Kiel. Schleswig-Holstein will Öffnungsmöglichkeiten nutzen und Tourismus in Modellregionen testen. Klar ist nur noch nicht, wie das geht.

Über Ostern wird es weiterhin keinen Tourismus in Schleswig-Holstein geben – sieht man einmal von den Zweitwohnungseigentümern ab, die anreisen dürfen. Die Tourismusbranche ist verärgert über die am Montag beschlossene Fortführung des Lockdowns, sieht aber einen Hoffnungsschimmer am Horizont – die Modellregion-Lösung. Sie kann wohl frühestens am 12. April für Erleichterungen sorgen.

Im Landtag überwog am Mittwoch zunächst die Verärgerung. Schleswig-Holsteins Tourismusminister Bernd Buchholz (FDP) sagte: „Ich bin nicht erfreut über die Beschlüsse“. Der sichtlich geladene Minister sprach mit sich überschlagener Stimme von einem „Überlebensprogramm“ für die Tourismusbranche, das nun nötig sei. Selbst „große, gesunde Hotels“ seien in Gefahr, es gehe „ums blanke Überleben“.

Vorebreitungen bei Unternehmern und Touristikern

Ob in dieser Situation ein paar Modellregionen helfen, die Tourismus ausprobieren dürfen, blieb unklar. Sicher ist: In vielen schleswig-holsteinischen Urlaubsregionen setzt man nun auf diesen Weg zu mehr Öffnungen. Nach dem Tübinger Modell wollen zum Beispiel die nordfriesischen Inseln, also auch die Insel Sylt, ab Mitte April Tagesbesucher und vor allem Übernachtungsgäste empfangen.

Unternehmer und Touristiker bereiten sich bereits darauf vor, dass der Kreis Nordfriesland zur Modellregion wird. Das Konzept, wie es bereits in Tübingen ausprobiert wird, sieht vor, dass Gäste nur mit einem Tagesticket auf die Inseln kommen dürfen, das einen negativen PCR-Corona-Test dokumentiert, der nicht älter ist als 48 Stunden. Abstandsregeln müssen weiter eingehalten werden und auch das Tragen einer Maske bleibt Pflicht.

Inseln sind von Übernachtungsgästen abhängig

„Wenn der Tourismus nicht bald wieder startet, sieht es hier in der Innenstadt von Wyk düster aus“, sagt Peter Boy Weber vom Verein Föhr-Amrumer Unternehmer. Er selbst führt mehrere Modegeschäfte in Wyk auf Föhr und ein Café.

Die aktuellen Corona-Fallzahlen aus ganz Norddeutschland:

  • Hamburg: 2311 neue Corona-Fälle (gesamt seit Pandemie-Beginn: 430.228), 465 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (davon auf Intensivstationen: 44), 2373 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1435,3 (Stand: Sonntag).
  • Schleswig-Holstein: 1362 Corona-Fälle (477.682), 623 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 39). 2263 Todesfälle (+5). Sieben-Tage-Wert: 1453,0; Hospitalisierungsinzidenz: 7,32 (Stand: Sonntag).
  • Niedersachsen: 12.208 neue Corona-Fälle (1.594.135), 168 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen, 7952 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1977,6; Hospitalisierungsinzidenz: 16,3 (Stand: Sonntag).
  • Mecklenburg-Vorpommern: 700 neue Corona-Fälle (381.843), 768 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 76), 1957 Todesfälle (+2), Sieben-Tage-Wert: 2366,5; Hospitalisierungsinzidenz: 11,9 (Stand: Sonntag).
  • Bremen: 1107 neue Corona-Fälle (145.481), 172 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 14), 704 Todesfälle (+0). Sieben-Tage-Wert Stadt Bremen: 1422,6; Bremerhaven: 2146,1; Hospitalisierungsinzidenz (wegen Corona) Bremen: 3,88; Bremerhaven: 7,04 (Stand: Sonntag; Bremen gibt die Inzidenzen getrennt nach beiden Städten an).

Um gemeinsam mehr zu erreichen, haben sich Unternehmer und Gastronomen der nordfriesischen Inseln nach dem ersten Lockdown im März vergangenen Jahres zusammengetan und das Netzwerk gegründet. Gemeinsam mit den Touristikern auch von Sylt setzen sie alles daran, als Modellregion den Tourismus wiederzubeleben.

Denn die Lage sei finster. „Als Insel sind wir zu 100 Prozent von Übernachtungsgästen abhängig, Tagesgäste gibt es so gut wie gar nicht“, sagt Weber. Das Öffnungskonzept sieht auch vor, dass der Gast seinen negativen PCR-Test dem Vermieter oder Hotelier unaufgefordert vorzeigt. So sieht es das ausgearbeitete Strategiepapier vor.

Hoffnung liegt auch auf der Eigenverantwortung der Besucher

Bei der Anreise soll sich der Gast damit einverstanden erklären, an dem Projekt Modellregion teilzunehmen. Kontrolliert würden die Tagestickets beim Einkauf im Handel oder in der Gastronomie. „Wir setzen auf die Eigenverantwortung der Besucher, und wir Unternehmer verpflichten uns, das Konzept so umzusetzen“, sagt Weber.

