Neu Wulmstorf. Temporäre Nutzung wegen prekärer Flüchtlingssituation im Landkreis Harburg. Eltern der angrenzenden Kita hatten skeptisch reagiert.
Schlafen, wo sonst gepaukt wurde, und Essen in der Pausenhalle: Eine Schule der Gemeinde Neu Wulmstorf an der Hamburger Stadtgrenze ist jetzt eine Flüchtlingunterkunft. Seit kurzem leben hier Geflüchtete, wo sonst Grundschülerinnen und Grundschüler unterrichtet wurden.
Im leerstehenden Gebäude, der Grundschule an der Heide, das im kommenden Sommer für einen Neubau abgerissen werden soll, gibt es noch eine Kindertagesstätte, was vorab für Skepsis unter Kita-Eltern und Anwohnern gesorgt hatte. Doch das Miteinander funktioniert bislang, wie Alexander Knoop, Regionalvorstand im Johanniter-Regionalverband Harburg als Betreiber der Unterkunft, dem Abendblatt bestätigte.
Geflüchtete im Landkreis Harburg: Unterbringungsdruck ist nach wie vor groß
Aktuell ist der Unterbringungsdruck auf den Landkreis groß. Angesichts der weiterhin hohen Anzahl an Geflüchteten, die den Landkreis Harburg erreichen, und der Schwierigkeit, in kurzer Zeit ausreichend Plätze zur Unterbringung zu schaffen, musste kurzfristig eine weitere Notunterkunft für sogenannte Weltflüchtlinge hergerichtet werden.
Die Wahl fiel auf das ehemalige Gebäude der Grundschule An der Heide in Neu Wulmstorf. Die Johanniter betreiben im Auftrag des Landkreises Harburg beziehungsweise der Gemeinden Unterkünfte für Geflüchtete in Buchholz, Klecken, Jesteburg und Neu Wulmstorf. Aber noch nie wurde eine Flüchtlingsunterkunft in einem Schulgebäude errichtet. Die Johanniter sind auch für den Betrieb der Flüchtlingsunterkunft im Marktplatzcenter im Zentrum von Neu Wulmstorf zuständig.
„Wir müssen alles dafür tun, dass keine Sporthallen geschlossen werden müssen“
„Die Situation im Landkreis ist prekär, da müssen alle Gemeinden mitziehen. Wir müssen alles dafür tun, dass keine Sporthallen geschlossen werden müssen“, meint Neu Wulmstorf Bürgermeister Tobias Handtke. Wie die Buchholzer Schützenhalle bietet auch die ehemalige Grundschule in der Heidesiedlung Platz für bis zu 120 Menschen. Allerdings nur temporär bis zum 31. Mai 2024. Danach soll – wie geplant – der Abriss der Schule für den Neubau vorbereitet und umgesetzt werden, betont Handtke.
Die Inbetriebnahme der neuen Unterkunft in der Heidesiedlung verlief reibungslos: „Innerhalb der vergangenen 20 Monate haben wir viel Erfahrung beim Aufbau von Unterkünften gesammelt. Wobei jedes Gebäude seine Besonderheiten hat und es immer individuelle Lösungen erfordert“, so Alexander Knoop.
Sorgen und Fragen: Großes Interesse an Informationsveranstaltung für die Anwohner
Der Aufbau der Unterkunft in Neu Wulmstorf erfolgte innerhalb kürzester Zeit. Der Landkreis hatte die zeitlich begrenzte Umnutzung erst Ende November bekanntgegeben. „Wir mussten zum Beispiel 120 Stühle, Tische, Spinde und Betten zusammensetzen und aufbauen und die Schlafräume und den Speiseraum entsprechend einrichten“, so Knoop.
Zuvor hatte es noch eine Informationsveranstaltung für Anwohner gegegen, die auf große Resonanz stieß. „Die meisten Besucherinnen und Besucher wollten sich vor allem die Unterkunft von innen ansehen, einige wollten konstruktiv ihre Sorgen kundtun. Grundsätzlich nehmen wir Sorgen und Ängste von Anwohnern sehr ernst und bieten immer an, bei Fragen oder Problemen das Gespräch mit uns zu suchen“, sagt Knoop.
