Hamburg. Gesetzlich oder privat? Klaus Harder flog deutsche Polit-Prominenz – und gilt der Krankenkasse als Härtefall. Was er zahlen muss.

Klaus Harder hatte die Wahl: Er konnte sich für die gesetzliche oder die private Krankenversicherung entscheiden. Diese Option haben normalerweise Selbstständige, Besserverdiener und seit wenigen Jahren auch angehende oder neue Beamte in Hamburg. Dabei sollte jeder Wahlberechtigte prüfen, welcher Weg sinnvoll erscheint. Kernfragen: Was zahlt der Arbeitgeber oder Dienstherr dazu? Wie werden Partner oder Kinder mitversichert? Ist es beim Arzt oder im Krankenhaus besser, die gesetzliche oder private Karte vorzulegen? Und wie entwickeln sich die Beiträge und Prämien in den kommenden Jahren und wie für Rentner oder Pensionäre?

Denn unter privat Krankenversicherten kursiert die Binsenweisheit: In frühen Jahren angelockt, im Alter wird dann abgezockt. Das bedeutet: Wer jung ist, zahlt wenig, Senioren erhalten jeden Monat hohe Prämienrechnungen. Ein Wechsel in die Gesetzliche ist später praktisch unmöglich. Bei Beamten gilt der Lock-und-Zock-Spruch in der Regel nicht. Die Beihilfe begleicht ihre medizinischen Leistungen zum Großteil. Sie genießen diese Zuschüsse „lebenslang“.

Krankenversicherung: Gesetzlich oder privat? Das ist zu beachten

Klaus Harder hatte keine Wahl. Er war zwar Soldat, Pilot der Luftwaffe, genoss die freie Heilfürsorge und musste sich keine Gedanken um seine Krankenversicherung machen. Er würde von der Bundeswehr eine ausreichende finanzielle Beteiligung an seiner privaten Police erhalten. Doch Klaus Harder war krank. Er litt unter einer seltenen erblichen Malaise, die seine Cholesterinwerte in bedenkliche Höhen trieb. Es gab einen Rettungsanker für ihn. Der damalige Göttinger Professor Dietrich Seidel hatte ein Verfahren entwickelt, das Betroffenen wie Harder helfen konnte. Es sollte die schädlichen Fettstoffe aus dem Blut waschen.

Keine der von Harder angefragten privaten Krankenversicherungen wollte die hohen Kosten dafür übernehmen. Ausgerechnet eine gesetzliche Kasse war dazu bereit. Harder konnte also dorthin als freiwillig Versicherter wechseln oder musste ernsthafte medizinische Konsequenzen fürchten. Er votierte für die teure, aber möglicherweise lebensverlängernde Variante.

873 Euro im Monat: Doppelter Beitrag zur Krankenkasse

Denn als freiwillig gesetzlich Versicherter, so wurde ihm später klar, würde er den vollen Beitrag zur Krankenkasse zahlen, also Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil. Was den „jungen“ Rentner anfänglich wenige Hundert Mark kostete, wuchs sich bis heute zu einer monatlichen Belastung von 873 Euro aus. Klaus Harder ist jetzt 93 Jahre alt. Nach den bis dato gültigen Beihilfe-Vorschriften und einer Gesundheitsreform Ende der 1980er-Jahre hatte er die berechtigte Hoffnung, dass er mit dann 65 Jahren die Hälfte seiner Beiträge vom Staat bekommt. Doch die nächste Reform beerdigte diesen Passus wieder, der ihm genutzt hätte. Ihm fehlten zwei Lebensjahre.

Diese Regelungslücke und private Zuzahlungen zu seiner gesetzlichen Krankenversicherung haben dazu geführt, dass Harder über mehr als 30 Jahre nach seiner Rechnung Zehntausende Euro „zu viel gezahlt“ habe. Zuletzt brauchte er einen Handlauf für eine Treppe im Haus, die er kaum noch unfallfrei gehen kann. Harder leidet unter Schwindel und Gleichgewichtsstörungen durch ein neues Medikament und war bereits gestürzt.

Bei einem Sturz wollte seine Frau noch das Schlimmste verhindern. Auch sie erlitt Blutergüsse und einen gebrochenen Arm. „Es liegt eine Vielzahl an schweren Erkrankungen vor“, schrieb ihm seine Hamburger Dialysepraxis als Attest. Der Einbau eines Handlaufes sei „außerordentlich sinnvoll“. Doch Patient Harder blitzte bei der Versicherung ab und soll die 3000 Euro Kosten dafür selbst begleichen.

