Hamburg. 19 Jahre hat der Ökonom das Albertinen-Diakoniewerk geleitet. Jetzt geht Prof. Fokko ter Haseborg in Rente – ein engagierter Mann.
Wenn er geht, liegen über fünf Jahre Staub, Schutt und Lärm hinter ihm. Das Leben vor der Pensionierung war für Prof. Fokko ter Haseborg eine Baustelle. Umso erstaunlicher, dass das Operieren und Heilen am Albertinen-Krankenhaus in Schnelsen sowie am Ableger Amalie Sieveking in Volksdorf überhaupt weiterging, während an beiden Häusern kaum ein Stein auf dem anderen blieb. Man hatte fast den Eindruck, dass Bob der Baumeister das große Vorbild von ter Haseborg ist. Doch wenn er an diesem Freitag an seinem 65. Geburtstag die Leitung des Albertinen-Diakoniewerks nach 19 Jahren abgibt, wird klar: Fokko ter Haseborg konnte nicht anders. Umbauen, neu bauen, ändern, anpassen – oder eben untergehen.
Der rasante Wandel der deutschen Krankenhauslandschaft ließ ihm keine Wahl. Ter Haseborg musste springen. So wie damals, als er von seiner bestens ausgestatteten Marketing-Professur an der Universität Hamburg in die Praxis wechselte. Er hatte sich lange geziert.
Das Einmaleins an der Uni war für den Mathematiker nicht eins zu eins in die gelenkte Medizinokratie umzusetzen. Man braucht kein Pathos, um heute zu sagen: Ohne den radikalen Umbau des betulichen Albertinen wäre die Gruppe geschluckt, zerschlagen oder gleich beerdigt worden, wäre Albertinen mit 3500 Mitarbeitern heute nicht einer der Top 20 Arbeitgeber Hamburgs.
Gute Chefärzte verdienen mehrere Hunderttausend Euro im Jahr
Und doch ist das Albertinen das Krankenhaus am Rande der Stadt. Sein Image ist – mit Recht oder nicht – besser als das der Asklepios-Gruppe oder der anderen Konzerne wie Helios, die allesamt in Hamburg Fuß gefasst haben, seit der Landesbetrieb Krankenhäuser privatisiert wurde. In diesem Umfeld wird um jeden Patienten gerungen, um jeden Chefarzt, mit dem man renommieren kann. Und mit dem UKE liegt nach Expertenmeinung die nächste Spitzenklinik im engen Konkurrentenkreis.
Es ist trotz aller hanseatischen Nüchternheit ein Haifischbecken, in dem alle Häuser und ihre Chefs sich tummeln. Ter Haseborg sieht sich aber nicht als jemanden, der schnappt und zubeißt. Dennoch hat er aus dem christlichen Werk einen Konzern geschmiedet und eine Manager-Ebene eingezogen. Und die Chefärzte arbeiten auch nicht ehrenamtlich. Mehrere Hunderttausend Euro verdient ein guter im Jahr.
"Auch konfessionelle Krankenhäuser müssen Gewinn machen"
Über Boni möchte ter Haseborg nicht reden. Denn Gesundheitsminister Hermann Gröhe will Prämien für Krankenhausärzte deckeln. Ter Haseborg sagt nur: „Auch konfessionelle Krankenhäuser müssen Gewinne erwirtschaften, um dauerhaft bestehen zu können. Entscheidend ist aber, dass diese in das Unternehmen zurückfließen und somit für eine weitere Verbesserung der Patientenversorgung eingesetzt werden können.“
Das, sagt der scheidende Chef, stehe auch in der Tradition der Albertinen-Gründerin Albertine Assor. Die findigen Diakonissen haben vor mehr als 100 Jahren gerade für die Pflege von Wohlhabenden in Harvestehude mehr verlangt, um kostenlos Bedürftige zu versorgen. Das Geschäftsmodell gab es also schon.