Flüchtlingsunterkunft in Grundschule an der Heide: Noch sind Plätze frei
Es sei für alle Beteiligten – Anwohner und Geflüchtete – eine neue und ungewohnte Situation. „Dass es da Unsicherheiten gibt, ist durchaus nachvollziehbar und menschlich. Doch als christliche Hilfsorganisation gehört es zu unseren Aufgaben, uns für Menschen in Not einzusetzen, unabhängig von Religion, Nationalität und Kultur“, meint der Regionalvorstand.
Noch ist die Unterkunft nicht voll besetzt. Direkt vor Weihnachten waren lediglich 17 von insgesamt 120 Plätzen belegt. „Die Unterkunft wird wochenweise weiter gefüllt“, so Knoop. Die Schlafräume der Geflüchteten sind in den ehemaligen Klassenzimmern untergebracht – jeweils zwölf Betten stehen in einem 50 Quadratmeter großen Raum. Außerdem gibt es Spinde für die persönlichen Sachen, Stühle und Tische sowie zahlreiche Steckdosen zum Laden von Handys und änderen Geräten.
Die Geflüchteten kommen aus der Türkei, Syrien, Afghanistan oder Sudan
In der Pausenhalle befindet sich der Speiseraum. „Hier geben wir dreimal am Tag die Mahlzeiten aus. Da es sich um eine temporäre Unterkunft handelt, wurde keine Selbstversorger-Küche eingebaut, sondern wir versorgen die Geflüchteten zu den Mahlzeiten“, erklärt der Regionalvorstand.
Bei der Auswahl der Lebensmittel habe man die unterschiedlichen Herkunftsländer mit ihren kulturellen und religiösen Besonderheiten im Blick. Die Einrichtung, die ausschließlich für männliche Geflüchtete vorgesehen ist, wird von Kristina Salihi geleitet. Die Geflüchteten kommen aus vielen Teilen der Welt, zum Beispiel aus der Türkei, Syrien, Afghanistan, Pakistan und dem Sudan. Frauen, Familien und Kinder werden der neuen Unterkunft in der Heidesiedlung nicht zugewiesen.
Hohe Bauzäune trennen den Bereich der Flüchtlingsunterkunft und der Kita
Mit der angrenzenden Kita stehen die Johanniter nach eigenen Abgaben in engem Kontakt. So sei gemeinsam mit der Gemeinde und der Kitaleitung eine Infoveranstaltung für die Kita-Eltern durchgeführt worden. „Hier konnten wir alle Fragen der Eltern klären“, sagt Knoop.
Der Bereich der Kita wurde räumlich abgeschirmt. Übergangsmöglichkeiten von der Unterkunft in den Kita-Bereich wurden geschlossen, zudem wurden hohe Bauzäune aufgestellt. Der Zugang zur Flüchtlingsunterkunft soll ausschließlich über den Nebeneingang zum Schulhof erfolgen.
Derzeit gibt es keine Anwohner, die sich in der Unterkunft engagieren. „Da es sich um eine temporäre Unterkunft handelt, würde es wenig Sinn machen, hier ehrenamtliche Strukturen aufzubauen“, meint Knoop. In der zweiten Neu Wulmstorfer Unterkunft der Johanniter im Marktplatzcenter wohnen nach Angaben Knoops derzeit 140 Menschen, davon stammen 50 aus der Ukraine. Inzwischen sind auch dort sogenannte Weltflüchtlinge eingezogen.
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Da die Unterkunft über drei Etagen verläuft, gibt es zwischen den Ukrainern – darunter viele Frauen und Kinder – und den anderen Geflüchtete eine räumliche Trennung. „So können wir das Risiko möglicher Konflikte minimieren, die aufgrund von Sprachbarrieren oder kultureller Unterschiede entstehen könnten,“, sagt Alexander Knoop.
Veranstaltungen und Ausflüge für Flüchtlingskinder: Hier darf gespendet werden
Die Kinder in den Unterkünften lägen den Johannitern besonders am Herzen: „Wir organisieren für sie regelmäßig Veranstaltungen oder Ausflüge.“ Diese Angebote finanzieren die Johanniter ausschließlich über Spenden. „Unabhängig von unserem Engagement in der Flüchtlingshilfe kann die ehrenamtliche Arbeit der Johanniter grundsätzlich gern über eine Geldspende unterstützt werden“, sagt der Regionalvorstand.
Spendenkonto: Johanniter Regionalverband Harburg, Bank für Sozialwirtschaft, IBAN DE36 3702 0500 0004 3245 20