Künftig kommt es auf die Qualität der medizinischen Behandlung an. Doch was bedeutet das geplante Hamburger Krankenhausgesetz für Patienten, Krankenkassen und die Kliniken selbst?
Hamburg. So sehen in Deutschland Revolutionen aus: Sie heißen Drucksache 20/12600 und tragen Namen wie „Gesetz zur Änderung des Hamburgischen Krankenhausgesetzes (HmbKHG) und des Hamburgischen Gesetzes zur Bestimmung der zuständigen Stelle zur Durchführung des Kostenausgleichs in der Ausbildung in Berufen der Altenpflege und der Gesundheits- und Pflegeassistenz“.
Dahinter verbirgt sich der Umbau der Krankenhauslandschaft. Das neue Krankenhausgesetz soll am Ende alle Kliniken der Stadt – ob Asklepios, Albertinen, Schön oder andere – nach einem neuen Kriterium einrichten und finanzieren: Qualität. Nur wer gut operiert und die geforderte Ausstattung vorhält, soll künftig Geld erhalten. Klingt überzeugend. Und dennoch laufen Krankenhäuser und Experten aus dem Medizinbereich Sturm gegen das Gesetz, das vor allem eine Handschrift trägt: die von Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD). Wer kann schon gegen mehr Qualität sein?
Die Patienten: Oma R. sicher nicht. Sie kann nicht ohne Schmerzen gehen. Doch braucht sie mit 80 Jahren eine neue Hüfte? Ihr Hausarzt sagt „Ja“ und empfiehlt Krankenhaus A. Ihre Krankenkasse empfiehlt Krankenhaus B. Noch kann sie sich für C entscheiden, denn sie hat eine freie Wahl. Künftig wird es C womöglich nicht mehr geben, weil die Klinik Hüftoperationen aufgeben musste. Szenario 1: Oma R. bekommt keine neue Hüfte, kann nicht mehr laufen, wird bettlägerig, muss ins Pflegeheim, lebt aufgrund des guten Allgemeinzustandes aber noch lange. Immense Kosten sind die Folge, vom menschlichen Schicksal abgesehen.
Szenario 2: Oma R. erhält die neue Hüfte, hatte aber andere körperliche Einschränkungen, die die Genesung verlängern. Reha, wieder Operation, ihr Fall fließt in die Qualitätsstatistik des Krankenhauses ein: Note drei bis vier. Doch was kann der Chirurg dafür?
Szenario 3: Neue Hüfte für Oma R., gute Noten für das Krankenhaus. Aber ihr Orthopäde stellt fest, dass Oma R. nicht mit dem Gelenkersatz klarkommt. Ihr Gang verschiebt sich, muss an der anderen Hüfte ebenfalls operiert werden. Sie ist deprimiert, geht nicht mehr unter Leute. Eine Tour der Leiden beginnt. Operation gelungen, Geräte finanziert, Patient todunglücklich, Gesundheitssystem funktioniert.
Szenario 4: Neue Hüfte, neues Lebensgefühl, Oma R. bleibt aktiv. Sie erzählt ihren Freundinnen davon. Die Zahl der 80-Jährigen in Deutschland steigt, die der Hüftoperationen auch. Nirgendwo wird so viel operiert.
Die Qualität: Nach dem neuen AOK Navigator ist die Qualität der Behandlungen in den Hamburger Krankenhäusern im bundesweiten Vergleich sehr gut. Es gibt aber auch bei Standard-Operationen wie an der Hüfte, am Knie oder am Herzen unterdurchschnittliche Ergebnisse. Auffällig: Gerade bei besonders gelobten Kliniken gibt es Beschwerden von Patienten, die sich ans Abendblatt wandten. Bei der Unabhängigen Patientenberatung gibt es viermal mehr Beschwerden über Krankenkassen als über Krankenhäuser. Das ergab die Auswertung von 80.000 Beratungsgesprächen. Meistens ging es darum, dass die Krankenkasse Krankengeld verweigerte. Vor Jahren hatte es Studien gegeben, dass Schlaganfall-Patienten die besten Chancen haben, wenn sie sofort in eine spezialisierte „Stroke Unit“ kommen. Die Hamburger Kliniken haben das schnell in Leitlinien umgesetzt. Unter Ärzten gibt es einen flapsigen Spruch: „Wenn schon Schlaganfall, dann am besten in Hamburg.“
Die Kliniken: Hamburger Krankenhäuser fürchten nun, dass Stationen geschlossen werden und sie finanziell über Gebühr belastet werden. Die Gewerkschaft Ver.di und die Linken hatten außerdem angemahnt, dass mehr Pfleger eingestellt werden müssen, um den Betreuungsschlüssel zu verbessern. Davon steht nichts im Gesetz. Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe aber hat in ihren Eckpunkten für eine Krankenhausreform jetzt ein Programm beschlossen, das 660 Millionen für neue Pflegekräfte zur Verfügung stellt. „Gerade in Hamburg mit seiner hohen Krankenhausdichte ist es wichtig, dass sich Häuser auf bestimmte Operationen konzentrieren“, sagt Kathrin Herbst, Hamburg-Leiterin des Krankenkassenverbandes Vdek. „Wenn jeder alles macht, leidet nachweislich die Qualität.“ Christoph Mahnke, Chef der Krankenhausgesellschaft, sagt: „Praxisferne Vorgaben, die mit viel bürokratischem Aufwand nachgewiesen werden müssen, werden scheitern und nur Kosten verursachen, nicht aber die Qualität verbessern.“ Die Krankenhäuser sind mit 31.000 Mitarbeitern einer der größten Arbeitgeber der Stadt.
Die Krankenkassen: Die gesetzlichen Kassen stehen unter Finanzdruck. Und die Ausgaben für die Krankenhäuser sind ständig gestiegen: auf rund 35 Prozent aller Kassenausgaben (über 60 Milliarden Euro). Es gibt immer mehr Krankenhausfälle, auch pro Patient steigen die Kosten.
Die Senatorin: Für wenige Senatoren hat es derart viel Lob gegeben wie für Cornelia Prüfer-Storcks. Eine Expertin, klug, im Gesundheitswesen zu Hause. Als ehemaliges Vorstandsmitglied der AOK Rheinland/Hamburg wird sie nun verdächtigt, den Krankenkassen in die Hände zu spielen. Ein Krankenhaus-Manager sagte, Prüfer-Storcks sei als Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz die „heimliche Bundesgesundheitsministerin“. Amtsinhaber Hermann Gröhe, ehemals CDU-Generalsekretär, tue sich schwer. Und sie setzt darauf, dass Hamburgs „Big Player“ Asklepios sich nicht allzu laut öffentlich beklagt. Hamburg ist mit 25,1 Prozent an dessen Kliniken beteiligt.