Pilot Klaus Harder flog Bundespräsidenten und Kanzler

Die Situation macht den Buchholzer umso verbitterter, weil er mehrfach „sein Leben für das Land eingesetzt hat“, wie er sagt. Das hat er schriftlich – ob von Vorgesetzten wie einem späteren Inspekteur der Luftwaffe oder dem Fachblatt „Luftwaffen-Revue“. Harder war mit Jets der Flugbereitschaft der Bundeswehr mehrfach in lebensbedrohlichen Situationen. Einige entwickelten sich aufgrund von technischen Defiziten, andere durch Pannen bei Absprachen.

Vor dem Start der Jetstar in den USA
Vor dem Start der Jetstar in den USA © HA | Privat

Der Pilot erlebte mit prominenten Politikern an Bord mehrere Triebwerksausfälle, zum Teil mit knallbegleiteten Explosionen, stürzte fast bei einem Landeanflug ab, vermied in Beinahe-Kollisionen mehrmals Flugunglücke und testete Neuentwicklungen. Ein Teil dieser Flug-Zwischenfälle ist bekannt, ein anderer nur in internen Schreiben dokumentiert. „Ich bin Geheimnisträger“, sagt er. 30 Jahre ist er geflogen. Als Ausbilder und Düsenpilot der ersten Stunden des Jet-Zeitalters hatte er auch die Gelegenheit, sich früh pensionieren zu lassen. Aufgrund seiner Erkrankungen war es hilfreich, nicht mehr dem Stress der Fliegerei ausgesetzt zu sein.

Flugbereitschaft der Bundeswehr: Als Strauß ins Cockpit purzelte

Harder hatte zuvor Bundespräsidenten, Kanzler und Minister geflogen: Heinrich Lübke, Gustav Heinemann, Walter Scheel, dazu Ludwig Erhard, Kurt-Georg Kiesinger, Willy Brandt. Helmut Schmidt rauchte, Franz Josef Strauß ignorierte das „Anschnallen“-Zeichen und purzelte beim Landen durch die Kabine bis ins Cockpit. So erinnert sich Harder.

Wegen seiner doppelten Krankenkassenbeiträge suchte er mehrfach den Kontakt zu Abgeordneten und Parteien. Er schrieb, er sei ein Härtefall. Dafür gebe es doch sicher Regelungen. Dem Abendblatt sagte Harder: Eine Antwort habe er nie erhalten. Das wurmt ihn. Ums Geld geht es ihm nicht in erster Linie. Dabei hätte er schon gern den Zuschuss erhalten „wie sämtliche Arbeitnehmer, Rentner und Ruhegehaltsempfänger des öffentlichen Dienstes“. Und: Es müsse auch politisch nach Lösungen für komplizierte Einzelschicksale gesucht werden.

Beamte in Hamburg haben die Krankenkassen-Wahl

In Hamburg gibt es seit einigen Jahren eine Regelung, die es auch Beamten ermöglicht, statt der Beihilfe plus privater Krankenversicherung sich freiwillig gesetzlich krankenversichern zu lassen. Die Behörden schießen einen Arbeitgeberanteil zu – vergleichbar wie bei Angestellten. Allerdings ist das an Bedingungen geknüpft und kann nach einmaliger Entscheidung nicht mehr geändert werden. Beamte sollten sich mit Blick auf die Familiensituation und viele andere Faktoren genau überlegen, ob sich das für sie lohnt. Im Internet gibt es dazu viele Hinweise.

Nur einige Bundesländer sind diesem Beispiel gefolgt. Ein Ortswechsel könnte für betroffene Hamburger Beamte schwierig werden. In dreieinhalb Jahren haben sich nach den letzten verfügbaren Senatsangaben gut 15 Prozent von 9400 Neueinsteigern für die gesetzliche Kasse plus pauschaler Beihilfe entschieden.

Krankenversicherung: Soldat Harder ist ein Härtefall

Keine Frage: Für Klaus Harder wäre das eine Option gewesen. Nur gab es diese Regelungen seinerzeit nicht – und es ist nicht gewiss, ob der Pilot sich so entschieden hätte, wie es für ihn im Nachhinein sinnvoll gewesen wäre.

Intelligent sei er, taktvoll, korrekt und hilfsbereit, steht in einer „Sonderbeurteilung“ über Major Klaus Harder von 1971. Heute ist er über den Spezialfall seiner Krankenversicherung nicht resigniert, aber doch enttäuscht von den Volksvertretern, deren Spitzen er einst durch die Lüfte düste: „Das ist insgesamt für mich eine politische Untat, die – wenn nicht jetzt – bis zu meinem Ableben auch nicht mehr bereinigt wird.“