Hamburg. Hamburgs Sozialsenatorin wurde von „Melanie who?“ zu einer führenden Gesundheitspolitikerin. Sie hat prominente Gegenspieler.
Wenn es Poker wäre oder Skat, dann wären da alle denkbaren Buben im Spiel, ein König, wenige Damen und möglicherweise ein, zwei versteckte Asse. Die Karten sind verteilt in der Krankenhausreform, die zunächst Deutschlands, aber eben auch Hamburgs sehr spezielle Kliniklandschaft so verändern soll, dass sie in wenigen Jahren nicht wiederzuerkennen sein wird.
Von einer „Revolution“ spricht „König Karl“, der in der Corona-Pandemie vom „Team Vorsicht“ auf den Stuhl des Bundesgesundheitsministers gehievt wurde. Karl Lauterbach (SPD) ringt mit den Bundesländern, die als Investoren für die Krankenhäuser zuständig sind, und den Krankenkassen, die Behandlungen und Operationen ihrer Krankenversicherten bezahlen, um eine milliardenschwere Reform.
Da sie zu Schließungen führen dürfte, zu Umschichtungen und neuen Arbeitsorten für Ärztinnen, Ärzte und Pflegekräfte, sprechen Klinikkonzerne mit, die Gewerkschaften und zahllose Experten. Von deutschlandweit Hunderten Kommunalpolitikern mit ihren Kreiskrankenhäusern mal ganz zu schweigen.
Krankenhausreform: Melanie Schlotzhauer schreibt daran mit
Die Patienten haben wenig zu melden. Ohne großes Tamtam hat sich eine Frau aufgemacht, das zu ändern. Hamburgs Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer (SPD) ist zur derzeit wichtigsten Gesundheitspolitikerin Deutschlands geworden. Sie sagt: „Wir müssen die Reform daran ausrichten, was die Patienten benötigen – und was die Versorger können.“ Noch vor Monaten hieß es: „Melanie who?“ Wer ist sie? Jetzt ist sie wer.
Die Lauterbach-Pläne sehen im Kern vor: Mehr Zentren für Operationen, weniger kleine Häuser, die „alles“ machen, mehr ambulante Eingriffe. Die Bezahlung soll sich nicht mehr am Hamsterrad orientieren, in dem Ärzte daueroperieren, um ihren Häusern Einnahmen zu verschaffen. „Vorhaltekosten“, also Ausstattung mit Personal und Technik, sollen 60 Prozent der Honorierung ausmachen. Sollen! Alles ist im Reformfluss. Eine glänzende Idee heute ist oft ein Rohrkrepierer morgen.
Krankenhäuser: Insolvenzen auch im Norden
Schlotzhauer (51) weiß das. Morgens Telefonat mit Genosse Lauterbach, mittags Abstimmung mit den anderen Ländern, abends Empfang bei Krankenhausverband oder Krankenkasse – sie schraubt als Koordinatorin der A-Länder im Bundesrat (SPD-Beteiligung an Landesregierung) mit den B-Ministerkollegen Karl-Josef Laumann (CDU, NRW) und Klaus Holetschek (CSU, Bayern) sowie Manfred Lucha (Grüne, Baden-Württemberg) an der Reform und dem Gesetz, das einschlagen muss und wird. Schlotzhauer und Co. haben nur einen Schuss.
Denn während die Positionen noch ausgetauscht, die Zahlen und Daten immer wieder gemischt werden, fällt das Kartenhaus Krankenhaus schon an einigen Stellen in sich zusammen. Die Einschläge sind in Hamburg zu hören, auch wenn Schlotzhauer kein Haus innerhalb der Stadtgrenzen bedroht sieht: Insolvenz im Klinikum Bad Bramstedt, der Betrieb geht vorerst weiter. Pleite der Imland-Kliniken in Rendsburg und Eckernförde – Menschenketten und Demonstrationen. Die Schön Kliniken übernehmen die Häuser. Weitere Einrichtungen im Norden sind von akuter Finanzklemme bedroht.
Corona-Pandemie hat Zahl der Operationen erheblich verringert
Niedersachsens Krankenhausgesellschaft hat sich mit Berufsverbänden und Gewerkschaften zusammengetan, um auf drängende Insolvenzrisiken hinzuweisen. Bundesweit soll sich angeblich jedes fünfte Krankenhaus mit Insolvenz oder Übernahme beschäftigen, heißt es bei der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Deren Vorstandsvorsitzender Gerald Gaß wies auf die hohen Energiekosten hin, die Tarifsteigerungen – und Hamburger Manager sagen: „Die Fallzahlen haben längst nicht das Vor-Corona-Niveau erreicht.“ Bedeutet: Die Einnahmen verharren in Bodennähe.