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

Die Luca-App, so stellen es sich die Unternehmer vor, soll verpflichtend in Einzelhandel und Gastronomie werden. Schon jetzt sei die App auf den Inseln fest etabliert. Sie ermöglicht eine schnelle und lückenlose Kontaktrückverfolgung im Austausch mit den Gesundheitsämtern sowie eine Datenübermittlung und erstellt die persönliche Kontakt- und Besuchshistorie. „Das Projekt sollte außerdem wissenschaftlich begleitet werden“, sagt Peter Boy Weber.

Optimismus trotz Fortführung des Lockdowns

Übernachtungsgäste müssten sich am zweiten Urlaubstag in einem Testzentrum vor Ort erneut testen lassen. „Föhr und die anderen Inseln könnten an verschiedenen Orten Testzentren anbieten, etwa im Hafen, auf dem Rathausplatz, auf dem Hotelgelände“, so Weber. Der Unternehmer hat 15 Mitarbeiter, die meisten sind seit November in Kurzarbeit. Trotz der Enttäuschung über die Fortführung des Lockdowns bleibt er optimistisch: „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel.“

St. Peter-Ording und Nordfriesland seien eine ideale Modellregion, sagt auch Karsten Werner, Chef des Strandgut Resorts in St. Peter-Ording: „Es gibt hier viel Tourismus unterschiedlichster Art: Inseln mit klaren Zugang und Sankt Peter auf dem Festland mit nur zwei Zugangsstraßen, aber umfassender Infrastruktur vom Kino bis zum Hotel und Einzelhandel.“

Viele offene Fragen

Für die Modellregion bewerben muss sich aber der Kreis Nordfriesland und nicht die Touristiker oder Unternehmer. Landrat Florian Lorenzen ist da noch ein wenig zurückhaltend. Er sagt: „Selbstverständlich ist die Idee von Bund und Ländern, Modellregionen auszuweisen, in denen weitere Lockerungen möglich sind, für Nordfriesland interessant.

Osterruhe gekippt - Tschentscher räumt Fehler ein

Ebenso klar ist, dass wir unsere niedrigen Inzidenzwerte auf keinen Fall gefährden dürfen und größten Wert auf begleitende Vorsichtsmaßnahmen legen müssen.“ Es seien noch Fragen offen – etwa die einer vernünftigen Teststrategie für Urlaubsgäste, für Einheimische und für Mitarbeiter in Tourismusbetrieben.

Weitere Kandidaten für Modellregionen

Weitere Kandidaten für Modellregionen lassen sich in Schleswig-Holstein problemlos finden. Der CDU-Landtagsabgeordnete Klaus Jensen sagte am Mittwoch: „Bei Modellregionen habe ich sofort an unsere Inseln und Halligen gedacht. Ich meine, das ist eine Super­chance für Regionen mit niedriger Inzidenz, beispielhaft für andere zu Fortschritten in der Pandemiebekämpfung zu kommen. Hier sind zum Beispiel die Landkreise Nordfriesland, Plön, Ostholstein, Steinburg und andere zu nennen.“

Das sind fast schon ganze Modelllandschaften. Der CDU-Fraktionschef Tobias Koch ergänzte seinen Kollegen so: „Wenn das am Ende das halbe Land ist, ist das aus meiner Sicht auch in Ordnung.“

Heikle Aufgabe für das Tourismusministerium

Tourismusminister Buchholz mochte da nicht mitziehen. Der Weg zur Modellregion führe nur über ein „Bewerbungsverfahren“, sagte er. „Und Modellregion heißt nicht: Wir umgehen alle Beschränkungen.“ Es müsse eine wissenschaftliche Begleitung solcher Regionen geben, und es müsse dabei am Ende auch einen Erkenntnisgewinn geben. Einfach nur alles aufmachen - so läuft es also nicht.

Auf das Tourismusministerium kommt nun also die heikle Aufgabe zu, einzelne Bewerbungen gutzuheißen und andere abzulehnen. Die Auswahlkriterien sind noch nicht endgültig festgelegt. Buchholz erwähnte neben der wissenschaftlichen Begleitung die elektronische Kontaktverfolgung und ein stabiles Testsystem.

Ferienwohnungen in Sylt und Amrum sind voll

Im Regierungslager dominierte am Mittwoch noch die Empörung darüber, dass der Ostertourismus abgeblasen ist. Selbst der allerletzte Kompromissvorschlag der „Jamaika“-Koalition, kontaktarmen Tourismus in Ferienwohnungen zuzulassen, hatte in der Konferenz am Montag keine Zustimmung gefunden.

Die FDP-Landtagsabgeordnete Annabel Krämer sprach von einem „irrsinnigen Verbot“ dieser Tourismusvariante. „Dass Müdigkeit nicht gerade zur Erhöhung der Schwarmintelligenz führt, hat uns die Ministerpräsidentenkonferenz deutlich vor Augen geführt“, sagte sie.

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Die Zweitwohnungseigentümer haben mittlerweile offenbar ihre eigenen Schlüsse aus den Hin und Her bei den Pandemieregeln gezogen. Aus Sylt und Amrum ist zu hören, dass die Ferienwohnungen voll seien.

Laut schleswig-holsteinischer Landesverordnung dürfen sie zwar nicht vermietet werden, aber Freunden und Bekannten kostenlos überlassen werden. Der Eindruck auf den Inseln ist: Einige haben sehr viele Freunde und noch mehr Bekannte, die sich über Urlaub freuen.