreiche Angebote von Vereinen, Familienbildungsstätte und Jugendzentrum für die jungen Schwarzenbeker gibt.

TSV-Geschäftsführerin Mareike Neuber erläutert das Konzept des Pilotprojekts
TSV-Geschäftsführerin Mareike Neuber erläutert das Konzept des Pilotprojekts "Gesundheitsort Sportverein" und sammelt Ideen für bessere Angebote in der Europastadt. © Stefan Huhndorf | Stefan Huhndorf

Was definitiv fehlt, ist eine Schwimmhalle. Aber auch Angebote für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen sowie niedrigschwellige Angebote, die nichts kosten und für die keine Mitgliedschaft in einem Verein erforderlich ist. Trotz der hohen Zahl an Sportstätten kommen diese aber an ihre Kapazitätsgrenzen, sodass auch der Ruf nach einer weiteren Turnhalle lauter wird.

Sehr großes Interesse bei den Akteuren an einer besseren Kinder- und Jugendarbeit

„Wir freuen uns, dass heute so viele Akteure gekommen sind, die bestimmt viele neue Ideen einbringen. Es wäre toll, wenn ein Netzwerk entstünde, das aus eigener Kraft fortbesteht. Das ist aber leider selten der Fall. Meistens braucht es dafür hauptamtliche Unterstützung. Und die Manpower bei uns in der Stadtverwaltung ist angesichts der vielen aktuellen Projekte und Prozesse begrenzt“, mahnte Bürgermeister Norbert Lütjens. Hinsichtlich der Manpower dürfte der TSV einspringen. „Der Landessportverband hat uns unter anderem für die Pilotphase ausgesucht, weil unser Verein hauptamtlich geführt ist. Außerdem bekommen wir auch Geld für Verwaltungstätigkeiten aus dem Projekt“, so Florian Leibold.

Denn ein weiterer Aspekt ist das Geld. „Unsere Ressourcen sind begrenzt, auch wenn die Politik grundsätzlich gegenüber Projekten für die Kinder aufgeschlossen ist. Dennoch gibt es Verteilungskämpfe angesichts der vielen zu finanzierenden Projekte“, sagte Lütjens. Förderungen sowohl mit Konzepten als auch mit Geld haben die Sponsoren – Kreissparkasse und AOK Nordwest – am Abend zugesichert. „Wir setzen bei neuen Projekten auch auf unseren größten Arbeitgeber, LMT, der sehr engagiert in der Sportförderung für örtliche Aktivitäten ist“, so Florian Leibold.

Neue Angebote sollen Sport für alle attraktiv machen: Beispiel Inklusionsmannschaft

„Für uns ist das eine Herzensangelegenheit. Ich bin alter Schwarzenbeker und selbst in der Sporthalle groß geworden. Vor einem Jahr habe ich eine Inklusionsmannschaft bei den Handballern gegründet, weil es wenig Sportangebote für Menschen mit Behinderungen gibt“, sagte Thies Dieckert, Filialdirektor der Kreissparkasse in Schwarzenbek.

Wie groß der Bedarf an Bewegung ist, machte Phillip Elias von der AOK Nordwest deutlich. Haltungsschäden, Übergewicht und eine deutlich verschlechterte Motorik haben Experten im Vergleich der letzten zehn Jahre festgestellt. „Nur zehn Prozent aller Kinder bewegen sich ausreichend. Dabei ist es gerade in der kindlichen Entwicklung enorm wichtig, dass Mädchen und Jungen sich austoben. Das stärkt die Knochen, unterstützt die Gehirnentwicklung und schafft Selbstbewusstsein“, so der Bewegungsexperte der Krankenkasse.

Grundschulen und Kitas sind wichtig für ein gesundes Verhalten

Gerade Grundschulen und Kitas komme hier eine große Bedeutung zu, so Phillip Elias. Das sehen die Verantwortlichen offensichtlich ebenso. Mit bei den Teilnehmern waren unter anderem Kitaleiterin Christina Bethien und die Leiterinnen der beiden Grundschulen, Bettina Kossek und Liane Maier. „Gesunde Ernährung und Bewegung müssen schon früh im Bewusstsein der Kinder verankert werden, damit das im späteren Leben ganz normale Verhaltensweisen für sie werden“, so Elias weiter.

Eine wichtige Rolle haben aber auch die Sportvereine, die niedrigschwellige Angebote ohne Vereinszugehörigkeit, Sprachbarrieren und hohe Beiträge schaffen müssen, so eine Forderung Elias‘, die auch Stadtjugendpfleger Sven Kaulbars teilt. „Wir haben den Stadtpark, in dem es jetzt den Pumptrack, die Boule-Bahn, Skater-Rampen und ein Beachfeld gibt. Am Grover Weg haben wir einen Unterstand und ein Basketballfeld. Alles wird von Kindern und Jugendlichen genutzt, es könnten aber mehr sein“, so Kaulbars. Sein Wunsch: „Wir bräuchten noch weitere fest installierte Sportgeräte und Aktionen oder Kurse, die das Interesse von Jugendlichen wecken. Nur mit solchen niedrigschwelligen Angeboten können wir diejenigen erreichen, die Probleme haben und sich isolieren“, sagt Kaulbars.

Gewalt und Kriege verstören die jüngsten Schwarzenbeker

Denn diese Gruppe gibt es durchaus in Schwarzenbek, und sie ist nicht klein. „Gewalt und Kriege beherrschen die Welt, und durch die Flut der Nachrichten in den Medien und sozialen Netzwerken sind viele Kinder und Jugendliche emotional stark belastet. Sie fühlen sich nutzlos, und viele Eltern sprechen nicht mit ihnen. Das führt zu sozialer Instabilität, Aggressionen und Gewalt“, so der Sozialpädagoge.

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Ein Wunsch Kaulbars‘ außer der besseren Ausstattung des Stadtparks, der ein neuer Treffpunkt für Jung und Alt in Schwarzenbek werden soll, war eine schnelle Vernetzung aller Akteure. Das scheint sich zu vollziehen. „Wir wollen enger kooperieren. Bislang hat es viele gute Aktivitäten gegeben, die nebeneinander herliefen. Das wollen wir ändern“, so Leibold. Angedacht sind neue Angebote, die vereinsübergreifend sind, aber auch eine bessere Ausnutzung der Kapazitäten. „Wir sind beispielsweise mit der Hallennutzung am Limit. Es gibt aber Sporträume in den Kitas, die nachmittags oder abends leer stehen. Da sind Kooperationen sinnvoll. Auch bei neuen Angeboten“, so Leibold. Das ist auch der Ansatzpunkt Kaulbars‘, der gern Yoga-Kurse, Fahrradsicherheitstraining und vieles mehr mit Kooperationspartnern aus der Stadt in den Stadtpark holen will.

Alle sind sich aber einig: Das Projekt geht in die nächste Phase. Das erste Netzwerktreffen ist schon für den Januar geplant.