Hollenstedt. Ministerin legt Grundstein im Landkreis Harburg. Unternehmen will mit neuem Hauskonzept schnell und nachhaltig Sozialbauten errichten.

Ein Bauunternehmen aus dem Landkreis Stade will den Sozialen Wohnungsbau in Deutschland revolutionieren. Der Massivhausanbieter Viebrockhaus mit Sitz in Harsefeld will mit einem neuen Hauskonzept, bei dem nachhaltig, energieeffizient und flächensparend Wohnungen dank Serienzertifizierung besonders schnell errichtet werden können, einen Beitrag zur Entschärfung der aktuellen Wohnungsnot leisten. Am Montag wurde in Hollenstedt die erste Grundsteinlegung für das von Viebrock entwickelte „Power Townhouse“ zelebriert. Mit dabei war Bundesbauministerin Klara Geywitz.

Deutschland brauche mehr bezahlbaren und zugleich nachhaltig gebauten Wohnraum, sagte die Ministerin. „Die Bundesregierung investiert daher die Rekordsumme von 18,15 Milliarden Euro bis 2027 in den sozialen Wohnungsbau.“ Auch die Baubranche arbeite ihrerseits an Lösungen, so wie der Massivhausanbieter Viebrockhaus. Das sei beispielhaft: „Es kann uns nicht kalt lassen, wenn Menschen aus systemrelevanten Berufen, wie Busfahrer oder Krankenpflegerinnen, keinen bezahlbaren Wohnraum mehr finden“, sagte die Ministerin bei der Grundsteinlegung. In Deutschland fehlen etwa 800.000 bis 900.000 Wohnungen. Das Land brauche mindestens 400.000 zusätzliche Wohnungen im Jahr, bestätigte die Ministerin dem Abendblatt.

Aus dem Landkreis Harburg: hochwertiger Wohnraum für Menschen mit schmalem Geldbeutel

Dieses Ziel hat die Ampelkoalition bisher noch in keinem Jahr erreicht. „Wir schaffen gerade einmal 300.000 Wohnungen. Baukosten, Bodenpreise, Bauverordnungen und komplizierte Genehmigungsverfahren erschweren ein Vorankommen“, so Geywitz. Das Konzept von Viebrock setze hier an: „Mit diesem Projekt entsteht hochwertiger Wohnraum auch für Menschen mit schmalem Geldbeutel – ohne Abstriche bei Ökologie und Nachhaltigkeit. Und außerdem wird es auch noch sehr schön“, sagte die Ministerin. Zurzeit sei Bauen in Deutschland sehr teuer und dauere einfach zu lange. „Zudem haben wir begrenzte Baukapazitätzen und ein Riesenthema ist die Planungsbeschleunigung. Daran arbeiten wir und die Länder.“

Maurermeister Rainer Schmidt (von links), Bundesbauministerin Klara Geywitz mit Dirk und Lars Viebrock bei der Grundsteinlegung. Eingemauert wurden Münzen, Baupläne - und ein Abendblatt. Verkleidet wurde die Stelle mit den Koordinaten des ersten Power Townhouse Deutschlands.
Maurermeister Rainer Schmidt (von links), Bundesbauministerin Klara Geywitz mit Dirk und Lars Viebrock bei der Grundsteinlegung. Eingemauert wurden Münzen, Baupläne - und ein Abendblatt. Verkleidet wurde die Stelle mit den Koordinaten des ersten Power Townhouse Deutschlands. © HA | Sabine Lepél

Das Thema Wohnen und bezahlbarer Wohnaum beschäftigt die Kommunen massiv – das war an der regen Teilnahme bei der Grundsteinlegung im Hollenstedter Zentrum abzulesen, bei der sehr viele Bürgermeister und Bürgermeisterinnen anwesend waren sowie Vertreter aus den Bauämtern, um sich aus erster Hand über das „Power Townhouse informieren zu lassen. „Wir können hier ein wegweisendes Konzept präsentieren, das hoffentlich bald von vielen anderen Städten und Gemeinden aufgegriffen wird“, sagte Viebrock-Geschäftsführer Lars Viebrock.

In nur 73 Tagen soll das Gebäude zunächst als Musterhaus an den Start gehen

Power Townhouses seien ein zukunftsfähiges Modell für den sozialen Wohnungsbau: „Weil sie dank der Serienzertifizierung bürokratischen Aufwand einsparen und gleichzeitig flächensparend, nachhaltig und energieeffizient sind. Unsere Power Townhouses sind schnell gebaut, eine Serienzertifizierung ist dank der Unterstützung aus dem Landkreis Stade kurz vor dem Abschluss“, verkündete Unternehmensmitinhaber Dirk Viebrock. Er nannte bereits den genauen Zeitpunkt der Fertigstellung: „Am 27. Juni um 10 Uhr sehen wir uns hier zur Einweihung wieder.“ Bisher wurde in Hollenstedt die Bodenplatte gelegt und Fensterelement als Bauteile eingesetzt. In nur 73 Tagen soll das Gebäude zunächst als Musterhaus an den Start gehen und anschließend in die Vermietung. „Wir sind in der Lage, 1000 Stück davon zu bauen“, so Lars Viebrock.

