Jesteburg. Berauschend ist nur die Auswahl im Jesteburger Hanf-Lädchen. Warum die Inhaberinnen dennoch manchmal für Dealerinnen gehalten werden.

Er wächst ohne Dünger und wird bis zu fünf Meter hoch. Er übersteht problemlos längere Trockenheit. Mit Wildkraut wird er prima fertig, denn er nimmt ihm mit seinen mehr als handtellergroßen Blättern einfach das Licht. Alles an ihm lässt sich verwerten, von der Wurzel bis zur Blüte. Insekten lieben ihn. Und er bindet große Mengen CO2. Er ist ein echter Bio-Held. Und trotzdem begegnen ihm viele mit Argwohn.

Der Hanf und alle, die ihn anbauen, haben es noch immer schwer in Deutschland. Die Familie Hensel hat mit der Hanf-Produktion und -Vermarktung im Landkreis Harburg mutig eine Nische besetzt und damit Erfolg: Ihr Laden Hanf-Schnitt-Nord in Jesteburg läuft seit 2017. Doch auch das Familienunternehmen kennt das Misstrauen gegen den Hanf, das oft genug auf nichts anderem als einem Missverständnis beruht.

Jesteburger Hanfladen verkauft legale Produkte aus Nutzhanf

„Hanf, das ist bei uns der Nutzhanf, Cannabis sativa, nicht der indische Rauschhanf, Cannabis indica“, erklärt Marion Hensel, die den Laden an der Jesteburger Hauptstraße seit sieben Jahren mit ihrer Tochter Nadine Rothert führt. Der Nutzhanf ist eine alte Kulturpflanze, die seit dem Mittelalter auch in Deutschland Verbreitung fand. Seile und Segel, Bau- und Dämmmaterial, widerstandsfähige Textilien und sogar Papier, auf dem Johannes Gutenberg 1455 die erste Bibel druckte, wurden daraus gewonnen.

Hanfblätter, Hanfblüten und Hanfsamen überzeugen mit der Vielzahl ihrer gesundheitlichen Vorteile, die schon die legendäre Hildegard von Bingen für ihre Kräuterheilkunde nutzte. Doch eine amerikanische Anti-Hanf-Kampagne in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts machte dem grünen Riesen den Garaus: Bis zum Jahr 1996 war der Hanfanbau auch in Deutschland verboten.

Anstoß fürs Familienunternehmen gab der medizinische Nutzen von Hanfblüten

Nur berauschend, weil mit Alkohol: der Glüh Hanf aus dem Jesteburger Hanf-Lädchen.
Nur berauschend, weil mit Alkohol: der Glüh Hanf aus dem Jesteburger Hanf-Lädchen. © HA | nanette franke

Es war bei einer Urlaubsreise nach Amsterdam vor 13 Jahren, als die Hensels erfuhren, dass es neben dem berauschenden THC-haltigen Hanf, der in den Niederlanden frei erhältlich ist, auch Nutzhanf gibt. Tochter Nadine, heute 26 Jahre alt, litt damals unter schwerem Asthma und nahm Cortison. Ein Hanfbauer empfahl, es einmal mit einem Duftkissen zu versuchen, das mit Hanfblüten gefüllt war. Und tatsächlich, Nadine Rothert konnte fortan auf die nebenwirkungsreiche Arznei verzichten. Für ihre Mutter der Anstoß, das Geschäftsmodell Hanf-Schnitt-Nord zu entwickeln. Von der Aussaat über den Schnitt bis zur Vermarktung macht die Familie hier im kühlen Norden Deutschlands alles selbst – und kann so höchste Qualität ihrer Produkte garantieren.

Die erste Hanf-Ernte verschimmelte, die Gründerinnen lernten dazu

Die erste Ernte auf einem anderthalb Hektar großen Feld war ein Reinfall, erinnert sich die 55-jährige Marion Hensel. Die Trocknung in zwei eigens gemieteten Hallen klappte nicht. Schimmel setzte sich auf die Blüten und Blätter, die Nadine Rothert zuvor mühevoll per Hand geerntet hatte. Der Hanf, so weiß die Familie heute, hätte öfter gewendet werden müssen. Die Hensels sind keine gelernten Landwirte, was sie können, haben sie sich selbst beigebracht.

Inzwischen hat sich die Familie nicht nur einen Trecker und anderes Gerät besorgt und von einem Schlosser für die speziellen Erfordernisse des Hanfanbaus umrüsten lassen, sondern auch zwei Fabrikationshallen gemietet, in denen die Produkte entstehen, die im Laden in Jesteburg verkauft werden.

Die Auflagen für den Hanf-Anbau sind hoch

Hanfblüten gibt es im Laden nur für Kunden über 18 Jahren.
Hanfblüten gibt es im Laden nur für Kunden über 18 Jahren. © HA | nanette franke

Doch noch immer ist das Geschäft mit Nutzhanf nicht einfach. Die Anbaufläche wird von behördlicher Seite regelmäßig kontrolliert, um sicherzustellen, dass der Wert an berauschendem THC (Tetrahydrocannabiol), der auch in Nutzhanf in Spuren enthalten ist, die erlaubte Menge von 0,3 Gramm nicht übersteigt. „Wenn doch, müssen wir das ganze Feld umpflügen“, sagt Marion Hensel.


