Seevetal. Das „Y-Monster“ kämpft in Seevetal gegen den Neubau einer Bahn-Schnelltrasse durch den Landkreis. Was die Aktivisten planen.

Im Jahr 2015 erreichte das ­Y-Monster gemeinsam mit Bahn, Bund und 40 weiteren Bürgerinitiativen einen Konsens: Alpha-E, den Ausbau der Bestandsstrecke zwischen Hamburg und Hannover. Inzwischen ist klar: Die Deutsche Bahn hat trotz der Abmachungen die Neubaustrecke geplant – und damit das Y-Monster geweckt. Deren Vorsitzende Reinhard Crasemann und Björn Hack sind bereit, alles zu tun, um die Bahn zu stoppen. Und: Sie arbeiten offenbar höchst professionell.

Herr Crasemann, Herr Hack, kein anderes Thema bewegt den Landkreis Harburg aktuell mehr als dieses: Die Deutsche Bahn plant entgegen dem 2015 erarbeiteten Konsens einen Neubau für eine Hochgeschwindigkeitstrasse. Warum war es an der Zeit, das Monster zu wecken?

Reinhard Crasemann: Im März/April häuften sich bei mir die Anrufe besorgter Bürgerinnen und Bürger, die davon gehört hatten, dass die Bahn eine neue Trasse bauen will. Wir hatten davon erstmals im vergangenen Herbst gehört. Offenbar ist die Deutsche Bahn mit ihren Planungen völlig entgleist. Gerade erst 2015 hatten wir gemeinsam einen Konsens im Dialogforum gefunden: Alle Mitstreiterinnen und Mitstreiter in den Bürgerinitiativen, die Bahn und der Bund waren sich einig. Das war ein irrer Erfolg. Nach acht Monaten Arbeit. Tausenden von Arbeitsstunden, Gutachten und Abwägungen. Es galt die Abmachung: Wenn alle sich auf eine Lösung einigen, kommt diese in den Bundesverkehrswegeplan – und hat damit eine Gesetzeswirkung. Alles, was darin steht, muss vorrangig gebaut werden.

Engagieren sich in der Bürgerinitiative Y-Monster (v.l., hinten): Philipp Nerbe, Dirk Schellstede, Herman Poppe, Björn Hack. Mittlere Reihe: Catrin Crasemann, Martina Oertzen, Heike Nerbe, Nina Hack, Tanja Maack, Axel Crasemann. Vorn: Ines Sievers, Jule Menke und Angelika Gaertner.
Engagieren sich in der Bürgerinitiative Y-Monster (v.l., hinten): Philipp Nerbe, Dirk Schellstede, Herman Poppe, Björn Hack. Mittlere Reihe: Catrin Crasemann, Martina Oertzen, Heike Nerbe, Nina Hack, Tanja Maack, Axel Crasemann. Vorn: Ines Sievers, Jule Menke und Angelika Gaertner. © HA | y-monster.de

Björn Hack: Wir haben uns darauf verlassen, was die damals Verantwortlichen, Niedersachsens Verkehrsminister Olaf Lies, Volker Kefer, damaliger Bahnvorstand, und Enak Ferlemann, 2015 CDU-Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, gesagt haben: „Das wird jetzt so gemacht.“ Lies hat damals sogar zehn Millionen Euro auf den Tisch gelegt, um die Planungen aus Richtung Westen zu beschleunigen. Alle haben sich gefeiert. Inzwischen ist klar, die Bahn hat völlig anders geplant als abgemacht. Das ist arglistige Täuschung. Kein Mensch hätte sich auf das Dialogforum eingelassen, wenn klar gewesen wäre, dass alles sowieso Schall und Rauch sein würde. Wir mussten also das Monster wecken. Denn: Monster sterben nicht. Sie schlafen nur.

Wie agiert das Y-Monster?

