Landkreis Harburg. Sicherheitsdienste dokumentieren brisante Fälle in Flüchtlingsheimen. Landkreis hält an Sparmaßnahme fest. Was die Polizei sagt.

Ende Dezember des vergangenen Jahres wurde von CDU und FDP ein folgenreicher Antrag in die Kreistagssitzung eingebracht und beschlossen. Der Inhalt: geplante Einsparungen am Sicherheitsdienst in Geflüchtetenunterkünften, um einen Teil des klaffenden Haushaltslochs zu stopfen.

Schon in Kürze soll es deshalb keine Rund-um-die-Uhr-Betreuung mehr für Unterkünfte im Landkreis Harburg geben, stattdessen eine sogenannte Pool-Lösung, bei der einzelne Sicherheitsmitarbeiter gleich mehrere Heime gleichzeitig betreuen. Ein Katastrophe mit Ansage, befürchten Insider – und können dies anhand zahlreicher Dokumente belegen, die auch dem Abendblatt vorliegen.

Flüchtlingsunterkünfte im Landkreis Harburg: Polizei und Rettungsdienst im Dauereinsatz

Der Abendblatt-Reporter trifft Thomas B. (Name von der Redaktion geändert) in einem Café in der Winsener Innenstadt. Eigentlich wird nicht viel besprochen. Thomas reicht lediglich seitenweise Akten über den Kaffeehaustisch – und die haben es in sich. „Die Kürzungen bei der Sicherheit für Geflüchtete werden in einer Katastrophe enden“, sagt er.

Fast täglich fahren Polizei, Rettungsdienst und Feuerwehr zahlreiche Unterkünfte im Landkreis Harburg an. Die Liste der Vorfälle ist lang: Sachbeschädigungen, Fahndungen, Brände, gefährliche und einfache Körperverletzungen – aber auch Morddrohungen und Messerattacken. Und dies, so sagt Thomas, seien nur die Vorfälle, bei denen Heimleitung, Hausmeisterei und Sicherheitsdienst die Konflikte nicht selbst haben klären können.

Regionalleiter wird in Tostedt mit dem Tode bedroht und gewürgt

Allein im Jahr 2023 seien rund 350 Fälle beim Landkreis Harburg eingegangen – es sind die Sicherheitsdienste selbst, die sie in Berichten an die Kreisverwaltung schriftlich dokumentieren. So wie den Brand in der Unterkunft Rieselwiesen in Hittfeld am 26. Oktober 2023. „Wäre kein Sicherheitsdienst an dem besagten Tag vor Ort gewesen, würde es kein Rieselwiesen mehr geben, dafür würde es ein Riesenhaufen an Problemen mit sich ziehen“, heißt es in dem Schreiben an den Landkreis.

Am 26. Oktober brannte es in der Flüchtlingsunterkunft Rieselwiesen in Hittfeld. Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes sollen dort Schlimmeres verhindert haben.
Am 26. Oktober brannte es in der Flüchtlingsunterkunft Rieselwiesen in Hittfeld. Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes sollen dort Schlimmeres verhindert haben. © Harburg | Joto

Thomas B. berichtet von weiteren Fällen. Im Januar sei ein Regionalleiter des Unterkunftsbetreibers Living Quarter in Tostedt mit dem Tode bedroht und gewürgt worden, Sicherheitsdienstmitarbeiter konnten den Angreifer im letzten Moment wegziehen. „Und das könnten Alarmfahrer gar nicht leisten“, so der Insider. Die Lage sei dafür viel zu explosiv.

Mitarbeiter beten vor Schichtbeginn, dass sie nicht angegriffen werden

Es gebe Mitarbeiter, die als Heimleitung, Betreuer oder Sozialarbeiter in den Unterkünften arbeiten und die vor Schichtbeginn im Auto beten, damit sie in der Schicht nicht angegriffen werden. „Einige Mitarbeiter haben sogar mit der Kündigung gedroht, wenn der Kreistagsbeschluss umgesetzt wird, sie fürchten um ihr Leben.“ Dem Abendblatt liegen zahlreiche dokumentierte Fälle vor, die diesen Eindruck bestätigen.

