Hamburg. Vor den Toren Hamburgs ist eine Vorzeigesiedlung entstanden. Die ersten Mieter ziehen bald ein. Das Abendblatt hat sie besucht.

Die Einfamilienhäuser sind errichtet, nur an den Straßen, Wegen und Vorgärten wird noch gearbeitet. Viel Grün, wenig Versiegelung ist das Ziel der Landschaftsgärtner. Denn hier vor den Toren Hamburgs wird in wenigen Wochen eine CO2-neutrale Ökosiedlung offiziell eingeweiht. Die ersten Mieter ziehen im Dezember ein.

In Harsefeld sind in der Ökosiedlung 18 Einfamilienhäuser entstanden, die in der Bau- und Betriebsphase CO2-Neutralität erreichen, also ihre Bewohner fast vollständig autark mit Heiz- und Elektroenergie versorgen.

Smart City: Viebrockhaus errichtet Häuser in Zusammenarbeit mit Greenpeace

Alexander Wetzlar-Prause mit seiner Frau Katja und den drei Kindern ist einer der künftigen Bewohner und wie die meisten künftigen Mieter beim Massivhausbauer Viebrockhaus beschäftigt und für den Vertrieb von Mehrfamilienhäusern zuständig.

Das Familienunternehmen Viebrockhaus AG, das mit rund 1200 Mitarbeitern bundesweit bisher rund 30.000 Massivbauten erstellte, errichtete die neuen Häuser in Zusammenarbeit mit Greenpeace und der Gesellschaft für innovatives Bauen – die sogenannte Smart City. Der Begriff beschreibt Konzepte, mit denen Städte durch den Einsatz moderner Technologie klimaschonender und lebenswerter werden sollen.

Immobilien: Mitarbeiter von Viebrockhaus sind die ersten Mieter

„Natürlich gab es bei uns im Unternehmen mehr Interessenten als Häuser“, sagt Wetzlar-Prause. „Das war schon ein bisschen wie Casting mit mehreren Bewerbungsrunden.“ Seine Frau Katja ergänzt: „Wir freuen uns natürlich auf das neue Zuhause, weil wir auch bisher schon bei Essen und Kleidung versucht haben, nachhaltig zu leben.“

Harsefeld mag Hamburgern weit abgelegen erscheinen, aber es ist eine stark wachsende Gemeinde mit 23.000 Einwohnern im Landkreis Stade, in der es vom Gymnasium bis zum Freibad alles gibt.

Smart City: Neue Siedlung als Blaupause für künftige Haustypen

Und jetzt auch eine Smart City. Abseits aller Technik geht es Katja Wetzlar-Prause vor allem um mehr Platz und um Bewegungsraum für die bald sechsköpfige Familie. Mit 150 Quadratmeter Wohnfläche und fünf Zimmern gibt es rund 50 Prozent mehr Platz als im bisherigen Haus. In zweiter Reihe gelegen, angrenzend an ein Naturschutzgebiet bietet das 700 Quadratmeter große Grundstück auch viel Platz zum Spielen.

Aus dem Projekt will Viehbrockhaus Erfahrungen für sein Hausprogramm ziehen. Verbrauchsdaten zu erheben und auch Einfluss auf Veränderungen am Haus zu haben, schien wohl bei Mietern leichter als bei Eigentümern, noch dazu wenn sie aus dem eigenen Unternehmen kommen.

Wohnen bei Hamburg: 10,70 Euro Miete je Quadratmeter für autarkes Haus

Zunächst also ist Familie Wetzlar-Prause Mieter, für 1550 Euro (kalt) im Monat. Das ist mit 10,70 Euro je Quadratmeter Wohnfläche und angesichts der modernen Ausstattung mit Wärmepumpe mit Kühlfunktion im Sommer, Wallbox, Photovoltaikanlage und eigener Batterie zur Stromspeicherung sowie Gründach ein sehr akzeptabler Mietpreis. Bei Neubauten in Harsefeld werden zwischen 11,50 und 14,65 Euro verlangt.

„In zehn Jahren können wir dann das Haus zum heutigen Kaufpreis erwerben, wobei ein Teil der Mietzahlungen angerechnet wird“, sagt Wetzlar-Prause. Der heutige Preis sind 650.000 Euro, inklusive Grundstück.

Statt Verbote von Einfamilienhäusern neue Konzepte für den Hausbau

Zwar ist der Wunsch vieler Familien nach einem Einfamilienhaus ungebrochen. So wollen nach einer Haspa-Umfrage 61 Prozent der Hamburger am liebsten im eigenen Haus leben. Doch die Politik sieht diesen Wunsch mit Blick auf Flächen- und Ressourcenverbrauch eher kritisch. Hamburgs Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) erntete im vergangenen Jahr viel Kritik für den Vorschlag, keine neuen Einfamilienhäuser mehr in Hamburg zu erlauben.

Unternehmen wie Viebrockhaus favorisieren als Antwort auf ein mögliches Verbot eher technologische Veränderungen bei Herstellung und Nutzung ihrer Häuser. Bereits 1999 brachte das Unternehmen ein Niedrigenergiehaus auf den Markt. „Seit 2007 bieten wir keine Häuser mehr an, die mit Öl oder Gas beheizt werden“, sagt Viebrockhaus-Vorstand Wolfgang Werner.

Ökohaus: Materialien aus Abbruchhäusern verwendet

Auch die CO2-Emissionen bei der Herstellung wurden bisher schon kompensiert. Für jedes Haus werden 150 Quadratmeter Regenwald für 50 Jahre geschützt. „Damit lässt sich das freigesetzte CO2 bei der Herstellung eines Hauses mehr als ausgleichen und der Käufer bekommt darüber ein Zertifikat“, sagt Werner.

