Die Anklage hatte sieben Jahre Gefängnis gefordert, doch die Beweise reichten den Richtern nicht aus. Der Angeklagte wurde freigesprochen.

Stade. Ein Jahr saß der 41-Jährige in Untersuchungshaft - wegen eines bestialischen Mordes, der vor 22 Jahren die Menschen im Kreis Rotenburg schockierte. Am 23. August 1987 fand ein Bauer die Leiche der Schülerin Sonja auf einem Feldweg. 67 Mal hatte ihr Mörder mit einem Messer auf sie eingestochen.

Am Freitag sprach das Landgericht Stade den Angeklagten aus Mangel an Beweisen frei. Ihm könne die Tat nicht nachgewiesen werden, begründete der Vorsitzende Richter Berend Appelkamp.

Beweise und Akten waren spurlos verschwunden

Für viele Prozessbeobachter kam der Freispruch nicht überraschend: Zeugen hatten sich während des Verfahrens nur schwer erinnern können. Beweise und Akten waren spurlos verschwunden. Viele Fragen zur Tatnacht blieben unbeantwortet.

Den Mord hatte der gelernte Messtechniker stets bestritten. Während der 34 Verhandlungstage schwieg er beharrlich zu den Vorwürfen.

Das Gericht verlas jedoch ein Verhör der Polizei, bei der sich der damals 19-Jährige als Zeuge gemeldet hatte. Darin gab er zu, Sonja am Abend vor dem brutalen Mord in der Disco in Bremervörde getroffen und mit ihr in seinem Auto auf dem Parkplatz geschlafen zu haben. Für die Ermittler gab es damals keinen Grund, ihn deshalb zu verdächtigen.

Das änderte sich jedoch 2008, als die Polizei in Rotenburg den ungeklärten Mordfall wieder aufrollte und die Beweise auf DNA-Spuren untersuchte. Auf einem nahe der Leiche gefundenen Socken und dem Seil, mit dem der Täter Sonja an Händen und Füßen gefesselt hatte, fanden sie sein Erbmaterial. Doch ausgerechnet diese ihn am stärksten belastenden Beweise sollten später zu dem Freispruch führen.

Man hat nicht so sauber gearbeitet wie heute

Eine Gutachterin zweifelte in dem Prozess an der Zuverlässigkeit der DNA-Spuren. Die Expertin schloss nicht aus, dass die Ermittler diese bei ihrer Arbeit versehentlich auf die Beweise übertragen hatten. Da die DNA-Analyse damals noch nicht bekanntgewesen sei, habe man einfach nicht so sauber gearbeitet wie heute. So zeigt ein im Prozess vorgelegtes Foto einen Ermittler, der erst die Leiche und dann mit blutigen Händen das Seil anfasst.

Daraufhin hob das Gericht Anfang Juli den Haftbefehl gegen den 41-Jährigen auf – was die Verteidigung seit Prozessbeginn bereits mehrmals vergeblich gefordert hatte. „Lange Zeit gaben die DNA-Spuren an Seil und Socke den Ausschlag und begründeten den dringenden Tatverdacht“, erklärte Richter Appelkamp. Nach Ansicht der Verteidiger war die Anklage aber von Anfang an nicht haltbar. „Das Gericht wollte das einfach nicht sehen“, sagte Anwältin Katrin Bartels.

Die Verteidiger warfen der Staatsanwaltschaft und der Polizei vor, voreingenommen und schlampig ermittelt zu haben. Dass ihr Mandant für die Tatzeit ein Alibi gehabt habe, sei kaum berücksichtigt worden. Mehrere Zeugen hatten Sonja noch lebend gesehen, als er schon längst mit seiner Freundin zu Hause war. Wichtige Beweise wie Sonjas Socken seien nicht mehr auffindbar, Verhörprotokolle falsch aufgenommen und Zeugen unter Druck gesetzt worden.

Die Staatsanwaltschaft hatte sieben Jahre Haft gefordert. Der Freigesprochene erhält nun eine Entschädigung für seine Zeit in der Untersuchungshaft – nach dem Gesetz stehen ihm elf Euro pro Tag zu.