Die Entscheidung zur Reduzierung der 24/7-Bewachung hat nachweislich Auswirkungen auf die Sicherheit unserer Mitarbeiter und der Bewohner.
Aus einer E-Mail des Unterkunftsbetreibers an den Landkreis

„Sie müssen verstehen“, sagt Thomas B. im Gespräch, „der Sicherheitsdienst sorgt schon durch sein Auftreten für Respekt. Die Mitarbeiter sind gut geschult, sprechen die Muttersprache viele Geflüchteter, sind Ansprechpartner und Vertrauenspersonen.“ Eine Pool-Lösung würde lediglich dazu führen, dass die Sicherheitsfahrer von Unterkunft zu Unterkunft hetzen und ihre Alarmpunkte abscannen oder beim Auslösen der Brandmeldeanlage zur Unterkunft eilen.

Diese seien im Übrigen nicht direkt mit der Feuerwehr verbunden, um Kosten zu sparen. „Dadurch geht wichtige Zeit verloren“, erklärt Thomas B.

Betreiber der Unterkünfte reagieren überrascht und verärgert

Und auch der Unterkunftsbetreiber Living Quarter befürchtet, dass den Politikern des Kreistages der Beschluss auf die Füße fallen wird. „Wir sind sehr betroffen über die Entscheidung des Landkreises, den Sicherheitsdienst derartig zu reduzieren, obwohl eher mehr Sicherheitsdienst von Nöten ist in einigen Unterkünften. Besonders bedauern wir, von Ihrer Seite nicht vorab über die Entscheidung informiert worden zu sein“, schrieb die Regionalleitung Nord-Operations von Living Quarter an den Landkreis.

Weiter heißt es in der E-Mail: „Die Entscheidung zur Reduzierung der 24/7-Bewachung hat nachweislich Auswirkungen auf die Sicherheit unserer Mitarbeiter und der Bewohner.“ Von der geplanten Reduzierung der Sicherheitsdienstleistungen hätten viele erst aus den Medien erfahren. Dies habe zu Verunsicherungen unter Mitarbeitenden und friedlichen Bewohnern geführt.

Im Kreishaus verteidigt man den Beschluss mit Blick auf die aktuelle Haushaltslage

Allein im Januar und Februar 2024 habe es bis jetzt es mehr als 40 dokumentierte Vorfälle gegeben, sagt Thomas B. Selbst die Polizeiführung habe sich bereits mit Bedenken an den Landkreis gewandt. Aus ihrer Sicht, so der Insider, „habe die Präsenz des Sicherheitsdienstes in den Unterkünften eine deeskalierende Wirkung“.

Tatsächlich bestätigt der Leiter der Polizeiinspektion Harburg am Donnerstag gegenüber dem Abendblatt diese Einschätzung. „Die frühe Intervention bei sich anbahnenden Konflikten durch einen ständig anwesenden Sicherheitsdienst trägt in der Regel dazu bei, dass es gar nicht erst zu Straftaten kommt“, sagt Thomas Meyn.

Mehr Einsätze der Polizei bei der angedachten Pool-Lösung?

Allerdings sei dennoch häufig das Erscheinen der Polizei vonnöten, um in einer angespannten Situation für Ruhe zu sorgen. „Durch die vom Landkreis geplante Umstellung des Sicherheitsdienstes auf die sogenannte Pooling-Lösung könnte es dazu kommen, dass Bewohner oder Mitarbeitende schneller den Polizeinotruf wählen, wenn der Sicherheitsdienst gerade nicht greifbar ist.“ Man wolle die neue Situation beobachten und sich dazu im Sinne der Sicherheitspartnerschaft regelmäßig mit dem Landkreis austauschen.