Mit einer Serienzertifizierung wäre eine Baugenehmigung bereits im Vorfeld gesichert. Die Bauämter müssten lediglich über die Bebauung des Grundstücks entscheiden, was zu einer schnellen Entscheidung führen soll. „Der Geschwindigkeitsvorteil ist also beachtlich“, sagte Lars Viebrock, einer von drei Brüdern, die das Unternehmen in dritter Generation gemeinsam leiten. Die Power Townhouses seien die Antwort auf den wachsenden Bedarf an kostengünstigem, sozialem Wohnungsbau, der schnell, praktisch, umweltverträglich, nachhaltig und ressourcenschonend realisiert werden könne.

Ministerin Klara Geywitz betont bei ihrer Rede in Hollenstedt die Wichtigkeit, mehr günstigen Wohnraum zu schaffen.
Ministerin Klara Geywitz betont bei ihrer Rede in Hollenstedt die Wichtigkeit, mehr günstigen Wohnraum zu schaffen. © HA | Sabine Lepél

Der Name bezeichnet Häuser mit mehreren nebeneinanderliegenden Wohneinheiten. Die Mieter wohnen Tür an Tür. „Das spart ungenutzte Verkehrsflächen wie Treppenhäuser und Flure und ermöglicht so die bestmögliche Flächenausnutzung. Außerdem fördert es die Privatsphäre und die Wohnzufriedenheit“, so Lars Viebrock.

Wohnungen sind barrierefrei, haben eine Terrasse und einen Garten

Der Wohnraum ist mit Wohnungsgrößen von 51 bis knapp 96 Quadratmeter flexibel zu kombinieren, um eine breite Zielgruppe anzusprechen - von Singles über Familien bis hin zu Senioren, die eine kleinere Wohnung wünschen. Alle Wohnungen sind barrierefrei, jede Wohneinheit verfügt über eine Terrasse und einen Garten. „Die eigene Grünfläche trägt zur Verbesserung der Lebensqualität bei. Zusätzlich kann ein Gründach auf einer der Dachseiten installiert werden“, so Lars Viebrock, der betont: „Alle Häuser erfüllen die höchsten Nachhaltigkeitskriterien der KfW-Bankengruppe.

Es werden ausschließlich ressourcenschonende und energie-sparende Baumaterialien verwendet. Und auf einer oder beiden Dachseiten wird eine Photovoltaikanlage vollflächig installiert.“ Der so erzeugte Strom und der geringe Energiebedarf der Power Townhouses trügen aktiv zur Entlastung der Stromnetze und zur Energiewende bei. „Die letzten Jahre haben gezeigt, dass die Nutzung nachhaltiger, regenerativer Energien eine weitsichtige und kluge Entscheidung ist, auch und gerade im sozialen Wohnungsbau“, ergänzt Dirk Viebrock.

Revolutionäre Häuser in Hollenstedt erzeugen Großteil ihres Energiebedarfs selbst

In Hollenstedt entstehen insgesamt fünf Wohneinheiten mit Wohnflächen von 50, 61, 75, 85 und 95 Quadratmetern. Optisch greift das Gebäude die örtliche Architektursprache auf: hellrote Klinker, Akzente in mattem Schwarz, anthrazitfarbene Türen und Fensterrahmen. Eine Photovoltaikanlage soll das Satteldach auf einer Seite vollständig bedecken und soviel Strom produzieren, das jeder Mieter damit noch 33.000 Kilometer im Jahr mit seinem Elektroauto fahren könnte, wie Lars Viebrock darstellte.

Dabei handelt es sich um das von Viebrockhaus entwickelte „Power Roof“, das aus hocheffizienten, bündig in das Dach integrierten Modulen besteht und bereits in der „Smart City“ von Viebrock in Harsefeld erprobt wird. „Damit erzeugen die Häuser einen großen Teil ihres Energiebedarfs selbst“, sagte Lars Viebrock. Auf der anderen Seite des Daches sorge eine Begrünung für ein natürliches Erscheinungsbild und ein hervorragendes Mikroklima. Jede Wohnung erhalte zudem eine eigene kleine Wärmepumpe.

Die Kosten für den Neubau beziffert Viebrock-Vorstand Wolfgang Werner auf etwa 4900 Euro pro Quadratmeter inklusive Grundstück. Die vorgesehenen Mietkosten in Hollenstedt sollen 7,20 Euro betragen, ortsüblich sind etwa zehn Euro pro Quadratmeter. Auch an anderen Orten sollen die Mieten für die Power Townhouses deutlich unter dem jeweiligen Mietspiegel liegen. Eine Mieterhöhung ist zudem nur alle fünf Jahre um höchstens 6,15 Prozent möglich.

Im freien Wohnungsmarkt kann alle drei Jahre um 15 Prozent erhöht werden. „Das Interesse vonseiten der Kommunen ist groß“, sagte Dirk Viebrock. Zwei weitere Projekte seien in der Stadt Stade sowie in Hammah im Landkreis Stade in der Pipeline. Umgesetzt werden soll die bauliche Innovation aber möglichst in ganz Deutschland, so die Viebrock-Brüder.