Harsefeld. Eine Autobatterie, die das Zuhause mit Strom versorgt? In Harsefeld ist das längst keine Utopie mehr. Wie das smarte Konzept funktioniert.

In einem Neubaugebiet in Harsefeld entstehen mit der „Smart City“ 19 Einfamilienhäuser der Zukunft: Sie sollen CO2-Neutralität erreichen und alle möglichen Innovationen aus dem klimafreundlichen Bauen mit nachhaltiger Energieerzeugung und -speicherung verbinden.

Dabei ist die Energieversorgung ein Aspekt geworden, der heute noch aktueller ist als bei der Grundsteinlegung im Oktober 2021. Denn die künftigen Bewohner des Quartiers sollen völlig unabhängig von den ständig steigenden Preisen des Energiemarktes werden und ihren Strom aus 100 Prozent erneuerbaren Energiequellen beziehen. Etwas, das sich inzwischen viele Menschen wünschen.

Der Staatssekretär nennt das Konzept eine „Super-Pionierleistung für ganz Deutschland“

Ein weiterer Schritt in diese Richtung wurde jetzt bei einem Besuch des Parlamentarischen Staatssekretärs im Bundeswirtschaftsministerium Stefan Wenzel (Grüne) in der „Smart City“ vollzogen: Der ehemalige niedersächsische Umweltminister gab den symbolischen Startschuss für das „bidirektionale Laden“, mit dem das eigene Elektroauto als zusätzlicher Stromspeicher fungiert und der Strom aus der Autobatterie bei Bedarf wieder in das Hausstromnetz eingespeist werden kann.

Staatssekretär Stefan Wenzel gibt den symbolischen Startschuss für das „bidirektionale Laden“, unterstützt von den Viebrock-Vorständen Lars (M.) und Dirk Viebrock.
Staatssekretär Stefan Wenzel gibt den symbolischen Startschuss für das „bidirektionale Laden“, unterstützt von den Viebrock-Vorständen Lars (M.) und Dirk Viebrock. © HA | Sabine Lepél/Viebrock

Wenzel nannte die Innovation „eine Super-Pionierleistung für ganz Deutschland“. „Was Sie hier machen, ist für die Branche noch Zukunftsmusik. Die Erfahrungen, die hier gewonnen werden, sind sehr wertvoll“, sagte Wenzel. „Wie es dann im ganz großen Stil klappt, wenn alle es machen, bleibt abzuwarten.“

Die Hausbewohner werden so noch unabhängiger von steigenden Strompreisen

Das „bidirektionale Laden“ nutzt das eigene Elektroauto als zusätzlichen Stromspeicher. Das vor dem Haus parkende E-Auto kann zum Beispiel tagsüber überschüssigen Strom aus der Photovoltaik-Anlage auf dem Dach speichern und bei Bedarf wieder zurückgeben. Wenzel erlebte bei seinem Besuch, wie eines der Häuser der entstehenden „Smart City“ komplett auf diese Weise versorgt werden kann – von der hauseigenen Wärmepumpe über Waschmaschine und Trockner bis hin zu Fernseher, Computer und Deckenlicht in allen Räumen.

„Durch diese externe Kapazitätssteigerung des Batteriespeichers wird das Gebäude sogar über mehrere bewölkte Tage hinweg komplett mit sauberem Strom aus den beiden Batterien von Haus und ­E-Auto versorgt“, sagte Viebrock-Vorstand Lars Viebrock. „Durch die zusätzlich nutzbare Speicherkapazität der Batterie des E-Autos können die Stromkosten um bis zu 65 Prozent gesenkt werden“, ergänzte sein Bruder Dirk, ebenfalls Vorstand bei Viebrockhaus in der dritten Generation. So würden die Hausbewohner noch unabhängiger von steigenden Energiepreisen, sagte Dirk Viebrock.

Die deutsche Automobilbranche erweise sich bei dem Thema eher als Bremser – wieder einmal

Das genutzte Elektroauto müsse dafür lediglich über eine sogenannte „Vehicle to Load“-Funktion verfügen. Hier gebe es bereits zahlreiche Fahrzeuge, die auf deutschen Straßen zugelassen seien, erläuterte Seniorchef Andreas Viebrock im Gespräch mit dem Abendblatt die Voraussetzungen: „Bereits über 15 Elektrofahrzeuge sind kompatibel mit der „Vehicle-to-Home“-Lösung, Tendenz zunehmend“, so Viebrock. Die deutsche Automobilbranche erweise sich bei dem Thema allerdings eher als Bremser – wieder einmal. „In Deutschland wird lang und breit diskutiert, wie Autohersteller mit der Garantie für die Autobatterie umgehen, wenn sie auch fürs bidirektionale Laden eingesetzt wird“, so Viebrock. Japanischen Hersteller hätten damit gar kein Problem.

Eine App überwacht das „bidirektionale Laden“, bei dem Strom in zwei Richtungen fließen kann.
Eine App überwacht das „bidirektionale Laden“, bei dem Strom in zwei Richtungen fließen kann. © HA | Sabine Lepél/Viebrock

Auch die Energieversorger treten auf die Bremse: „Sie wollen ja möglichst viel Strom verkaufen“, sagte Andreas Viebrock. In Viebrocks „Smart City“ kommt der Strom hauptsächlich vom eigenen Energiedach mit einer leistungsstarken Photovoltaikanlage mit 31 Modulen in einer optisch sehr zurückhaltenden „In-Dach-Lösung“. Sie soll einen hohen Anteil an selbst produziertem und selbst genutztem Sonnenstrom garantieren und die Betriebskosten des Hauses deutlich reduzieren.

Die Häuser in der „Smart City“ sind inzwischen alle vergeben

Bis die Technik deutschlandweit eingesetzt werden könne, brauche es aber wohl noch „fünf bis zehn Jahre“ – sowie einige gesetzliche Regelungen. Dennoch sieht der Grünen-Politiker auch Vorteile für die Netzbetreiber im bidirektionalem Laden mit den neuen Speichermöglichkeiten: „Sie müssen die Netze nicht aufs Maximum auslegen und können so Investitionen und Kosten sparen.“

Andreas Viebrock und seine Söhne Lars und Dirk werden nicht so lange warten, bis ganz Deutschland bereit ist für ihre innovativen Entwicklungen aus der „Smart City“. Dort haben die Unternehmer so ziemlich alles ausprobiert, was nachhaltiges und klimaneutrales Bauen heute leisten kann: von recycelten Baustoffen, die in Fassaden, Fenstern, Wänden oder Carport eingesetzt werden, bis hin zu begrünten Schrägdächern.

Die Häuser in der „Smart City“ sind inzwischen alle vergeben, wie Andreas Viebrock bestätigt. Außer eines: „Das wird für den künftigen neuen Pastor reserviert, den wir für die Harsefelder Gemeinde aktuell suchen“, sagt der bekennende Christ. Erfahrungen aus der „Smart City“ sind aber bereits in das allgemeine Angebot des Familienunternehmens eingegangen und somit für alle potenziellen Häuslebauer in Deutschland verfügbar: Gerade hat Viebrockhaus mit dem konsequent nachhaltig gebauten „N 600“ das erste Haus aus der „Smart City“ ins Portfolio des Massivhausherstellers aufgenommen. Es verfügt unter anderem über eine Notstromversorgung – und ist natürlich ebenfalls „Vehicle to home“-fähig.