Westerland. Gewerkschaftsaktion in der Marschbahn: Was wünschen sich die Menschen, ohne die die Ferieninsel nicht funktionieren würde?
Jane hat sich einen Platz ganz hinten im Zug gesucht. In dicker Jacke sitzt sie in einer Ecke eines Viererabteils, die Augen geschlossen. Wie jeden Morgen hat ihr Wecker mitten in der Nacht geklingelt, um 4.31 Uhr hat sie in Niebüll die erste Regionalbahn nach Westerland auf Sylt genommen. "Ich fange um 5.30 Uhr an zu putzen", sagt die Frau aus Ghana auf Englisch.
Jane ist nicht ihr richtiger Name. Die 40-Jährige ist eine von etwa 4000 Pendlern und Pendlerinnen, die jeden Tag vom Festland auf die Nordsee-Insel zur Arbeit fahren. Für 13 Euro in der Stunde sorgt sie dafür, dass die Menschen auf Sylt es gut haben. Meistens putzt sie in Restaurants. An diesem Novembertag ist es nicht gut gelaufen. Es sind weniger Urlauber auf der Insel, dann gibt es auch weniger Arbeit. "Heute waren es nur 1,5 Stunden", sagt die Reinigungskraft. Das sind gerade mal 20,50 Euro. Viel zu wenig, um davon zu leben.
Sylt: Gewerkschaft befragt Pendler
Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) hat am Dienstag einen "Pendler-Check" gestartet. „Wir wollen wissen, wie es denen geht, die auf Sylt arbeiten – sich das Wohnen auf der Insel aber nicht leisten können", sagt Susanne Welzk von der IG BAU Nord aus Hamburg. Das Motto der Aktion: "Ohne Dich kein Insel-Paradies!" Mit einem Team von zwölf Männer und Frauen ist die Gewerkschaftlerin an Bahnhöfen und in Zügen zwischen Klanxbüll und Westerland unterwegs, informiert über Arbeitnehmerrechte und verteilt Fragebögen an die Pendler.
„Dabei geht es um die Anerkennung und den Respekt beim Insel-Job. Aber natürlich auch um den Lohn, die Arbeitszeiten und die Arbeitsmittel. Und wir fragen, wo der Schuh drückt“, sagt Susanne Welzk und spricht von den "Schatten-Malocher Sylts".
Seit morgens um 5 Uhr sind die Gewerkschaftler im Einsatz. Richtig voll wird es gegen 7 Uhr auf dem letzten Festlandsbahnhof in Klanxbüll, bevor es über den Hindenburgdamm auf die Insel geht. Es ist dunkel. Über die Gleise zieht ein eisiger Wind. Mehrere Dutzend Menschen warten auf die Einfahrt der Marschbahn.
Um diese Zeit sind Maurer und Maler, Dachdecker und Fensterputzer, Reinigungskräfte, Garten- und Landschaftsbauer unterwegs. Viele tragen Arbeitskleidung. Als es kurz vor der planmäßigen Ankunft des Zugs im Lautsprecher knackt und eine Stimme ertönt, gucken die meisten nicht mal von ihren Handys auf. Fünf Minuten Verspätung werden angesagt. "Es gibt keinen Tag, an dem nichts ist", wird Schornsteinfeger Jan Winkelmann, der seit 33 Jahren nach Sylt pendelt, eine knappe halbe Stunde später beim Aussteigen in Westerland sagen.
Clemens Melzer, Gewerkschaftssekretär in Ausbildung bei der IG Bau in Hamburg, pendelt an diesem Morgen gleich mehrmals mit. "Moin Kollegin", spricht er eine junge Frau in Maleranzug an und drückt ihr das Informationsmaterial in die Hand. Auf die Frage nach den Arbeitsbedingungen bei ihrer Firma auf Sylt sagt sie: "Es läuft. Mein Chef kümmert sich um alles. Das Problem ist die Bahn." Das hört der Gewerkschaftler an diesem Morgen immer wieder. Die Reaktionen seien sehr unterschiedlich, sagt er. Es gebe auch Kontakte, bei denen man merke, dass bei den Arbeitsbedingungen etwas im Argen sei. So habe sich eine Frau konkret nach der Mitgliedschaft erkundigt.