Crasemann: Professionalität ist der Schlüssel für den Erfolg. Wir führen die Bürgerinitiative wie eine Firma. Dort, wo Entscheidungen getroffen werden, sitzen die besten Köpfe, richtige Cracks, die schlauer sind als die Bahn. Ehrenamtliche, die sich in ihrer beruflichen Tätigkeit als Führungskräfte bewiesen haben, kümmern sich mit ihrer Expertise um die Aufgaben Recht, Informationstechnologie, Finanzen, Marketing und Strategie. Die Finanzen betreut zum Beispiel ein Mann, der sich in der Region viel Vertrauen erworben hat: Hermann Poppe, früherer Bereichsleiter Unternehmensberatung bei der Volksbank. Diesen, einem Vorstand ähnelnden Kopf beraten lokale Gruppen in den Gemeinden und Ortsteilen. Ihre Mitglieder sind im Dorf bekannt und Ansprechpartner für die übrige Bevölkerung. Die frühere Seevetaler Bürgermeisterin Martina Oertzen ist eine dieser lokalen Gesichter der Bürgerinitiative.

Welche Asse hat Y-Monster aktuell im Ärmel?

Crasemann: Wir haben sämtliche Unterlagen zu den Planungen der Bahn und können mit langjähriger Expertise aufwarten. Wir treiben die handelnden Personen vor uns her, anstatt von ihnen getrieben zu werden. Uns gibt es bereits seit 2014. Wir haben gelernt, wann wir leisere und wann lautere Töne anschlagen müssen. Wir haben gelernt, wie man öffentlich überregional und sogar bundesweit sichtbar wird und Gehör findet. Und wir wissen, wie Kommunikation funktioniert, wie digitale Medien eingesetzt werden und wie auch junge Menschen mit ins Boot geholt werden. Das Y-Monster funktioniert wie eine Marke.

Hack: Darüber hinaus sind wir seit 2014 gut vernetzt mit anderen Bürgerinitiativen entlang der A7. Wir haben beste Kontakte zu einflussreichen Menschen, zu politischen Vertretern und zahlreichen Experten aus allen Bereichen: zu Juristen, Handwerkern, Kommunikationsexperten, Landwirten, IT-Experten, Naturschützern und Unternehmern. Und nicht zuletzt wissen wir aus Erfahrung, wie man mit Aktionen bis nach Berlin wirkungsvolle Sichtbarkeit erzeugt und auch in Zusammenarbeit mit Bürgerinitiativen anderer Regionen unkonventionell Widerstand sichtbar macht. Beispiel dafür ist das „Wyld Whyte Dynner“ 2015 auf der Landstraße zwischen Ramelsloh und Marxen, bei dem an einer 1,5 Kilometer langen Tafel tausende betroffener Bürger ihren Protest eindrucksvoll sicht- und erlebbar gemacht haben.

Wogegen genau zieht Y-Monster in den Kampf?

Crasemann: Gegen einen Trassenverlauf – den offiziell zwar niemand im Bundesverkehrsministerium in Auftrag gegeben haben will, den die Bahn jedoch seit 2016 systematisch geplant hat und der jetzt von Seiten der Bahn als die einzig sinnvolle Lösung propagiert und vor diesem Hintergrund in den Bundestag eingebracht werden wird. Wir werden mit allen Mitteln und Wegen, die es gibt, eine Neubautrasse verhindern. Sie würde eine ganze Region zerstören. Denn, anders als 2015, ist Seevetal diesmal in Gänze betroffen. Ein anonymer Informant hat uns die Unterlagen zugespielt. Das, was dort zu sehen ist, ist brutaler als alles, was wir befürchtet haben. Es geht um ein gigantisches, vermutlich bis zu 25 Meter hohes Bauwerk mit zwei, streckenweise sogar vier Gleisen nebeneinander. Ein Bauwerk, das Orte und Landschaften massiv zerschneiden wird.

Wer profitiert davon?

Hack: Es gibt einen einzigen Profiteur dieser ganzen Nummer: Und das ist der Hamburger Hafen, der mit dem Neubau seine wirtschaftlichen Interessen verfolgt. Den Prognosen der Hafenwirtschaft nach soll der Güterverkehr nach 2030 immens anwachsen. Um die Güter abfertigen zu können, fordert der Hamburger Hafen von der Politik den massiven Aus- bzw. Neubau des Schienenverkehrs auf der Strecke zwischen Hamburg und Hannover. Dort favorisiert man den Neubau, weil die Strecke 30 Kilometer kürzer ist als der Bestand und damit einen Kostenvorteil erheblichen Ausmaßes für den Hafen hat. Je kürzer der Weg von Hamburg nach Süden, umso attraktiver der Hafen.

