Seevetal. „Bürgerbetrug“, „schlechter Traum“: Ausbau der ICE-Trasse stößt im Kreis Harburg auf vehementen Widerstand. Hitziger Info-Abend.
- Deutsche Bahn will ICE-Strecke Hamburg-Hannover ausbauen
- Für die Umsetzung gibt es drei mögliche Alternativen
- Vor allem ein Neubau entlang der A7 stößt auf Widerstand
- Anwohner im Landkreis Harburg protestieren gegen die Bahn-Pläne
- Deutsche Bahn lud nun erstmals zu einer Podiumsdiskussion
Bei den Ausbauplanungen der ICE-Strecke zwischen Hamburg und Hannover hat die Deutsche Bahn AG am Dienstagabend erstmals den Bürgerinnen und Bürgern im Landkreis Harburg Rede und Antwort gestanden.
Bei einer Podiumsdiskussion in der Burg Seevetal eröffnete Frank Limprecht, Großprojektleiter bei der Deutschen Bahn Netz AG, den 500 Zuschauern im Saal, was viele bereits befürchtet haben: „Wir haben festgestellt, dass ein Bestandsstreckenbau, wie wir ihn 2015 im Dialogforum Schiene Nord erarbeitet haben, nicht ausreicht, um die Ziele zu erreichen. Wir wollen den Deutschlandtakt und wir wollen die Verkehrswende – das bekommen wir mit den vor sieben Jahren erarbeiteten Lösungsvorschlägen nicht hin.“
Damit steht fest: Der im Dialogforum Schiene Nord 2015 mit Bahn AG, Bund, dem Land Niedersachsen, Anrainerkommunen und Bürgerinitiativen erarbeitete Konsens wird seitens der Bahn aufgekündigt. Das Staatsunternehmen plant und favorisiert den Neubau.
ICE-Strecke Hannover–Hamburg: Buhrufe bei Podiumsdiskussion
Zur Podiumsdiskussion in Seevetal hatte die SPD-Bundestagsabgeordnete für den Landkreis Harburg, Svenja Stadler, eingeladen. Ihr Anliegen: „Beim Thema ‚Ausbau oder Neubau‘ der Bahnstrecke Hamburg-Hannover miteinander und nicht übereinander zu reden.“
Neben Limprecht kamen die ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete und von 2014 bis 2021 verkehrspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion Kirsten Lühmann, Peter Dörsam, Sprecher des Projektbeirates Alpha E und Martin Mützel, Vorsitzender des VCD (Verkehrsclub Deutschland) zum Gespräch.
Wie berichtet, plant die Bahn einen Ausbau der ICE-Strecke zwischen Hamburg und Hannover. Zur Auswahl stehen drei Varianten – Bestandsausbau, bestandsferner Ausbau und der Neubau einer Trasse, die parallel zur Autobahn 7 verläuft.
Letztere sorgt in den betroffenen Landkreisen für massive Proteste. Allein in der Gemeinde Seevetal unterstützten mehr als 5000 Bürgerinnen und Bürger die Bürgerinitiative „Trassenalarm“, die den Widerstand gegen die geplante Trasse zwischen Hamburg und Hannover organisiert.
Neue ICE-Trasse durch Haus eines Ehepaars?
Viele von ihnen wären direkt von den Auswirkungen der neuen Strecke betroffen, befürchten den Verlust ihres Hauses und die Zerstörung ihrer Betriebe. So wie Susanne Ulber. „Eine neue ICE-Strecke würde direkt durch unser Haus führen“, sagt sie. Auch Rolf und Anne-Dore Müller sehen voller Sorge in die Zukunft. Ihr Hof in Gödenstorf würde durch die Neubautrasse von den Weiden abgeschnitten.
„Wie geht das, wenn ein landwirtschaftlicher Betrieb einfach in der Mitte durchgeschnitten wird, wenn eine Bahntrasse ein Haus in zwei Teile trennt?“ Mit dieser Frage eröffnete Gastgeberin Svenja Stadler am Dienstagabend die Podiumsdiskussion. Sie wolle „Licht ins Dunkle bringen“, sagt sie.
