Stade. Susann Till ist 80 Jahre alt und seit elf Jahren Unternehmerin. Ihre Erfolgsgeschichte ist eine Inspiration – genau wie ihre Chutneys.
- Wer auf der Suche nach einem kleinen Geschenk unter 10 Euro ist, könnte in der Chutney-Manufaktur von Susann Till fündig werden
- Die Chutneys sind handgefertigt, originell und auch optisch ein Hingucker
- Dahinter steckt eine faszinierende persönliche Geschichte
Susann Till ist Deutschlands ungekrönte Chutney-Königin. Aus der „Jungunternehmerin“, die ihre schmackhafte Geschäftsidee mit 69 Jahren in die Tat umsetzte, ist in den vergangenen elf Jahren eine selbstbewusste Geschäftsfrau geworden – mit 80 Jahren. Ihre ungewöhnliche Erfolgsgeschichte ist eine Inspiration und zeigt, dass man in jedem Alter noch einmal richtig durchstarten kann.
Das erste, was an Susann Till auffällt, sind ihre strahlend blauen Augen. Glänzend und voller Leben. Das zweite ist ihre extravagante Brille, die dieses blitzende Augenpaar einrahmt und viel zum beeindruckenden Gesamteindruck beiträgt. Vor einem sitzt eine selbstbewusste Geschäftsfrau. Eine Frau, die weiß, was sie leistet. Eine Frau, die 2012 – mit 69 Jahren – ein Unternehmen gründete und seitdem nicht mehr aufzuhalten ist.
Um sich von den Schmerzen abzulenken, fing sie wieder an zu kochen
Sie sitzt in ihrem gemütlichen Haus in Stade, das Heim, Firmenzentrale und Produktionsstätte in einem ist. Mit einem charmanten Lächeln auf rot geschminkten Lippen, denn das Hirn schrumpft ja nicht durchs Benutzen von Lippenstift. Susann Till sitzt kerzengerade – obwohl sie Rückenprobleme plagen. Sie bringt viel Muße fürs Gespräch mit, ungeachtet der momentanen Hektik, weil der Chutney-Verkauf vor Weihnachten auf Hochtouren läuft. Sie äußert sich präzise und lässt doch schwärmerische Abschweifungen zu, wenn es um ihre große Leidenschaft geht: das Kochen.
Denn dieses Hobby hat der ehemaligen Haute-Couture-Schneiderin quasi das Leben gerettet und es in völlig neue Bahnen gelenkt. „Mit 68 Jahren war ich am Boden“, sagt sie. Gesundheitlich hatte sie einen Tiefpunkt erreicht. Sie hatte einen Schlaganfall erlitten, lag zehn Tage im Koma. Nach einer Sepsis erwogen die Ärzte die Amputation einer Hand. Sie hatte mehrere schwere Rückenoperationen hinter sich – ihr wurden kaum Heilungschancen attestiert.
„Meine Perspektive war das Pflegeheim“, sagt die Staderin rückblickend
„Meine Perspektive war das Pflegeheim“, sagt die Staderin. Sie konnte kaum noch laufen. „Ich war verzweifelt und dachte, mein Leben sei vorbei. Meine Kinder und Freunde machten sich große Sorgen um mich.“ Gleichzeitig verspürte sie einen großen Willen in sich aufkeimen: „Ich dachte, das kann es nicht gewesen sein“, erinnert sich Till. Und um sich von den Schmerzen und den Sorgen abzulenken, fing sie wieder an zu kochen. Chutneys, weil sie diese selbst gemachte Spezialität stets zu Weihnachten an Familie und Freunde verschenkte.
Mit ihrem Ablenkungsmanöver machte sie aber nicht nur den Beschenkten eine Freude, sondern sie legte damit den Grundstein für ihr Unternehmen „By Susann“. Bestellte kurzerhand 100 Gläser im Internet und füllte in ihrer kleinen Küche den ersten 20-Liter-Topf mit ausgesuchten Zutaten für ein Chutney. Sie besorgte die nötigen Genehmigungen beim Amt für Lebensmittelhygiene, ließ sich von Profis bei der Gründung beraten, erhielt Nachhilfe von ihren Kindern in Sachen Internet und Soziale Medien.
„Bis heute fühle ich mich jünger und freier und bin voller Energie“
Als es soweit war, half ein Freund ihr bei der Vermarktung der Produkte. Sie nahm ihren Mut zusammen, setzte sich wieder ans Lenkrad ihres Autos und bot ihre Chutneys bei Verkostungen an. „Ab da standen nicht mehr meine Beschwerden im Vordergrund, sondern mein Leben und das, was ich noch damit vorhatte“, sagt Susann Till. „Ich spürte, wie ich mich veränderte, mich jünger und freier fühlte und war voller Energie. Das ist bis heute so.“
Tills eingekochten Spezialitäten mit exotischer Note und großer Tiefe im Geschmack kamen gut an. Nicht nur der örtliche Edeka wurde auf sie aufmerksam, auch Feinkostläden in Berlin und Hamburg wollten ihre Chutneys. Auftritte im Fernsehen kurbelten den Online-Verkauf an. Spitzenköche lobten ihr Produkt. Unter anderem vom Fernseh- und Sternekoch Christian Rach gab es den Ritterschlag: „Er wollte wissen, wie ich es schaffe, dass der Spargel in meinen Chutney seinen Biss behält“, sagt Till.