Crasemann: Aber: Erklären Sie mir mal die Nachhaltigkeit und Umweltsinnhaftigkeit, wenn bis zu 400 Meter lange Containerschiffe mit ihren 110.000 Schweröl-PS 240.000 Tonnen Fracht 100 Kilometer eine ausgebaggerte Elbe hinaufschieben, anstatt diese deutlich umweltfreundlicher in Wilhelmshaven abzuliefern? Das ist ja wohl ein Treppenwitz und durch Zynismus kaum zu überbieten! Irgendjemand im Hamburger Hafen hat offenbar einen guten Draht zur Politik und schiebt China-Beteiligungen und Bahnstrecken an. Wir kriegen heraus, wer dahintersteckt. Wir werden jede Schweinerei aufdecken.

Was sagen Sie zu dem Vorwurf, die Initiative wolle den Ausbau des Schienennetzes und damit die Verkehrswende verhindern?

Hack: Das ist vollkommener Unsinn. Niemand ist gegen einen Deutschlandtakt. Aber dieser lässt sich auch auf der Alpha-E-Strecke verwirklichen – bei nur vier Minuten Verzögerung. Solche Vorwürfe sind ein elender Versuch, die Bürgerinnen und Bürger in der Region zu spalten. Wir werden mit allen Mitteln daran arbeiten, das zu verhindern.

Und wie geht es jetzt weiter?

Crasemann: Wir werden alle Mitglieder des Deutschen Bundestages erinnern, was 2015 entschieden worden ist. Und wir werden sie fragen, ob sie die Neubau-Eisenbahntrasse zwischen Hamburg und Hannover befürworten oder ablehnen. Die Antworten werden wir veröffentlichen. Und wir werden falsche Voraussetzungen und planerische sowie verwaltungsrechtliche Fehler aufdecken sowie Seilschaften enttarnen und veröffentlichen, wer für den eigenen Nutzen und zu Lasten der Bürger agiert.

Gegen die Neubaustrecke der Bahn engagieren sich im Landkreis Harburg mehrere Bürgerinitiativen, die eng zusammenarbeiten. Die derzeit größte mit über 5000 Unterstützerinnen und Unterstützern ist die BI Trassenalarm, die wie das Y-Monster in und um Seevetal aktiv ist und die Rechtsform eines Vereins anstrebt.

Wie das Y-Monster will auch Trassenalarm mit spektakulären Aktionen die geplante Neubautrasse der Deutschen Bahn zwischen Hamburg und Hannover verhindern und setzt sich für die Realisierung es Schienennetz-Ausbauprogramms „Alpha-E“ ein, das bereits im Bundesverkehrswegeplan vorgesehen ist.

Mit 25 Traktoren und zahlreichen betroffenen Bürgerinnen und Bürgern stellte die BI am Wochenende die rund 100 Meter breite Neubautrasse durch das Lindhorster Moor nach.

Die Aktion wurde per Drohne gefilmt und als Film auf Youtube hochgeladen. Er zeigt, was die geplante ICE-Trasse für die Menschen in Lindhorst bedeuten würde. „Flächen gehen verloren, der Ort wird isoliert, seltene Tiere wie der Eisvogel und der Biber werden vertrieben, Natur wird zerstört“, sagt Anwohner Hendrik Beeken.

Fabian Flügge, stellvertretender Vorsitzender der BI, will mit diesem Film bundesweit auf die Dramatik der Situation aufmerksam machen. „Das, was die Bahn will, lässt sich auch mit einem Ausbau der Bestandsstrecke verwirklichen“, sagt er. „Ein Neubau wird wertvolle Natur zerstören und für unsere Kinder ein Millionengrab.“

Am 27. November findet die nächste Protestveranstaltung statt. Das Motto: „Licht statt Lärm!“ Dafür werden drei Mahnfeuer in Glüsingen, Hittfeld und Lindhorst angezündet. Alle Bürgerinnen und Bürger der Gemeinde Seevetal sind außerdem aufgefordert, überall entlang der Trasse mit Laternen ein sichtbares Zeichen zu setzen oder zu den Mahnfeiern Fackeln und Laternen mitzubringen. Beginn der Veranstaltungen ist 17 Uhr.

Weitere Infos zu den Initiativen und ihren Aktionen unter www.trassenalarm.de und www.y-monster.de