Das Kabinett hat bei der Aufklärung der Wulff-Affäre gegen die Verfassung verstoßen. Die SPD-Klage ist erfolgreich.
Bückeburg. Weniger als drei Monate vor der Landtagswahl in Niedersachsen muss die CDU/FDP-Landesregierung eine peinliche juristische Schlappe verkraften. Der Staatsgerichtshof in Bückeburg hat die Informationspolitik der Landesregierung in der Affäre um den früheren Bundespräsidenten Christian Wulff als Verfassungsbruch gerügt. Das Kabinett unter Ministerpräsident David McAllister hat nach Überzeugung des Gerichts das Grundrecht des Parlaments auf schnelle und wahrheitsgemäße Auskunft missachtet.
Das Urteil hat zwar keinerlei Konsequenzen, aber es wiegt schwer, weil es den Kernbereich der Rechte des Parlaments berührt. Und die Oppositionsparteien machten mit harschen Vorwürfen klar, dass sie die Rüge im Wahlkampf thematisieren werden. SPD-Oppositionsführer Stefan Schostok jubelte unmittelbar nach Urteilsverkündung über eine "klatschende Niederlage" der schwarz-gelben Koalition und über einen "Sieg der Demokratie". Er machte auch deutlich, dass die Landesregierung aus seiner Sicht nicht nur nachlässig mit dem Artikel 24 der Verfassung umgegangen ist, sondern versucht hat, das Parlament hinters Licht zu führen: "Die Landesregierung hat durch bewusst falsche Antworten auf parlamentarische Anfragen die Niedersächsische Landesverfassung gebrochen."
Seit Bekanntwerden der ersten Vorwürfe gegen seinen Vorgänger und langjährigen Förderer ist der niedersächsische Ministerpräsident McAllister demonstrativ auf Distanz zu Wulff gegangen. Grünen-Fraktionschef Stefan Wenzel zielte gestern im Umkehrschluss eindeutig auf McAllister mit der Feststellung: "Die Falschinformation des Parlaments muss sich der Ministerpräsident auch persönlich zurechnen lassen." Finanzminister Hartmut Möllring, den McAllister vorgeschickt hatte, um im Parlament alle kritischen Fragen der Opposition zu beantworten, sei schließlich "immer im Dienst seines Herrn unterwegs gewesen".
Wie sehr die Landesregierung von der Entscheidung des Staatsgerichtshofes düpiert ist, zeigte Möllring. Er reagierte anders als üblich nicht zurückhaltend auf das Votum der höchsten Richter, sondern schalt das Gremium: "Das Urteil ist nicht hilfreich."
Tatsächlich hat das Gericht der Landesregierung schwere handwerkliche Fehler vorgeworfen bei der Beantwortung der Anfragen rund um den Nord-Süd-Dialog, die Promiparty unter der Schirmherrschaft der Ministerpräsidenten Wulff und Günther Oettinger in Hannover im Jahr 2009. Möllring hatte jede Beteiligung des Landes organisatorisch oder finanziell im Landtag im Januar dieses Jahres bestritten, dann aber stellte sich heraus, dass mit der Medizinischen Hochschule Hannover und dem Flughafen Hannover gleich zwei Landesbetriebe jeweils Dienstleistungen für den Nord-Süd-Dialog im zweistelligen Tausenderbereich erbracht haben. Möllring sagte gestern dazu: "Hätte ich bei jedem Eichamt nachfragen sollen?"
Dabei sind die Feststellungen des Staatsgerichtshofs eindeutig. Bemängelt wird nicht nur ein Mangel an Eifer bei der Beantwortung der dringlichen Anfrage aus der Opposition, sondern auch, dass die Landesregierung sich damit entschuldigen wollte, schließlich habe der Wulff-Vertraute und frühere Regierungssprecher nicht auf entsprechende Anfragen geantwortet. Der Gerichtsvorsitzende Jörn Ipsen: "Das hätte die Landesregierung erst recht dazu veranlassen müssen, weitere Nachforschungen anzustellen." Die Staatskanzlei von Regierungschef McAllister nahm gestern zum überraschend deutlichen Votum der Bückeburger Richter in der Sache nicht Stellung.
Anders als in der Vergangenheit dargestellt hat der damalige Wulff-Vertraute Olaf Glaeseker vor dem Nord-Süd-Dialog intensiv Sponsoren eingeworben. Ihn hatte die Landesregierung dann als Alleintäter hingestellt. Gegen Glaeseker und den Partymacher Manfred Schmidt ermittelt die Staatsanwaltschaft Hannover jetzt seit fast einem Jahr wegen Korruptionsverdachts. Aber anhängig ist bei der Justiz in der Landeshauptstadt auch ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen den früheren Bundespräsidenten Wulff. Sollte die Staatsanwaltschaft noch vor der Landtagswahl am 20. Januar über eine Anklageerhebung gegen Wulff oder Glaeseker entscheiden, bedeutet dies neue Negativschlagzeilen für das amtierende CDU/FDP-Kabinett.
Wie sehr die Landesregierung dies fürchtet, wurde vor wenigen Wochen deutlich. Da wurde mit dem Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg, Herwig van Nieuwland, ein Mitglied des Bückeburger Gerichts in den Medien lediglich auf der Basis von Gerüchten als mögliches Mitglied eines SPD-Schattenkabinetts im Wahlkampf gehandelt. Dies reichte der Staatskanzlei aus, um gegen den Richter einen Antrag auf Befangenheit als Vizepräsident des Staatsgerichtshofes zu stellen. Erst als der SPD-Spitzenkandidat und Landesvorsitzende Stephan Weil klarstellte, er habe zu keinem Zeitpunkt mit Nieuwland darüber auch nur gesprochen, zog die Staatskanzlei ihren Antrag auf Befangenheit zurück. Einen vergleichbaren Fall hat es in der Geschichte dieses Gerichts noch nicht gegeben.