Gaß spricht von zehn Milliarden Euro Defizit bis Ende 2023. Zum Vergleich: Die gesamte gesetzliche Krankenversicherung häuft gerade ein Minus von 17 Milliarden Euro an. Deren Beiträge werden als erste Linderung demnächst erhöht. Die AOK verkündete jetzt, sie sehe keine Insolvenzwelle bei den Krankenhäusern. Bayerns Holetschek warnte vor dem Zerstören von Strukturen für die Patienten. Lauterbach hatte ein „Krankenhaussterben“ vorausgesagt – ob vor, mit oder nach der Reform, das blieb offen. Gaß sagt: „Wir wollen keine Almosen und auch keine Rettungspakete, sondern die faire Anpassung der Erlöse an die gestiegenen Kosten.“
Medizin-Metropole Hamburg: Jeder siebte Job hat mit Gesundheit zu tun
Und Schlotzhauer? Sie feilt an einem Gesetz, das der Situation in Sachsen, in Bayern und der Medizin-Metropole Hamburg gerecht werden muss, in der jeder siebte Job mit Gesundheit zu tun hat, wie die Handelskammer jüngst ermittelt hat. Die Hamburger werden mehr und sie werden älter. Gute Nachrichten für das medizinische Konjunkturbarometer, schlechte für die „Kostenträger“ und ihre zahlenden Versicherten. Selbst die Krankenhausreform wird kosten, ehe sie einspart, weil um- und angebaut werden muss.
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Lauterbach muss Steuergeld vom Bund lockermachen, sagt ihm auch Ländervertreterin Schlotzhauer. Doch für jede Extra-Milliarde muss Lauterbach ins persönliche „Beichtgespräch“ mit Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Kanzler Olaf Scholz (SPD). So sind die Ampel-Regeln.
Krankenhausreform: Wie Melanie Schlotzhauer zu Karl Lauterbach steht
Als erste Hamburger Verantwortliche der jüngeren Geschichte sieht Schlotzhauer Lauterbachs Wirken nüchtern, kritisch. Ihre Vorgängerinnen Cornelia Prüfer-Storcks und Melanie Leonhard waren mal Fans, mal schweigsam. Die Neue im Amt (seit Dezember) sieht in Berlin „viel Bohei“ und eine „Revolution“ schon mal gar nicht. Lauterbachs Einteilung der Krankenhäuser nannte sie eine „Levelei“, die Hamburg nicht brauche. Hier würden ohnehin 75 Prozent aller Patienten bereits in Zentren oder den spezialisierten Häusern behandelt, die mal am Ende der Reform stehen sollen.
Sie will hohe Versorgungsstandards, „egal, ob man in Bottrop, Buxtehude oder Barmbek behandelt wird“. Gleich zwei Gipfel hat sie mit Experten veranstaltet, der nächste ist bereits für Anfang Juli terminiert. Das Abendblatt hat mit mehreren Gipfel-Teilnehmern gesprochen. Niemand wagt sich aus der Deckung, weil die Reform-Details sich täglich ändern können. „Sie nimmt die Bedürfnisse der Hamburger Häuser sehr gut wahr“, sagt einer.
Krankenhaus Hamburg: „Biete Urologie, nehme HNO“
Doch die Krankenkassen drängen: Die Reform werde auch an Alster und Elbe zu Zusammenlegungen führen. Die Geburtshilfe ist wohl nicht betroffen. Aber: Es werde, so ein Klinik-Vorstand, vermutlich zwischen Häusern und sogar verschiedenen Unternehmen gefeilscht: „Biete Urologie, nehme HNO.“ Auch die Notaufnahmen dürften betroffen sein. Die niedergelassenen Ärzte sowieso. Denn Krankenhäuser sollen mehr ambulant machen, ohne langen Bettaufenthalt. Wie wird das bezahlt? Man ringt noch darum.
Schlotzhauer weiß selbst, dass sie mit ihren Leuten inmitten eines halb öffentlichen, halb privaten Sektors ein bisschen Planwirtschaft betreibt. Und sie muss schauen, dass so spezialisierte wie hervorragend beleumundete Häuser wie die Endo-Klinik oder das Israelitische Krankenhaus mit seiner hochgelobten Chirurgie nicht leiden. Ihre Hausaufgaben hat sie schon als Staatsrätin gemacht. Bei Veranstaltungen war sie oft länger, als es der Job als Grußwort-Verleserin vorsah.
Sie hörte lange und gut zu. Bei einem Krankenhausempfang vor einigen Wochen wartete – so gehört sich das – der höchstrangige Einladende, um Frau Senatorin die Wagentür aufzuhalten. Schlotzhauer kam mit dem Fahrrad. Sie blieb lange. Wie so oft. Die Krankenhausreform ist ihr dickstes Brett. Ein „Medizin-Mann“ mit Gewicht sagte dem Abendblatt: „Sie kann es.“