Hamburg. Reinhard Quast beschneidet 70.000 Bäume, pflanzt nach und vermarktet die Ernte 2015. Ein Gutteil wird auch exportiert.
Milde Luft, Temperaturen um zehn Grad, die Sonne scheint am diesigen Himmel. Frühling liegt in der Luft, dabei ist der Winter längst nicht vorbei. Obstbauer Reinhard Quast, der in Neuenfelde auf 23 Hektar Äpfel anbaut, greift zur Druckluftschere und kappt die Zweige eines jungen Baums der Sorte Elstar. „Jetzt beginnt die heiße Zeit“, sagt Quast und meint damit nicht das Wetter. Vielmehr gilt es, innerhalb von zwei Monaten knapp 70.000 Apfelbäume zu beschneiden und fit für die Blüte zu machen.
Wenn im April die Obstbäume zu blühen beginnen, wird das Alte Land zum Anziehungspunkt für Ausflügler. Sie kommen im Sommer, um Kirschen, im Herbst um Äpfel und Birnen einzukaufen. In der kalten Jahreszeit, so scheint es, liegt das Alte Land im Winterschlaf. Aber Obstbauern wie Reinhard Quast, 55, und sein Sohn Johannes, 28, haben alle Hände voll zu tun. „Im Winter machen wir alles, was wir im Sommer nicht schaffen“, sagt Johannes Quast. „Büroarbeit, Maschinenpflege und -reparatur. Und natürlich den Baumschnitt.“
Auch die Vermarktung laufe weiter auf Hochtouren, sagt Reinhard Quast. Etwa die Hälfte seiner Ernte 2015, die gut, aber witterungsbedingt relativ spät abgeschlossen war, sei bislang verkauft. Die verbliebene Hälfte verteilt sich auf drei Lager: Das kleine, hauseigene für den schnellen Zugriff sowie zentrale Lagerstätten der Vermarktungsgesellschaft Elbe-Obst und der Obstlagergenossenschaft Neuenfelde. In hochtechnisierten Hallen lagern die Äpfel in einer kontrollierten Atmosphäre: Die Temperaturen liegen – je nach Sorte – bei einem bis drei Grad; die Luftfeuchtigkeit beträgt 90 Prozent und der Sauerstoffgehalt 1,2 bis 1,8 Prozent.
Vier Mann brauchen 30 bis 35 Tage,bis alle Bäume hergerichtet sind
Diese Bedingungen halten die Äpfel so frisch, dass sie bis zum Beginn der nächsten Ernte vermarktet werden können. So gibt es rund ums Jahr frische Äpfel aus dem Alten Land und anderen mitteleuropäischen Obstbauregionen. Früher habe er mehr Obst selbst vermarktet, heute laufe die eigene Sortiermaschine nur noch, wenn Aktionsware versandfertig gemacht werde, sagt Quast. „Wenn ein Discounter große Mengen in Beuteln abgepackter Äpfel ordert, dann helfen wir der Elbe-Obst.“ Ansonsten fährt der Obstbauer seine frisch gepflückten Früchte gut einen Kilometer um die Ecke, zur Sortier- und Abpackstation Neuenfelde von Elbe-Obst. Dort werden sie eingelagert und nach und nach an den Lebensmittel-Einzelhandel vermarktet.
Ein Gutteil wird auch exportiert, bei Kernobst (Äpfel, Birnen) sind es bis zu 15 Prozent. Zu den klassischen Abnehmern gehörte auch Russland. „Wir leiden unter dem Handelsembargo“, sagt Quast. „In Russland sind große rote Äpfel beliebt, etwa der Red Prince. Dieser Markt ist weggebrochen.“
Die Elbe-Obst kennt die Lagerbestände der einzelnen Sorten und Betriebe. „Ich bekomme einen Anruf, wenn sie auf meine Äpfel zugreift“, erläutert Quast. Die georderte Charge wird dann in großen Kisten zur Sortieranlage gefahren. Dort werden die Kisten in ein Wasserbad abgesenkt, sodass die Äpfel aufschwimmen. Auch der weitere Transport erfolgt auf dem Wasserweg, das schützt vor Druckstellen.
