Lüneburg. 30 Jahre im Amt: Wie Ulrich Mädge als Rathauschef der Hansestadt den Wandel vom Bundeswehrstandort zur Unistadt vorantrieb.

Ulrich Mädge und Lüneburg sind untrennbar miteinander verbunden. Drei Jahrzehnte hat er die Entwicklung der Hansestadt geprägt. Und sie hat wohl auch aus ihm den Mann gemacht, der an diesem Tag im Rathausgarten zwischen Rosenbüschen, alten Gemäuern und Kirchturm steht. Obwohl es viele Bilder mit dem Oberbürgermeister gibt – fotografiert zu werden, das mag er nicht so gern. Ein kurzer Augenblick mit einem flüchtigen Ergebnis. Lieber hält Mädge im Hintergrund die Fäden in der Hand.

Schon bei seinem Amtsantritt hatte er eine klare Vision von der Zukunft Lüneburgs. So erzählt es der Sozialdemokrat beim Gespräch im Rathaus. Entworfen hatte er das Bild gemeinsam mit einigen Mitstreitern aus SPD und CDU. „Uns waren mehrere Dinge wichtig, wie der Ausbau der Uni, die Stärkung der Innenstadt und die Entwicklung neuer Baugebiete.“

In Lüneburg stand nach der Wende eine Veränderung an

Kurz zuvor hatte Lüneburg durch die deutsche Einheit den Status als Zonenrandgebiet mitsamt den damit verbundenen Subventionen verloren. „Es war klar, dass eine Veränderung anstand“, sagt Mädge, der das Neue mitgestalten wollte. Dafür versucht er, stets auf dem Laufenden zu bleiben, was den Menschen wichtig ist. Als Stadtoberhaupt hält er engen Kontakt zu den Bürgern, besucht viele Veranstaltungen und ist häufig in den Straßen zu entdecken. „Die Beteiligung ist unwahrscheinlich wichtig. Eine Stadtgesellschaft funktioniert nur, wenn man alle Gruppen einbindet.“

Bis Anfang der 1990er-Jahre war Lüneburg vor allem ein Bundeswehr- und Verwaltungsstandort. Die Bezirksregierung hatte hier ihren Sitz, vier Kasernen prägten das Stadtbild – drei wurden im Lauf der Jahre aufgegeben. Vor diesem Hintergrund trieben der frühere Zeitsoldat Mädge und seine Mitstreiter die Erweiterung der Universität voran. „Wir waren überzeugt, dass junge Leute gut für die Stadt sind.“ So entstand von 1993 an auf dem Gelände der früheren Scharnhorstkaserne ein Campus für die Universität, die später mit der Fachhochschule fusionierte. Heute ist die Leuphana Universität auch bekannt durch ihr markantes Zentralgebäude des Stararchitekten Daniel Libeskind.

Mädge wollte eine größere Uni und eine erlebbare Innenstadt

Der Bau war umstritten, die Kosten verdoppelten sich bis zur Fertigstellung auf rund 109 Millionen Euro. Natürlich seien Fehler gemacht worden, räumt Mädge ein. Und es habe viel Gegenwind gegeben. „Aber ich hatte nie Zweifel an dem Bau. Meine größte Genugtuung war es, als ich Ministerpräsident Stephan Weil nach seinem Amtsantritt überzeugen konnte, den Rohbau nicht abzureißen, sondern weiterzubauen.“

Ein weiterer Punkt auf seiner Agenda war die Entwicklung der Innenstadt. Nach der Wiedervereinigung war der Umkreis für mögliche Besucher deutlich gewachsen, in Lüneburg sollten sie viele starke kleine und mittlere Geschäfte vorfinden. Das Zentrum wurde zur weitgehend autofreien Zone erklärt. „Wir wollten die Stadt erlebbar machen“, sagt Mädge. Die etwa 1300 Baudenkmäler wurden wieder sichtbar gemacht, Asphaltdecken und Waschbetonplatten vom historischen Kopfsteinpflaster entfernt und Grünflächen geschaffen. Heute macht es ihm Sorgen, dass das Gespür der Bürger für das kulturelle Erbe und die Identität der Stadt verloren gehen könne.

Baugebiete, Nahverkehr und Gesundheitsversorgung standen auf seiner Agenda

Den starken Zuzug von Neubürgern hat er selbst forciert. Damit die örtlichen Unternehmen Mitarbeiter einstellen konnten, trieb Mädge die Ausweisung neuer Baugebiete voran. So entstanden zum Beispiel das Hanseviertel am Gelände der ehemaligen Schlieffenkarserne, der Ilmenaugarten und jetzt ein Wohngebiet am Wienebütteler Weg. Auch die Entwicklung des Quartiers Kaltenmoor, in dem er selbst seit langem wohnt, ist dem Oberbürgermeister ein besonderes Anliegen.

Durch die Verbesserung von Nahverkehr und Gesundheitsversorgung wurde Lüneburg ebenfalls attraktiver. „Wir wollten im Wettbewerb mit Hamburg bestehen. Wie schon vor 500 Jahren“, sagt Mädge. Er setzte sich für den Halbstundentakt der Bahn zwischen den beiden Städten ein und ließ am Bahnhof das erste Fahrradparkhaus in Niedersachsen bauen. Als das städtische Krankenhaus saniert und das damalige Landeskrankenhaus verkauft wurde, kam es zum Zusammenschluss der Häuser in der Hand der Stadt. „Ich bin kein Freund von Privatisierungen, man muss die Kontrolle behalten“, sagt der Sozialdemokrat. Die 2007 gegründete Gesundheitsholding, zu der auch ein Rehazentrum, ein Pflegeheim und die jüngst erneuerte Salztherme Salü gehören, ist mit mehr als 3600 Mitarbeitern heute der größte Arbeitgeber in der Region.