Für ter Haseborg ist das auch kein Widerspruch. Aber Gesundheit als Ware? Da verzieht der Ökonom das Gesicht. „Der diakonische Auftrag von Albertinen, Menschen in Not zu helfen und beizustehen, bleibt auch unter den derzeit ungünstigen gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen unser Kompass. Dabei haben wir nicht die Bodenhaftung verloren und wissen sehr wohl, dass unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jeden Tag Enormes leisten!“
Bürokratie macht den Krankenhäusern zu schaffen
Er sagt „ungünstige Rahmenbedingungen“ und meint die Knebel der Politik. Die Regelungswut macht die Klinikmanager wahnsinnig. Fallpauschalen, Vorgaben für Mitarbeiterzahlen auf den Stationen, für Operationen, Honorare nach angeblicher Qualität – es ist ein Bürokratie-Dschungel für die Krankenhäuser dieser Tage.
Dabei balancierte ter Haseborg immer auf dem schmalen Grat zwischen Hamburger Senat und Gesundheitswirtschaft. 170 Millionen Euro investierte das Albertinen in den vergangenen fünf Jahren, inklusive der Staatsknete. Da will man es sich nicht mit der Senatorin verscherzen.
Und trotzdem müssen die Stationen mithalten: Luxus-Zimmer mit Vier-Sterne-Charakter wie bei Asklepios, Flatscreen, Minibar, Regendusche, dazu Extras für die Mitarbeiter. All das muss Albertinen auch bieten.
Bei den Krankenhaus-Rankings will das Albertinen vorne dabei sein
Und in den Klinik-Rankings will ter Haseborg außerdem vorne stehen. Schon aus Prinzip. Das klappt mal so, mal so. „Ich war schon vor zehn Jahren in der Hamburgischen Krankenhausgesellschaft dafür, die Qualitätsergebnisse aus den Kliniken im Internet zu veröffentlichen.“ Aber die Häuser mit Notaufnahme wie das Albertinen werden immer schlechter abschneiden als Häuser ausschließlich für planbare Hüft- oder Knieoperationen. Nur kann man eben mit einem Herzinfarkt oder einem Schlaganfall nicht zum Orthopäden ins trittschallgedämpfte Klinikum am Park.
Herzbrücke rettet todkranke Kinder aus Afghanistan
Was das Haus außerdem von anderen unterscheidet, war nicht Chef-Idee, sondern kam von engagierten Ärzten: die Herzbrücke. 123 Kinder wurden seit 2005 aus Afghanistan zur Herz-OP nach Hamburg geflogen. Nach dem Gründer Dr. Matthias Angres ist Prof. Dr. Friedrich-Christian Rieß der Motor dieser Benefizaktion, zu der Dutzende Albertinen-Mitarbeiter, Ehrenamtliche, unzählige Geldspender sowie weitere Krankenhäuser zählen.
Dem Chef ter Haseborg ist nicht immer wohl dabei, wenn seine Mitarbeiter in Kriegsgebiete fliegen. Doch selbst wenn er wollte – er könnte sie nicht aufhalten. Rieß und Co. sind beseelt davon, die Kinder zu retten und abseits militärischer Hilfe die Zivilgesellschaft am Hindukusch zu stärken.
Der Nachfolger kommt von der Charité in Berlin
Der Nachfolger von Prof. ter Haseborg kommt aus dem Charité-Vorstand, Matthias Scheller, 51. Auch mit ihm wird das Albertinen eher wachsen als schrumpfen. „Die Zahl der Patienten wird hamburgweit weiter steigen. Das ist zum einen der demografischen Entwicklung geschuldet, denn die Deutschen werden immer älter, zum anderen dem Metropolen-Effekt Hamburgs“, sagt ter Haseborg.
Er hat jetzt mehr Zeit für seine Familie, Gattin, Sohn, Tochter, Enkel. Zum Abschied hat sich neben der Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD), den wichtigsten Vertretern von Kliniken, Ärzten und Krankenkassen auch Bischöfin Kirsten Fehrs angesagt. Sie wird den aus Ostfriesland stammenden ter Haseborg daran erinnern, was aus ihm hätte werden können, wenn er nicht so verliebt gewesen wäre in Mathematik, Ökonomie und seine Frau: ein sehr begabter Kirchenmusiker.