Bei der Smart City geht es aber darum, schon beim Bau CO2 zu vermeiden. Die Klinkerfassade besteht zu 30 Prozent aus Klinkern, die aus Abbruchhäusern gewonnen wurden. Auch die neuen Steine entstehen in einem neuen Brennverfahren, das CO2 vermeidet. Die Energie zum Brennen kommt aus Kirschkernen, einem Abfallprodukt der Marmeladenindustrie, statt aus Erdgas. Die Fenster sind aus recyceltem Kunststoff und die Batterie für die Stromspeicherung wird aus Batterien der Autoindustrie bestehen, die schon einmal genutzt wurden.

Immobilien: 60 Prozent weniger CO2 für Bodenplatte und Betondecken

„Beim Beton für Bodenplatte und Decken konnten wir den CO2-Ausstoß um 60 Prozent verringern“, sagt Wetzlar-Prause. Statt speziellen Split aus Skandinavien für die Herstellung zu beziehen, werden Feldsteine der örtlichen Bauern zerkleinert. „Das Holz für Dachstuhl und begrünten Carport kommt ebenfalls aus Abbruchobjekten“, sagt Wetzlar-Prause.

Die Steildächer der neuen Häuser sind auf der einen Seite komplett begrünt und auf der anderen Seite mit einer Photovoltaikanlage bestückt, die kaum auffällt, da sie in das Dach integriert ist. Klassische Dachpfannen werden nicht mehr benötigt. Die Begrünung der Dächer, die Gartengestaltung und die Wasserdurchlässigkeit der Straßen- und Wegebeläge ermöglicht es, dass der durchschnittliche versiegelte Anteil der Flächen beim Hausbau von 50 Prozent auf elf Prozent sinkt.

Vernetzte Häuser helfen sich gegenseitig mit Strom aus

Aber auch die Nutzung des Einfamilienhauses soll möglichst CO2-neutral erfolgen. Unter Berücksichtigung der Eigenproduktion von Strom benötigt das Haus laut Energieausweis für Heizung und Warmwasser lediglich vier Kilowattstunden (kWh) pro Quadratmeter und Jahr. Neben den Batterien in den Häusern gibt es noch einen Wasserstoffspeicher, um nicht benötigte Sonnenenergie für Zeiten mit vielen Wolken zu speichern.

Für die Smart City von Viebrockhaus in Harsefeld interessieren sich auch viele andere Kommunen.
Für die Smart City von Viebrockhaus in Harsefeld interessieren sich auch viele andere Kommunen. © Viebrockhaus AG

Aber auch die Vernetzung der Häuser soll Sonnenstromproduktion und Verbrauch ausgleichen. Ist eine Batterie voll, gibt es noch andere, die den Sonnenstrom aufnehmen können. Hat ein Haushalt seine Reserven aufgebraucht, kann er die Überschüsse der Nachbarn nutzen.

Photovoltaikanlage produziert doppelt so viel Strom, wie benötigt wird

Der Energiebedarf für Warmwasser und Kühlung im Sommer wird komplett von erneuerbaren Energien gedeckt, Heizung und Lüftung zu 67 Prozent. Die Photovoltaikanlage des Hauses produziert mehr als doppelt so viel Strom im Jahr (10.290 kWh) als das Haus benötigt (4400 kWh).

Allerdings gibt es ein Problem bei der Nutzung des eigenen Solarstroms, da Familie Wetzlar-Prause noch nicht Eigentümer des Hauses ist. „Es war recht schwierig, dafür eine Lösung zu finden“, sagt Wetzlar-Prause. „Jetzt haben wir ein Mieterstrommodell, bei dem wir für jede verbrauchte Kilowattstunde 21 Cent bezahlen, egal ob sie vom Dach aus der Batterie oder Wallbox kommt.“ Der Preis liegt rund 30 Prozent unter dem Durchschnittswert für Neukunden.

Viebrockhaus: Nachfrage nach Häusern geht zurück, Bauland wird günstiger

Bereits heute sind Elemente der Smart City im normalen Hausprogramm von Viebrockhaus zu finden. Bei mehreren Häusern ist eine Indach-Photovoltaikanlage Standard. Gründächer sind mit Aufpreis erhältlich.

Doch die Nachfrage geht zurück. Statt der üblichen 1000 Häuser wird Viebrockhaus im nächsten Jahr nur 750 Objekte bauen und verkaufen. „Der rapide Anstieg der Bauzinsen, hat die Umsetzbarkeit des Traums vom Eigenheim für viele Familien deutlich erschwert“, sagt Vorstand Dirk Viebrock. Dennoch sei der Wunsch nach Eigentum ungebrochen.

Immobilie der Zukunft? Für Smart City interessieren sich viele andere Kommunen

„Ein positiver Nebeneffekt der Marktentwicklung ist, dass zum ersten Mal seit Jahren wieder sehr attraktive Grundstücke angeboten werden“, sagt Dirk Viebrock. Somit entstehe für viele Menschen die Chance, tatsächlich an ihrem Wunschort bauen zu können und nicht auf weiter entfernte Gebiete ausweichen zu müssen.

Ableger der Smart City können künftig auch außerhalb Harsefelds entstehen. Viele Kommunen sind an dem Projekt sehr interessiert und bieten Viebrockhaus Flächen an, um einen Ableger der Smart City zu errichten.