Das Parlament in Schleswig-Holstein wählt heute einen neuen Ministerpräsidenten. Heide Simonis drückt Torsten Albig die Daumen.
Kiel. Vor gut zwei Jahren wollte Kiels Oberbürgermeister Torsten Albig (SPD) noch die Bundesländer abschaffen. "Für ganz wenig braucht man Landesregierungen, außer für sich selber", frotzelte er damals. Heute stellt Albig sich im Landtag zur Wahl, um Ministerpräsident von Schleswig-Holstein zu werden und damit eines der angeblich "überflüssigen" Länder zu regieren. Einen Gegenkandidaten hat der flexible Jurist nicht. Spannend wird die Wahl gleichwohl, weil SPD, Grüne und SSW im Parlament wie beim "Heide-Mord" 2005, als Heide Simonis durchfiel, nur eine Stimme Mehrheit haben und jeder Abweichler die Dänen-Ampel ins Wanken bringen kann.
"Ich bin sicher, dass die Geschichte sich nicht wiederholt", sagt Albig in diesen Tagen immer wieder und schließt meist eine kurze Rede an. Über die Herausforderung, die das Regierungsamt für ihn bedeute. Über die Demut, mit der er dem neuen Job begegne. Und über die Liebe und Hingabe, mit der er Schleswig-Holstein regieren wolle. Im Redefluss setzt der 49-jährige PR-Profi seinen Körper ein, hebt die Hände. Der SPD-Politiker wirkt dann wie ein Pfarrer, der mit wechselnden Worten stets die gleiche frohe Botschaft verkündet. Der pastorale Politikstil ist ein Markenzeichen des "sanften Sozis".
+++ Koalitionsvertrag der drei Parteien unterzeichnet +++
+++ Torsten Albig auf dem Weg zur Macht +++
Albig ist fest davon überzeugt, dass die Bürger es satthaben, wenn Politiker sich in offener Feldschlacht bekämpfen. In der Nord-SPD, die sich als links, dickschädelig und frei versteht, kommen leise Töne nicht so gut an. "Ich bevorzuge klare Ansagen wie von unserem Landesvorsitzenden Ralf Stegner", mosert ein Hardcore-Genosse am Rande des jüngsten Parteitags. "Bei Albig weiß man nicht so recht, wofür er steht", seufzt ein früheres Kabinettsmitglied. Manchmal wirke es so, als wechsele er seine Positionen mit den Posten.
In Berlin gilt Albig bis heute als der Chefstratege, der als Sprecher für die Finanzminister Oskar Lafontaine, Hans Eichel und Peer Steinbrück die Kohlen aus dem Feuer holte, intelligent, gewitzt und manchmal scharfzüngig bei Steuerplänen die Interessen des Bundes gegenüber Ländern und Kommunen vertrat. Wie beim Bund in diesen Jahren mit Brandbriefen der Städte umgegangen wurde, erzählt Albig freimütig: "Gelesen, gelacht, gelocht."
+++ Ministerpräsident Albig präsentiert seine Regierung +++
Vor drei Jahren zieht es den rastlosen "Salonsozi" in die Kommunalpolitik. Der frühere Kieler Stadtkämmerer tritt in einer Direktwahl gegen Oberbürgermeisterin Angelika Volquartz an und besiegt die CDU-Lady mit einem Schmuse-Wahlkampf überraschend in der ersten Runde. Den Kielern verspricht Albig, die volle Wahlperiode (bis 2015) im Rathaus zu bleiben. Er ist nun überzeugter "Kommunalo", wirft den Politikern in Berlin vor, keine Ahnung davon zu haben, wie es draußen im Land wirklich aussehe.
Kein Jahr nach seinem Amtsantritt als OB schielt Albig schon auf die Spitzenkandidatur bei der nächsten Landtagswahl, die eigentlich 2014 stattfinden soll, dann aber vom Landesverfassungsgericht vorgezogen wird. Der Politiker, selbstbewusst mit einem Hang zur Arroganz, lässt sich davon nicht beirren, setzt sich mit seiner verbindlichen Art bei der Kür des SPD-Spitzenkandidaten gegen Stegner durch und reicht dem düpierten Landesvorsitzenden gleich darauf die Hand.
Dem Wahlkampf drückt Albig seinen Stempel auf. Der bürgerliche Genosse erklärt Schleswig-Holstein zu seinem "Lieblingsland", verteilt Schokoherzen und bleibt politisch so vage, dass er kaum Angriffsflächen bietet.
Die Fassung verliert der markante Polit-Kopf nur einmal. Am Wahlabend blickt der Siegertyp etwas finster drein, weil seine Sympathiewerte fast doppelt so hoch sind wie das Ergebnis der SPD (30,4 Prozent). Keine zwölf Stunden später hat Albig seine Rolle wiedergefunden und seinen Deal mit Ralf Stegner offenbar erneuert. Albig wird Kapitän der Dänen-Ampel, Stegner bleibt Steuermann des rot-grün-blauen Bündnisses.
Seine Forderung, die Bundesländer abzuschaffen, revidiert Albig auf Nachfrage des Abendblatts flugs. "Das ist anders gemeint gewesen." Er habe damals auf das "Untergewicht" der Kommunen im föderalen System hinweisen wollen. In eigener Sache geht der Feinmechaniker der Macht auf Nummer sicher. Gestern Abend traf Albig sich im Kieler Landeshaus mit den Piraten, um für seine Wahl zu werben.
Heide Simonis, die vor sieben Jahren im Landtag scheiterte, will Albig heute auf der Tribüne die Daumen drücken. Der designierte Ministerpräsident versichert derweil, dass er den Job als Regierungschef länger behalten will als jeden anderen Posten in seinem bisher rast- und ruhelosen Leben. "Es werden zum ersten Mal mindestens fünf Jahre werden."