„Wir sind davon ausgegangen, dass das Land differenzieren kann und auf unsere besondere Situation der Flüchtlingsunterbringung reagiert. Offenbar kann es das aber nicht“: Landrat Rainer Rempe (CDU).
„Wir sind davon ausgegangen, dass das Land differenzieren kann und auf unsere besondere Situation der Flüchtlingsunterbringung reagiert. Offenbar kann es das aber nicht“: Landrat Rainer Rempe (CDU). © Harburg | LK Harburg

Im Kreishaus verteidigt man den Beschluss mit Blick auf die angespannte Haushaltslage. Landrat Rainer Rempe (CDU) sei zwar von dem bisherigen Weg überzeugt, hätte sich dabei aber mehr finanzielle Unterstützung aus Hannover gewünscht: „Wir sind davon ausgegangen, dass das Land differenzieren kann und auf unsere besondere Situation der Flüchtlingsunterbringung reagiert. Offenbar kann es das aber nicht“, sagt Rempe. Aus Kostengründen jetzt auf die Pooling-Lösung umzuschwenken, sei daher richtig, sagte er unlängst dem „Winsener Anzeiger“.

Dass der Landkreis sparen muss, sei jedem klar, sagt Thomas B. abschließend – aber doch nicht bei der Sicherheit.

Unangenehme Sparmaßnahme: Im Zwei-Bett-Zimmer drei Geflüchtete unterbringen

In den vergangenen zehn Jahren hat die Unterbringung von Flüchtlingen den Landkreis Harburg rund 135 Millionen Euro gekostet. Die Verwaltung setzte sich intensiv dafür ein, Einsparungsmöglichkeiten zu finden. Ein erster Schritt war die Entscheidung, Zwei-Bett-Zimmer künftig mit drei Personen zu belegen.

Nun sollen die Kosten für den Sicherheitsdienst von aktuell 8,2 Millionen Euro in 2023 auf 3,5 Millionen in 2024 und 2,6 Millionen in 2025 reduziert werden. Zusätzlich wurden für beide Jahre 500.000 Euro zurückgelegt, falls das Konzept nicht aufgeht und nachgesteuert werden muss.

Schon am 1. März soll es mit dem neuen Modell losgehen

Der Vertrag mit einem verdienten und bereits über viele Jahre mit dem Landkreis vertrauten Sicherheitsunternehmen endet am 29. Februar und sei überraschend nicht verlängert worden. Dieser Sicherheitsdienst soll aktuell in 28 der bestehenden 43 Unterkünfte im Landkreis im Einsatz sein. „Rund 65 Mitarbeiterinnen haben bereits ihre Kündigung erhalten und müssen beim Arbeitsamt vorstellig werden“, sagt Regionalleiter Samvel Caturan auf Abendblatt-Nachfrage. Zur Sicherheitslage in den Unterkünften will er mit Blick auf die Vertraulichkeit aber nichts sagen.

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Eine öffentliche Ausschreibung, wie zuvor angekündigt, gibt es allerdings bisher nicht. „Für den Sicherheitsdienst hat zunächst eine Interimsvergabe stattgefunden, und zwar wegen der Dringlichkeit im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb mit zuvor ausgewähltem Bieterkreis“, antwortet Landkreissprecherin Katja Bendig auf Nachfrage. „Daher fand auch keine öffentliche Ausschreibung statt. Das betrifft den Streifendienst für 39 Unterkünfte, die Vergabe läuft jetzt erst einmal bis Ende Juli.“

Sicherheitsdienste im Kreis Harburg schlagen Alarm: So sieht das neue Konzept aus

Ab dem 1. März 2024 wird nun zunächst eine Interimslösung umgesetzt, bei der an 39 Unterkünften – vier kommen am 1. April dazu – täglich Besuche durch den Sicherheitsdienst stattfinden. Grundsätzlich ist eine Person für zwei Unterkünfte zuständig.

Da die Anzahl der Unterkünfte ungerade ist, wird in einem Fall eine Person an drei Unterkünften patrouillieren. Die Unterkünfte werden so gruppiert, dass sie nah beieinander liegen, um die Fahrzeiten zu minimieren. Es wird sowohl drinnen als auch draußen patrouilliert, insgesamt werktags für elf Stunden und an Sonn- und Feiertagen inklusive des Folgetages für 15 Stunden. Bei Neueinzügen von Bewohnern wird bei Bedarf zusätzlicher Dienst geleistet.