Weil die Verwendung von Hanfsamen aus eigener Produktion verboten ist, erwirbt sie den Samen zu hohen Preisen von zertifizierten Produzenten. Mit einem speziellen Herstellungsverfahren, das alle wertvollen Inhaltsstoffe erhalten soll, stellt Hanf-Schnitt-Nord ein Öl her. Eine Gratwanderung, denn schon Kleinigkeiten bei der Verarbeitung können den THC-Gehalt beeinflussen, weiß Hensel aus leidvoller Erfahrung. Die Auflagen sind streng und die Grenzwerte für den Nutzhanfanbau in Deutschland wesentlich geringer angesetzt als beispielsweise im Nachbarland Schweiz, wo 1,0 Prozent Wirkstoffgehalt noch durchgehen.

Schokolade, Müsli, Glühwein, Nahrungsergänzungsmittel – hier gibt es fast alles aus Hanf

Ob die strenge Gesetzgebung in Deutschland wirklich sinnvoll ist? Marion Hensel hat da ihre Zweifel. Um auch nur ansatzweise einen berauschenden Effekt zu erleben, müsste man nach ihrer Schätzung einen ganzen Liter Hanföl trinken. „Aber wer eine gute Vorstellungskraft hat, den machen unsere Hanfprodukte mit Sicherheit fröhlich und sorglos“, sagt sie. Was auch daran liegen könnte, dass so viel Gutes in ihnen steckt. Nämlich Cannabiodol (CBD), die gesundheitsfördernde Schwester des rauscherzeugenden Hanfwirkstoffs THC. Die Wirkung von CBD wird als krampf- und angstlösend, entspannend und entzündungshemmend beschrieben.

Der Jesteburger Hanfladen offeriert neben Hanfölen auch geschälte und ungeschälte Hanfsamen als süßlich schmeckende Knabberei, Hanfmüsli, das Nuss-Allergiker problemlos vertragen, Hanfprotein für Veganer, die damit alle Aminosäuren bekommen, die der Körper braucht. Außerdem: Hanflinge zum Braten. Hanfschokolade, Hanftee, Hanfpellets für Tiere als Nahrungsergänzung, Honig, den Bienen vom Hanffeld geerntet haben, Hanfpuppen, Hanfglühwein… Eine Auswahl, die wirklich berauschend ist.

Nutzhanf kann sich positiv auf die Gesundheit auswirken

Mit seinem hohen Gehalt an Omega-6- und Omega-3-Fettsäuren, Vitaminen und Mineralstoffen kann Nutzhanf sich positiv auf Gelenkerkrankungen auswirken, Herz- und Kreislaufkrankheiten vorbeugen, den Blutdruck senken, das Immunsystem stärken und soll auch das Gehirn leistungsfähig halten. „Sogar gegen Schnarchen habe ich es erfolgreich eingesetzt“, sagt Marion Hensel. Auch in Kosmetika hat der Nutzhanf seinen Weg gefunden. Die enthaltene Gamma-Linolensäure beruhigt gereizte Haut.

Marion Hensel (l.) und Nadine Rothert bieten in ihrem Hanf-Lädchen in Jesteburg eine große Auswahl an Hanfprodukten.
Marion Hensel (l.) und Nadine Rothert bieten in ihrem Hanf-Lädchen in Jesteburg eine große Auswahl an Hanfprodukten. © HA | nanette franke

Im Laden begrüßen Nadine Rothert und ihre Mutter Marion Hensel viele Stammkunden „von ganz jung bis zu Senioren“, wie sie sagt. Neulinge in der Welt des Hanfes kommen oft auf Empfehlung von naturheilkundlich arbeitenden Ärzten. Die Stimmung ist freundlich und vertraut. Anders auf Messen, die die beiden Hanf-Produzentinnen regelmäßig besuchen: „Wir hatten schon Situationen, in denen Drogendealer auf uns zugekommen sind“, berichten die Frauen.

Im Hanf-Laden in Jesteburg wird es kein THC-haltiges Cannabis geben

Den Standort ihrer Produktion und ihres Feldes halten sie geheim, nachdem sie immer wieder erleben mussten, dass Unkundige es großflächig abgeerntet hatten – wohl in der Hoffnung auf einen Rausch – oder dass Dealer den Nutzhanf aufluden, um ihre THC-haltige Ware damit zu strecken. „Wir sind immer wieder überrascht, wie wenig die meisten Menschen, ja sogar Polizisten und Apotheker, über Hanf und seine Verwendung wissen“, sagt Nadine Rothert.

Der nun bevorstehenden Freigabe von THC-haltigem Cannabis sehen die Hanfpionierinnen mit Skepsis entgegen. „Wer will das denn kontrollieren?“, fragen sie. THC-haltige Hanfprodukte in ihr Sortiment aufzunehmen, können sie sich nicht vorstellen, denn: „Die Sicherheitsvorkehrungen, die dazu nötig wären, können wir hier im Laden nicht bieten.“