Ratzeburg. Rechtspopulistische Partei hat weder einen Ausschussvorsitz noch Plätze in Aufsichtgremien bekommen – Protest war bereits vorbereitet.

Es war die letzte Sitzungseröffnung von Ex-Kreispräsident Meinhard Füllner und die Feuerprobe für seine mit breiter Mehrheit gewählte Nachfolgerin Anja Harloff: die konstituierende Sitzung des neu gewählten Kreistags in der Lauenburger Gelehrtenschule am Donnerstagabend. Erstmals ist die AfD in Fraktionsstärke dabei und die anderen Parteien hatten sich – mit Ausnahme der Grünen – offensichtlich abgesprochen, der rechtspopulistischen Partei keinen Ausschussvorsitz und keinen Platz in den Aufsichtsräten zu geben.

Holger Stienen fiel bei der Wahl des Vorsitzenden des Forstausschusses durch. Erika Damerow wurde nicht zur stellvertretenden Vorsitzenden des Jugendhilfeausschusses gewählt, und die vorgeschlagenen AfD-Kandidaten für Aufsichtsgremien von Kreissparkasse und AWSH wurden auch durch Politiker anderer Parteien ersetzt. Einen inhaltlichen Austausch gab es nicht. Lediglich verhaltene Proteste seitens der AfD. „Das ist eine Farce“, wetterte André Marcel Peemöller. „Die Sitze stehen uns nach dem Proporz zu“, sagte René Franke.

AfD-Politiker fallen bei den Abstimmungen über Gremien durch

Der durch Überhangmandate auf 63 Sitze angewachsene Kreistag – Sollstärke sind 45 Abgeordnete, in der Wahlzeit 2018 bis 2023 waren es 49 – tagte zudem unter Polizeischutz. Immer wieder umkreisten Funkstreifenwagen das Gelände und patrouillierten in Ratzeburg, weil sich AfD-Gegner in sozialen Netzwerken zu Störaktionen verabredet hatten. „Die Protestaktion blieb aber aus. Es ist alles ruhig geblieben“, sagte Polizeisprecherin Jacqueline Fischer.

Vergleichsweise ruhig blieb es auch im Sitzungssaal. Die Parteien hatten sich vorab über den Umgang mit der AfD verständigt, nur die Grünen waren offenbar nicht eingebunden. „Was wir hier tun, ist demokratisch das Richtige, aber wir müssen nach den heutigen Abstimmungen auch wieder zum Konsens zurückfinden“, sagte der neue Grünen-Fraktionschef Marcus Worm. „Mit uns war das so nicht abgestimmt“, fügte er hinzu.


Meinhard Füllner eröffnet seine letzte Kreistags-Sitzung in der Lauenburgischen Gelehrtenschule. Danach geht er nach mehr als fünf Jahrzehnten in den Politik-Ruhestand.
Meinhard Füllner eröffnet seine letzte Kreistags-Sitzung in der Lauenburgischen Gelehrtenschule. Danach geht er nach mehr als fünf Jahrzehnten in den Politik-Ruhestand. © Kreis Herzogtum Lauenburg | Kreis Herzogtum Lauenburg

Rechtspopulisten hatten bereits eine Pressemitteilung über ihren Protest vorbereitet

Für die AfD selbst war das Abstimmungsverhalten offensichtlich keine Überraschung. Auch in den Kreistagen von Stormarn und Pinneberg waren die vorgeschlagenen Fraktionsvorsitzenden mit AfD-Parteibuch durchgefallen. Anders im Kreis Segeberg: Nachdem der Segeberger Kreistag den Rechtspopulisten mehrheitlich wieder die Leitung des Bauausschusses übertrug, entschied sich die Stadtvertretung in Kaltenkirchen ähnlich, hier fiel bei der Besetzung der Gremien sogar der Umwelt-, Klima- und Naturausschuss an die Partei.

Norbert Brackmann überreicht Anja Harloff nach ihrer Wahl zur Kreispräsidentin die Glocke mit der Sitzungen eröffnet werden oder für Ruhe gesorgt werden kann.
Norbert Brackmann überreicht Anja Harloff nach ihrer Wahl zur Kreispräsidentin die Glocke mit der Sitzungen eröffnet werden oder für Ruhe gesorgt werden kann. © Kreis Herzogtum Lauenburg | Kreis Herzogtum Lauenburg

Die Politiker in Ratzeburg verfuhren indes so wie ihre Stormarner und Pinneberger Kollegen. AfD-Fraktionschefin Andrea Schröder hatte dann zum Ende der fünfstündigen Sitzung auch eine vorbereitete, ausgedruckte Pressemitteilung zur Hand, in der sie ihren Protest gegen das Verhalten der anderen Parteien zum Ausdruck brachte. „Die AfD-Fraktion Herzogtum Lauenburg protestiert gegen die Entscheidungen der Fraktionen von CDU, SPD, Grünen und FDP auf der konstituierenden Kreistagssitzung am 29. Juni 2023. Die AfD wurde von der ihr nach Fraktionsgröße zukommenden Mitwirkung in den Gremien der AWSH und der Kreissparkasse Herzogtum Lauenburg politisch ausgeschlossen“, teilt Andrea Schröder mit. „Auch haben die Fraktionen der Altparteien der AfD den ihr zukommenden Ausschussvorsitz des Ausschusses Forsten verweigert und damit durch demokratiefeindliches Verhalten die Kreistags- und Ausschussarbeit belastet“, so Schröder weiter. Ihre Partei behalte sich rechtliche Schritte vor.