Chutneys von Susann Till sind mehr als einfache Dips oder Saucen
Ihre Chutneys sind mehr als einfache Dips oder Saucen. Es sind kleinen Aromawunder für den Vorratsschrank, mit denen sich fast jedes Gericht aufpeppen lässt. Original indische Chutneys sind für viele europäischen Gaumen zu scharf. Susann Till setzt auf Ausgewogenheit und kocht nach Farben.
So sorgen beispielsweise im Zitronen-Chutney neben der Hauptzutat auch Birnen, Bananen, Zwiebeln, gelbe Paprika, Ingwer, Senfkörner und Curry für den austarierten Geschmack. Das Tomaten-Chutney enthält unter anderem noch Pflaume, rote Paprika und Chili. Das Mango-Chutney wird kombiniert mit Ananas und Curry.
„Das Beste aus der weiten Welt trifft auf das Schönste aus der Region“, lautet das Motto von Susann Till. „Bei der Qualität sollte man nie Kompromisse machen.“ Die hat ihren Preis: Ein Glas mit 150 Gramm Inhalt kostet 7,50 Euro – von Anfang an. „Ich weiß, dass das viel Geld ist und würde gern günstiger sein, damit sich alle das Produkt leisten können“, sagt sie.
Trotz der deutlich erhöhten Produktionskosten plane sie deshalb auch keine Erhöhung des Preises. Bei der aufwendigen Herstellung oder den hochwertigen Zutaten will Susann Till aber trotzdem nicht sparen. „Dann wäre es nicht mehr dasselbe Produkt und es macht keinen Spaß mehr“, sagt die 80-Jährige.
Im Garten baut Till 50 Sorten Gewürze in Altländer Obstkisten an
Insgesamt gibt es 15 Sorten Chutney von „By Susann“, saisonbedingt sind nicht immer alle zu haben. In ihrem Garten baut Susann Till allein 50 Sorten Gewürze in Obstkisten aus dem Alten Land an – darunter Wasabi und Zitronengras. „In die Chutneys kommen nur ausgesuchte frische Zutaten, und ich koche sie nach selbst entwickelten Rezepturen. Sie sind vegan und enthalten keine Konservierungsstoffe“, so die Köchin, die neben Chutneys inzwischen auch Öl, Cantuccini und Pralinen herstellt. Außerdem hat sie ein Kochbuch geschrieben und gibt viele Tipps zum Kochen auf ihrer Homepage und bei Facebook.
Mehr Geschenkideen aus regionalen Manufakturen
- Geschenke von Elbwolle: So schön ist ein Pulli vom Deichschaf
- Immenbeck: Bei diesem Brauer kommt das Bier direkt aus dem Kuhstall
- Lüneburg: An dieser Lakritz-Bar gibt es Black Metal in Tüten
Dass sie inzwischen 80 Jahre alt ist, macht Susann Till keine Angst. Sie stellt sich weiterhin dem Leben, läuft nach wie vor fast jeden morgen zwischen fünf und sechs Uhr ihre Runden auf dem nahe gelegenen Sportplatz. „Danach bin ich voller Sauerstoff und Energie“, sagt sie. Wenn sie gesundheitliche Probleme hat, geht sie zum Arzt und nimmt gegebenenfalls eine Operation in Kauf – so wie aktuell am leidigen Rücken.
Nach einer Rücken-OP will sie schnell wieder auf die Beine kommen
Danach will sie schnell wieder auf die Beine kommen und weitermachen. Oft ist sie immer noch 15 Stunden am Tag eingebunden. „Bei mir heißt es nicht, ich kann das nicht mehr. Bei mir heißt es, ich kann das noch“, sagt sie und bezeichnet jeden weiteren Tag als „geschenkte Zeit“ und sich selbst als „Kämpferin“. „Man kann eine Weile jammern, aber dann muss man wieder die Initiative ergreifen“, sagt sie.
Ihre ungewöhnliche Geschichte als gar nicht mehr so junge Jungunternehmerin hat Susann Till ein neues Leben mit vielen neuen Bekanntschaften und Erlebnissen beschert. Aber eigentlich hat sie sich dieses Geschenk selbst gemacht – auch wenn nicht alles so geklappt hat wie geplant.
Denn mit 80 wollte sie eigentlich ein Chutney-Imperium aufgebaut haben und ihre Familie auf eine Weltreise einladen. Daraus wird wohl nichts. „Reich wird man mit Chutneys nicht“, sagt Susann Till. Jedenfalls nicht, wenn man den Erfolg in Geld misst. Oder was ist ein glückliches und erfülltes Leben wert?