Hamburg. Wann kommt die vor langer Zeit von Sozialsenatorin Schlotzhauer angekündigte Bezahlkarte? Linke kritisiert „Populismus“.
Es ist etwas länger als zwei Monate her, da gab es Redebedarf. Die Ausgangssituation: Immer mehr Geflüchtete, immer weniger Kapazitäten. Darüber wollte das Abendblatt sprechen. Mit Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer. Mit Innensenator Andy Grote. Und mit Schulsenator Ties Rabe.
Und die Kernbotschaft des Trios war schnell verkündet: Die Belastungsgrenze sei erreicht. „Das hält die Stadt nicht mehr lange durch“, sagte das SPD-Triumvirat einerseits. Andererseits nutzten die drei auch das Interview, um zu signalisieren: Wir machen was, wir kümmern uns.
Flüchtlinge Hamburg: Social Card macht schon vor dem Start Ärger
Zum Beispiel um die Frage, ob Deutschland zu großzügig bei den Sozialleistungen sei. Der Grundgedanke hinter der Frage: Kann man nicht beispielsweise die Transferzahlung von Geld- auf Sachleistungen umstellen?
„Das ist in der Tat in der bundespolitischen Diskussion. Und ich verstehe den Gedanken dahinter“, antwortete Schlotzhauer und wurde direkt konkreter: „Hamburg wird im Rahmen eines Pilotprojekts die sogenannte Social Card als Prepaid Bezahlkarte einführen. Dies hat viele Vorteile für die Menschen in unseren Leistungssystemen. In diesem Zuge werden wir auch sehr genau prüfen, was möglich ist, um Geldauszahlungen sinnvoll zu begrenzen.“ Aktuell befinde man sich in einem Vergabeverfahren, aber: „Voraussichtlich Ende Oktober wissen wir mehr.“
Hamburg: Vergabeverfahren für Social Card noch immer nicht abgeschlossen
Nun, Ende Oktober ist lange her. Und so richtig viel mehr weiß man auch Mitte Dezember nicht. Außer: „Das Vergabeverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Nähere Aussagen dazu können erst nach Abschluss des Vergabeverfahrens und Ablauf der Stillhaltefrist gegeben werden“, antwortet ein Sprecher der Sozialbehörde auf die Abendblatt-Nachfrage.
Unabhängig vom Start des Pilotprojekts ist für die Sozialbehörde aber schon jetzt klar: Die Social Card habe viele Vorteile für die Menschen in den Leistungssystemen, die über kein eigenes Bankkonto verfügen. Zudem werde man die bezirklichen Zahlstellen entlasten und das Verfahren vereinfachen. Ein monatliches Abholen an einem bestimmten Ort zu bestimmten Zeitfenstern sei nicht mehr erforderlich.
Klingt erst einmal gut – oder doch nicht? Carola Ensslen von den Linken sieht das ganz anders. Schon bei der Ausschreibung kritisierte die Fachsprecherin für Flucht und Migration „die äußerst bedenkliche Tendenz, Geflüchtete bei der Verwendung ihres Guthabens zu kontrollieren und einzuschränken. So sollen Karten gesperrt und einzelne Branchen ausgeschlossen werden können. Bargeld soll es etwa nur in Läden geben, die beim Einkauf Bargeld auszahlen. Dies ist aber in der Regel an einen Mindesteinkauf geknüpft und daher schwer realisierbar.“
Noch viel mehr ärgert Ensslen aber etwas anderes: „Nun springt der Senat auf den Zug der Diskussion um die Eingrenzung angeblicher Pull-Faktoren für Geflüchtete auf. Es bleibt unklar, ob hierfür die Vorgaben für die Bezahlkarte geändert werden. Ich erteile der Fantasie, dass die 182 Euro Geld zur freien Verfügung im Monat einen Pull-Faktor darstellen, eine klare Absage.“ Und dann wird die Linken-Politikerin deutlich: „Aktuell wird wieder einmal eine populistische Sau durchs Dorf getrieben, um Stimmung gegen Geflüchtete zu machen. Wer die Menschenwürde von Geflüchteten infrage stellt, stellt auch unsere Demokratie infrage.“
Sozialbehörde: Ausschreibung bereits vor Debatte um Anreize für Asylbewerber begonnen
Ein schwerer Vorwurf. Die Sozialbehörde betont allerdings: „Die Ausschreibung selber wurde bereits weit vor der aktuellen Debatte um Anreize für Asylbewerberinnen und -bewerber begonnen.“ Wie ausgeschrieben, soll die Sozialkarte zum Bezahlen in Geschäften, im Internet sowie zum Geldabheben an Automaten beziehungsweise zur Bargeldauszahlung bei Einkäufen genutzt werden können. Wesentlicher Unterschied zu einer „normalen Kreditkarte“ sei der fehlende Kreditrahmen, da es sich um eine guthabenbasierte Karte handeln soll. „Vor dem Hintergrund (...) prüfen wir in diesem Zuge auch sehr genau, was möglich ist, um Bargeldauszahlungen sinnvoll zu begrenzen“, so ein Sprecher der Sozialbehörde.
Gegen eine Digitalisierung an sich habe Ensslen nichts einzuwenden, sagt die Politikerin. Aber: „Geld auf einer Bezahlkarte muss frei verfügbar bleiben.“ Bereits 2012 habe das Bundesverfassungsgericht dem vollständigen Sachleistungsprinzip eine Absage erteilt. „Es muss einen Geldbetrag für die persönlichen Bedürfnisse geben.“
Bundesverfassungsgericht sehr klar in einem Urteil aus dem Jahr 2012
Tatsächlich hat Ensslen recht. So hieß es seinerzeit im Urteil des Bundesverfassungsgerichts: „Auch migrationspolitische Erwägungen, die Leistungen an Asylbewerberinnen und Asylbewerber sowie Flüchtlinge niedrig zu halten, um Anreize für Wanderungsbewegungen durch ein im internationalen Vergleich eventuell hohes Leistungsniveau zu vermeiden, können von vornherein kein Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum rechtfertigen. Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.“
Und trotzdem wird fast überall in Deutschland derzeit über die Einführung einer Social Card nachgedacht. Im thüringischen Landkreis Greiz soll sie beispielsweise noch in diesem Jahr probeweise eingeführt werden. Noch schneller war man sogar in Hannover, wo Ende der vergangenen Woche unter dem grünen Oberbürgermeister Belit Onay die neue Bezahllösung für Asylbewerber ohne Bankkonto vorgestellt wurde. Allerdings sollen zunächst nur etwa 200 Menschen anspruchsberechtigt sein.
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Und ohne die Vorwürfe von Ensslen zu kennen, konterte Onay, dass Geflüchteten nun ein diskriminierungsfreier Zugang zur bargeldlosen Zahlung ermöglicht werde. Denn die Karte unterscheide sich nicht von anderen, üblichen Bankkarten. Für die Neuerung sprächen aber vor allem verwaltungspraktische Gründe.
Ähnlich sieht es auch die Hamburger Sozialbehörde, die die Ausgabe in Abstimmung mit der Finanzbehörde, der Kasse Hamburg und der Innenbehörde vorbereite. „Zunächst sollen nur neu ankommende Asylbewerber die Bezahlkarte erhalten. Die Ausgabe selber erfolgt dann durch das Amt für Migration. Erst ab dem zweiten Quartal sollen alle Bargeldbezieher auf die Bezahlkarte umgestellt werden“, sagt der Behördensprecher. Mehr könne er aber nun wirklich nicht zur Sache sagen. Im Übrigen genauso wenig wie Sozialsenatorin Schlotzhauer.