Das Kernobst treibt durch eine Kamerastation, die Größe, Färbung und mögliche Schadstellen erfasst – allein zur Größenbestimmung entstehen pro Apfel rund ein Dutzend Aufnahmen. Die computergesteuerte Sortierung kann die Früchte an 15 verschiedene Ausgabepunkte schwemmen – von der Station für Bilderbuchäpfel mit rund 75 Millimeter Durchmesser und gleichmäßiger Färbung bis zum Auslass der Ausschussware für die Apfelmusproduktion oder Mosterei.
Mit dieser Technik kann Quast nicht mithalten, er lässt seine Äpfel zu 100 Prozent von der Elbe-Obst vermarkten. Aber auf seinem Obsthof bleibt genug Arbeit übrig, gerade im zeitigen Frühjahr. Dann läuft der Obstschnitt. Dieser muss vor der Blüte beendet sein, darf aber nicht zu früh beginnen. Zu starker Frost würde die frisch beschnittenen Bäume gefährden. Auch müssen die Blütenansätze sichtbar sein, denn sie sind das Kriterium dafür, wie stark der Baum zu beschneiden ist. Zu viele Blüten würden dazu führen, dass der Baum sehr viel Äpfel produziert. Als Folge würde er im nächsten Jahr nur wenige Früchte ansetzen. Die Obstbauern versuchen, jedes Jahr beim Ertrag in etwa die goldene Mitte zu treffen.
Pro Hektar stehen auf dem Obsthof Reinhard Quast 3000 schwachwüchsige Apfelbäumchen, die eine Höhe von rund drei Metern erreichen. Bei einer Betriebsgröße von 23 Hektar warten also 69.000 Gewächse darauf, gestutzt zu werden. Zusammen mit zwei Helfern durchkämmen Vater und Sohn mit einer selbstfahrenden Hebebühne in Schrittgeschwindigkeit die Baumreihen und setzen im Sekundentakt ihre mit Druckluft betriebenen Scheren an. 30 bis 35 Tage ist das Quartett im Gelände unterwegs, bis alle Bäume hergerichtet sind. Nur an regenreichen Tagen muss es pausieren, weil dann die Infektionsgefahr für die frischen Schnittstellen zu groß ist.
Im Winter ist auch Pflanzzeit. „Die Bäume müssen gesetzt werden, bevor sie Blätter treiben“, sagt Quast. Jedes Jahr rodet der Obstbauer etwa 1,5 Hektar, um neue Sorten wie Kanzi, Pink Lady oder Red Prince zu integrieren, „sein Sortiment auf dem Laufenden zu halten“, wie er es nennt. Das heißt, bei ihm werden die Bäume durchschnittlich nicht einmal 20 Jahre alt. Zu den Newcomern im Alten Land zählt auch der Braeburn. „Die Sorte hat eine relativ lange Entwicklungszeit von der Blüte bis zur Ernte. Wohl durch den Klimawandel hat sich bei uns die Vegetationszeit verlängert, sodass hier jetzt auch der Braeburn reif wird.“ Die Hochleistungssorten setzen bereits im zweiten Jahr nach der Pflanzung Früchte an, spätestens im vierten Jahr liefern sie den vollen Ertrag.
Für die nächsten Wochen bevorzugendie Quasts trockenes, kühles Wetter
Jedes Jahr werden im Betrieb Quast rund 4500 Bäume gerodet und ersetzt. Vor dem Pflanzen steht das Bauen von Gerüsten, an denen die Spindelbäumchen aufwachsen. Alle paar Meter recken sich zudem längere Pfähle gen Himmel. Sie dienen zur Befestigung von Netzen, die die heranreifenden Früchte im Sommer vor Hagelschlag schützen. Quast: „Hagel kann in wenigen Minuten eine ganze Ernte vernichten. Die Früchte werden beschädigt und verderben am Stamm. Da Unwetter im Sommer häufiger werden, haben wir uns die Netze angeschafft. Man kann sich zwar auch gegen Hagelschlag versichern. Aber wenn sich die Schäden häufen, wird die Versicherung entsprechend teurer.“ Für die nächsten Wochen wünschen sich Vater und Sohn eine trockene, kühle Witterung, damit die Vegetation nicht zu früh startet. Das lässt ihnen genug Zeit für den Baumschnitt und beugt Frostschäden vor. Damit auch die Ernte 2016, wie 2014 und 2015, zu den besseren zählt.