Für Touristen und Einwohner entstanden Kultur- und Freizeitangebote

Als wachsendes Oberzentrum war die Stadt zuvor nicht unbedingt bekannt gewesen. „Wer wollte schon nach Lüneburg?“, so Mädge. Ebenso wie Neubürger wollte er Touristen anlocken. Ein entscheidender Antrieb für die touristische Entwicklung war sicherlich der Start der Telenovela „Rote Rosen“, die seit 2006 in Lüneburg gedreht wird. Zudem entstanden weitere Freizeit- und Kulturangebote. Das Museum Lüneburg wurde neu aufgestellt und die Musikschule zog in einen spektakulärer Neubau.

Die Kultur ist dem Oberbürgermeister wichtig, auch wenn – oder gerade weil – er kein „Kulturmensch“, also nicht mit Kultur aufgewachsen sei. Der gelernte Elektroinstallateur und Bürokaufmann holte das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg nach und studierte an der Fachhochschule für Verwaltung in Hildesheim. „Bildungsgerechtigkeit ist mir wichtig. Und wir müssen auch jungen Leuten mit wenig Geld, den Zugang zu Kunst und Kultur ermöglichen.“ Ein Ansatz, der in der 2014 eröffneten Kulturbäckerei mit ihren offenen und günstig zu mietenden Ateliers besonders gelungen sei.

Der Oberbürgermeister hat Durchsetzungskraft und einen langen Atem

Von 2023 an steht die Sanierung des Salzmuseums an. Auch diese Idee sei bereits vor Jahrzehnten entstanden, sagt Mädge. „Kommunalpolitik bedeutet, dicke Bretter zu bohren. Viele Dinge dauern mir zu lange, manchmal muss man Geduld haben. Aber ich habe eine gute Durchsetzungskraft und hatte immer gute Leute an meiner Seite.“ Aus seiner Zeit als Soldat habe er Ausdauer, Respekt und die Fähigkeit zum zielorientierten Arbeiten mitgebracht. Kompetenzen, die den mehrfachen Präsidenten des Niedersächsischen Städtetags auch bei langwierigen Verhandlungen zu Gute kamen. Wichtig sei die Lagebeurteilung am Anfang, sagt er. Man müsse sich immer in die Situation des anderen hineinversetzen.

Seine Allianzen schmiedete Mädge häufig im Hinterzimmer, wie er sagt. Etwas Negatives findet der Verwaltungschef daran nicht, Vorbesprechungen seien notwendig. „Man muss seine Netzwerke kennen und einbinden. Ich bin auch ein Freund davon, Dinge bei einem guten Essen zu besprechen.“ Seine Unterstützer traf er gern bei Currywurst oder Pasta. Nicht bei jedem kommt seine Vorgehensweise gut an, Mädge eckt auch an, in den letzten Jahren vielleicht häufiger als zuvor. Er selbst merkt, dass die Zeiten sich ändern. „Es ist mir zum Schluss nicht mehr so gelungen, all diese Initiativen zusammenzubringen. Mit einigen neuen Formen komme ich nicht klar, da will ich mich nicht verbiegen.“

Im Ruhestand will er auf keinen Fall ein Buch schreiben

Viermal wurde Ulrich Mädge seit 1996 direkt von den Bürgerinnen und Bürgern wiedergewählt. Einen konkreten Plan B hatte er nie, wohl aber genügend Ideen für andere Aufgaben, sagt der Mann, der am liebsten sonntags arbeitet. In Zukunft werde er sich weiter in verschiedenen Stiftungen engagieren, alles andere werde sich finden. „Wenn ich mein Leben betrachte, hat der liebe Gott mir immer einen Weg aufgezeigt. Eines steht allerdings fest: Ich werde kein Buch schreiben und nicht Berater werden.“

Seine Vision aus den Anfangsjahren habe er Stück für Stück umgesetzt, immer wieder kritisch hinterfragt und gegebenenfalls angepasst, sagt Mädge. Zu 90 Prozent sei sie umgesetzt. „Wir hatten immer ein Ziel, und das haben wir nicht aus den Augen verloren. Manchmal braucht eine Vision auch Zeit.“

Zur seiner Person:

  • Ulrich Mädge wurde 1950 in Vienenburg geboren, machte zunächst eine Ausbildung und war zwölf Jahre Zeitsoldat in Lüneburg. Später studierte er Verwaltungswissenschaften und war als Beamter beim Landkreis Lüneburg tätig. Er ist verheiratet, hat zwei Kinder und ist seit 1979 Mitglied der SPD.
  • Seit 1991 ist Ulrich Mädge Oberbürgermeister von Lüneburg, zunächst ehrenamtlich, seit 1996 hauptamtlich. Zuvor saß er zehn Jahre im Rat der Stadt. Aufgrund seines Alters durfte der 71-Jährige in diesem Jahr nicht erneut bei der Oberbürgermeisterwahl antreten.
  • Claudia Kalisch (Grüne) übernimmt am 1. November das Amt. Die 49-Jährige aus Reppenstedt holte in der Stichwahl gegen Heiko Meyer rund 55 Prozent der Stimmen.