Die neu gewählte Kreispräsidentin Anja Harloff verpflichtet den Kreistagsabgeordneten Samuel Bauer (SPD) aus Geesthacht.
Die neu gewählte Kreispräsidentin Anja Harloff verpflichtet den Kreistagsabgeordneten Samuel Bauer (SPD) aus Geesthacht. © Kreis Herzogtum Lauenburg | Kreis Herzogtum Lauenburg

Es gab aber keinen laut geäußerten Protest, sondern die sechs AfD-Politiker verließen im Laufe der fortgeschrittenen Sitzung nach und nach den Saal. Holger Stienen, der den Vorsitz im Forstausschuss anstrebte, wartete das Ergebnis gar nicht erst ab. Er hatte offenbar eine Reise geplant, weil er mit Rollenkoffer und Rucksack an die Wahlurne ging, seinen Stimmzettel einwarf und dann den Raum verließ.

Abstimmung über Kreispräsidentin in geheimer Wahl

Was war passiert: Die konstituierende Sitzung hatte sich ohnehin erheblich in die Länge gezogen, weil die AfD für wichtige Positionen wie Kreispräsidentin und deren Stellvertreter geheime Wahlen gefordert hatte. Für die Besetzung der Ausschussvorsitzenden hatte dagegen die SPD geheime Wahl gefordert und zusätzlich eine Abstimmung über jede einzelne Position entgegen der ebenso möglichen Wahl im Block.

Trotz der Verzögerungen ging die Wahl von Kreispräsidentin Anja Harloff (CDU) sowie deren Stellvertreterinnen Gitta Neemann-Güntner (SPD) und Annedore Granz (Grüne) glatt über die Bühne. Alle bekamen eine breite Mehrheit, Anja Harloff erzielte mit 49 Ja-Stimmen sogar das beste Ergebnis des Trios. Auch die stellvertretenden Landräte, Norbert Brackmann (CDU) und Jens Meyer (SPD), wurden mit breiter Mehrheit gewählt.

Schwierig wurde es dann bei den Ausschussvorsitzenden. Sechs Ausschüsse hat der Kreistag. Für drei Ausschüsse (Haupt- und Innen, Jugendhilfe, Regionalentwicklung und Mobilität) stellte die CDU mit Norbert Brackmann, Anja Reimann und Michael Sauerland die Vorsitzenden. Die SPD sitzt mit Gitta Neemann-Güntner dem Sozial-, Bildungs- und Kulturausschuss vor. Grünen-Politiker Oliver Brandt leitet den Ausschuss für Klimaschutz, Umwelt und Energie. Da AfD-Mann Stienen nicht zum Vorsitzenden des Forstausschusses gewählt wurde, wird dieser Posten vom stellvertretenden Vorsitzenden Ingo Westphal (CDU) übernommen.

Ex-Kreispräsident mahnt intellektuelle Mittel gegen Populismus an

Das ist allerdings eine Interimslösung. Nach der bisherigen Gesetzeslage kann der Stellvertreter einen Ausschuss nur fünf Monate leiten, wenn kein Vorsitzender gewählt wurde. Dann muss neu entschieden werden. Bis dahin gilt es, Lösungen zu finden und die Sacharbeit aufzunehmen. „Es ist jetzt wichtig, die Demokratie zu pflegen und Angriffe auf diese abzuwehren. Aber Demokraten müssen auch Kompromissfähigkeit beweisen und mit intellektuellen Mitteln populistische Thesen entlarven“, gab Meinhard Füllner den Politikern in seiner Abschiedsrede mit auf den Weg. Zugleich warnte er vor einer „rauhen Rhetorik“ und mahnte eine gepflegte Debattenkultur an. „Der Wille zur gemeinsamen Lösung ist wichtig“, so Füllner.

Dafür will die neue Kreispräsidentin Anja Harloff eintreten. Der Dialog mit allen – von den Kommunen über die Vereine und die Kreispolitiker bis hin zu Landrat und Verwaltung ist ihr wichtig. „Es stehen große Entscheidungen und Themen an. Dazu zählt die wirtschaftliche Entwicklung genau so wie die kommunale Wärmeplanung und die Energiewende. Dabei denke ich auch an das Umspannwerk in Sahms. Bei allen diesen Themen müssen wir auch die Bürger mitnehmen. Die Leute dürfen sich von der Kreispolitik nicht abgehängt fühlen“, betonte die 56-Jährige, die erstmals in den Kreistag gewählt wurde und gleich für dieses Spitzenamt von der CDU vorgeschlagen wurde, weil sie als Bürgermeisterin ihres Heimatdorfes Kasseburg seit 2016 unter Beweis gestellt hat, dass sie vermitteln kann.