Genau das wünschen sich auch die Zuhörer im Saal. Viele von ihnen waren schon vor sieben Jahren dabei, als sich Bahn, Land, Bürgerinitiativen und Kommunen auf den Ausbau der Bestandsstrecke über Ashausen, Lüneburg, Uelzen und Celle einigten. Die Einigung sahen sie damals als einen klaren Auftrag für weitere Planungen der Bahn. Jetzt fühlen sie sich hintergangen.
Gemeinderat Seevetal: „Wie einem schlechten Traum“
„Wenn Sie eine Neubaustrecke planen und die auch hier bauen, ist das nichts anderes als Bürgerbetrug“, kritisiert Reinhard Crasemann aus Ramelsloh die Vorgehensweise der Bahn. Crasemann, der sich 2015 als Sprecher der damaligen Bürgerinitiative „Y-Monster“ engagierte, ist wütend.
„Wir haben erwartet, dass das, was wir 2015 gemeinsam erarbeitet haben, auch umgesetzt wird.“ Man fühle sich wie in einem schlechten Traum, sagt Lars Teschke vom Gemeinderat Seevetal. „Es scheint, als hätte das, was damals ausgiebig besprochen wurde, nie stattgefunden.“
ICE-Strecke Hannover–Hamburg erhitzt die Gemüter
Auch Kirsten Lühmann, die als verkehrspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion 2015 den Prozess begleitet hat, ärgert sich über das Verhalten der Bahn: „Im Abschlussdokument des Dialogforums war damals etwas Wichtiges enthalten – nämlich, dass sich die Bürgerinnen und Bürger auf ein Ergebnis geeinigt haben.
Und das hieß ,Erweitertes Alpha E’“, sagt sie. „Das ist Demokratie.“ Zudem habe man damals festgelegt, dass die Bürgerinnen und Bürger erneut zusammengerufen werden, sollten sich die Bedingungen ändern und Alpha E nicht mehr passen. Das sei nicht passiert.
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Peter Dörsam, Sprecher des Projektbeirates Alpha E, weist darauf hin, dass man in Deutschland zur Verkehrswende eine schnelle Verbesserung der Strecken brauche. „Deshalb sind teure und langwierige Neubaustrecken zu diesem Zeitpunkt nicht die richtige Lösung.“ Anders sieht das Martin Mützel vom VCD, der den Bau einer neuen Trasse entlang der A7 favorisiert.
„Wir brauchen zusätzlichen Bahnverkehr – und der muss dahin, wo er die wenigsten Leute belastet“, so Mützel. „Die Strecke von Harburg Richtung Süden muss auf jeden Fall durch Seevetal.“ Entlang der A7 sei weniger kaputtzumachen als bei einem Ausbau der Bestandsstrecke.
ICE-Strecke Hannover–Hamburg: Enttäuschte Gesichter im Saal
Ähnlich argumentiert die Bahn. „Unser Ziel ist, eine Trasse zu finden, die auf der Gesamtstrecke am wenigsten Betroffenheit schafft“, sagt Frank Limprecht. Natürlich würden bestimmte Regionen stärker belastet. „Aber für die gesamte Strecke ist die Neubautrasse der optimale Verlauf.“
Derzeit würden die Kosten ermittelt. „Aber Geld spielt in meiner Betrachtungswelt erstmal keine Rolle“, so Limprecht, der in den kommenden Wochen die Bürgerinnen und Bürger ins Boot holen möchte. „Lärmschutz, Nahverkehrshalte, Anbindungen – sagen Sie uns, was Ihnen wichtig ist“, lautet sein Angebot. Enttäuschte Gesichter im Saal.
Anwohner Henry Benthack aus Ramelsloh sagt, was hier viele denken: „Das sind doch alles nur Alibiveranstaltungen. Es wird viel geredet, aber entschieden wird am Ende ohne uns.“