Teilweise prekäre Arbeitsbedingungen auf Sylt
"Sylt ist ein besonderer Brennpunkt", betont Susanne Welzk, Teamleiterin für die Gebäudereinigung der IG BAU in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. „Es gibt Reinigungsfirmen, die selbst bei den Pendlerkosten noch sparen. Sie bringen ihre Beschäftigten gleich für mehrere Tage am Stück auf die Insel. Übernachten müssen die Reinigungskräfte dann in Wohnwagen“, beschreibt sie die Situation im Sommer.
Für die Unternehmen sei das praktisch: Sie hätten ihre Beschäftigten zwar notdürftig, aber günstig untergebracht und vor allem auf der Insel verfügbar. Denn geputzt werde auf Sylt so gut wie rund um die Uhr: „Morgens und tagsüber werden die Zimmer in Pensionen, Hotels, Appartements und Ferienhäusern geputzt. Abends geht es in Büros, Geschäftsräumen und Praxen weiter. Und nachts sind die Wellnessbereiche dran“, so Welzk.
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Schon 2012 und 2015 hatte der DGB einen Pendler-Check auf der Strecke gemacht. Damals beteiligten sich mehr als 400 Beschäftigte an der Fragebogenaktion, die über mehrere Tage lief. Das Ergebnis damals: Der gesetzliche Mindestlohn, zu dem Zeitpunkt bei 8,50 Euro, war bei dem Großteil der Arbeitnehmer auf der Insel angekommen. Allerdings kritisierte die Hälfte aller Befragten die geringe Wertschätzung ihrer Leistung. Knapp zwei Drittel aller Sylt-Beschäftigten fühlten sich gehetzt und unter Zeitdruck.
Wohnen auf Sylt ist für viele zu teuer
"Jeden Tag zwei Stunden Fahrzeit sind sehr viel und oft nervig", sagt auch jetzt eine Pendlerin aus Neuenkirchen, die als Reinigungskraft bei einer Appartement-Vermietung beschäftigt ist und beim Aussteigen in Westerland noch einen Gewerkschafts-Flyer in die Hand gedrückt bekommt. Trotzdem lohne sich die Arbeit auf der Insel. "Meine Chefin zahlt gut. So einen Job findet man auf dem Festland nicht."
Dirk Rehders sieht es ähnlich. Der Tischler baut für einen Inneneinrichter auf Sylt Möbel in Ferienwohnungen ein, steht dafür seit 13 Jahren jeden Morgen um 4.45 Uhr auf und ist abends nicht vor 18 Uhr wieder zu Hause. Hat er schon mal über einen Umzug auf die Insel nachgedacht? Rehders lacht. "Ich habe ein Haus auf dem Festland. Das könnte ich mir auf Sylt nie leisten."
Sylt: Die Ergebnisse Pendler-Umfrage
Am Ende haben die Gewerkschaftler an diesem Morgen gut 600 Flyer verteilt. "Davon haben wir 60 verwertbare Kontakte zurückbekommen", sagt IG-Bau-Teamleiterin Susanne Welzk nach einer ersten Auswertung der Angaben, die die Pendler gemacht haben. "An erster Stelle steht der Wunsch nach mehr Wertschätzung bei den Arbeitnehmern. Dann kommt die Forderung nach höheren Löhnen", sagt die Gewerkschaftlerin und zieht ein positives Fazit des Pendler-Checks.
Es gebe auch einige konkrete Hinweise etwa auf Gemeinschaftsunterkünfte, denen sie jetzt nachgehen wolle. Beim Punkt Arbeitszeiten sei es vor allem um die Bahnverbindung mit besseren und vorallem verlässlicheren Zügen gegangen. Schon Anfang des Jahres wollen die Gewerkschafter die Aktion wiederholen.
Reinigungskraft Jane sitzt an diesem Morgen schon um kurz nach 8 Uhr wieder im Zug zurück aufs Festland. "Ich hätte gern einen besseren Job, aber ich finde nichts", sagt sie. Immerhin: Ihr Arbeitgeber zahlt den Mindestlohn in der Gebäudereinigung und übernimmt die Fahrtkosten.