Bergedorf. In einer Serie stellt das Abendblatt die schönsten kleinen Fluchten vor. Teil 9: Ausritt in der Boberger Niederung.

Der Trip ins Grüne beginnt mit Arbeit. Stallgasse fegen, Pferde putzen, Hufe auskratzen, auftrensen und satteln. Natürlich fühlt sich das alles überhaupt nicht nach Arbeit an, sondern ist Teil des Vergnügens, einem Ausritt durch die Boberger Niederung, dem mit 350 Hektar Fläche kleinem, aber feinem Naturschutz­gebiet in Bergedorf, entlang der Boberger Dünen. Nicht in die Dünen, denn dort ist das Reiten nicht erlaubt.

Eben noch durch den Wallringtunnel gefahren, sind überall Pusteblumen und noch blühende, gelbe Butterblumen auf den Wiesen, Feldern und kleineren Waldstücken zu sehen. Die Hamburger Innenstadt ist nach nur knapp 20 Minuten Autofahrt weit weg. Gefühlt jedenfalls. Genauso gut geht es mit der S 21 bis zur Haltestelle Mittlerer Landweg und von dort aus entlang der Pferdekoppeln in etwa 15 Minuten zu Fuß (oder per Rad) zum Boberger Reitverein. Dort, auf dem Reiterhof mit den insgesamt 17 Pferden, hat Martina Rex zwei eigene Pferde stehen, arbeitet als Reitpädagogin, gibt Unterricht im Reiten und Voltigieren. Und sie bietet etwas ganz Besonderes an: Auch wer nicht im Reitverein ist, keine Reitstunden dort nimmt, geschweige denn ein eigenes Pferd besitzt, kann mit ihr im Gelände ausreiten – Anfänger und Fortgeschrittene. Mit Martina Rex geht es hoch zu Ross auf Landpartie.

So wichtig es gerade für Reitanfänger und ungeübte Reiter ist, die 48-Jährige Reitpädagogin dabeizuhaben – mindestens genauso wichtig sind natürlich ihre beiden Pferde: Tinkerstute Santana und Welsh-Cob-Mix Wallach Balisto, der mit seinen 20 Jahren ein gestandener Pony-Herr ist. Einer von der gelassenen und erfahrenen Sorte, der als Schulpferd im Unterricht regelmäßig Kinder auf seinem Rücken sitzen hat. Über eine Straße – und schon ist man auf den Reitwegen im Grünen, es geht über sandige Reitwege durch die Wiesen, vorbei an Weiden. „Reiten soll entspannen“, sagt Martina. So vom 1,56 Meter hohen Pferd zum 1,46 Meter hohen Pony wird sich geduzt. Mit Martina ist es leicht, sich wohlzufühlen – so viel Ruhe, wie sie ausstrahlt. Reiter wie sie, und das gibt einem stets ein gutes Gefühl, scheinen über den Dingen zu stehen und sogar noch Spaß daran zu haben, wenn ihre Pferde auch mal Sperenzchen machen. Ihre Gelassenheit ist wichtig für ihre Gäste, die häufig wenig Erfahrungen mit einem Ritt im Gelände haben. Alternativ nimmt sie das andere Pferd auch als Handpferd, um noch mehr Sicherheit zu geben. Aber ein Galopp ist auch drin, für wen der Ausritt sonst zu öde ist. Mal im Schritt, mal im Trab geht es durch die schöne Natur. Balisto ist ein ruhiger Vertreter, der es nie eilig hat und daher ein wenig angetrieben werden muss, zur Not auch mit der Gerte. Er könne aber durchaus flott sein, sagt Martina, die seit ihrem neunten Lebensjahr reitet.

Beim Ausritt das Herz ausschütten und Alltagssorgen vergessen

„Pferde lassen Alltagssorgen vergessen und geben Geborgenheit“, sagt Martina Rex. Das erlebt sie in ihrer Arbeit als Reitpädagogin mit Kindern und Jugendlichen immer wieder. Auf einem Ausritt öffnen sich pubertierende Jugendliche ganz schnell und schütten der Mutter von drei Kindern ihr Herz aus. „Die haben ja heutzutage schon einen gewaltigen Druck.“

Das Herz auszuschütten ist heute nicht nötig. „Man muss sich auch nicht die ganze Zeit mit mir unterhalten. Schweigend zu reiten geht auch“, sagt sie. Aber es fällt schwer, nicht mit dieser fröhlichen Frau zu plaudern. Nur als Santana meint, neben einem Wassergraben zur Seite springen zu müssen, stockt das Gespräch kurz. „Ich sah mich schon im Wassergraben“, sagt Martina und lacht. Bei ihren Ausritten ist ihr noch nie jemand runtergefallen. Aber es gibt immer ein erstes Mal, als nämlich kurz nach Santanas Hopser Balisto in eine Kuhle stolpert. Macht nichts, war nicht schlimm. Kurz durchatmen und gleich wieder rauf.

Vorbei an den Dünen geht es zum Segelflugplatz. Zwischen April und Oktober sind die Segelflugzeuge am Himmel zu sehen, eine Schafherde grast und hält die Heide kurz, und weiter hinten am Waldrand sonnt sich ein Nudist. Früher zog sich diese Dünenlandschaft mit Hamburgs letzter Wanderdüne vom Berliner Tor entlang bis nach Bergedorf. Übrig geblieben ist dieser kleine Teil zwischen Bille und Bergedorfer Straße. Im 19. und 20. Jahrhundert wurden die Dünen nach und nach abgetragen, um Gebäude zu bauen.

Der Boberger Reitverein liegt idyllisch
am Billwerder Billdeich
Der Boberger Reitverein liegt idyllisch am Billwerder Billdeich © Genevieve Wood

Ein kleines Erfrischungsbad gibt es an der Pferdeschwemme durch die Bille

Die Boberger Niederung beheimatet fünf verschiedene Orchideenarten sowie Vogelarten wie den Wachtelkönig oder die Heidelerche. Balisto interessiert sich allerdings nur für das saftige Gras. Das soll er aber nicht, also aufpassen. Zwar sieht Martina das nicht so streng, aber es nervt, wenn Balisto kleinere Unaufmerksamkeiten seiner Reiterin zum Fressen ausnutzt. Ponys sind eben schlau.

Weiter geht es zur Pferdeschwemme, das ist eine flache Stelle in der Bille, durch die man reiten kann, ohne nasse Füße zu bekommen. Es genügt, die Füße mit den Steigbügeln ein wenig anzuheben. Den Boberger See sollte man an heißen Wochenenden meiden, weil dann einfach sehr viel los ist. Und Trubel möchte man beim Reiten ja gerade nicht, gemütlich nebeneinander geht es nach gut eineinhalb Stunden zurück zum Stall. Der Bewegungsrhythmus der Pferde, sagt Martina, habe eine lockernde, ausgleichende und angstlösende Wirkung. Ob die Muskeln locker sind oder verspannt, wird sich wohl am nächsten Tag zeigen.

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