Hamburg. Die Hamburger Gesundheitssenatorin über zu viele Operationen, Asklepios, Wohnungsbau für Demente, Ärzteproteste und Fitness-Apps.

Finanzierung der Krankenhäuser, Versorgung der Patienten durch niedergelassene Ärzte, Anpassung der Pflege an die demografische Entwicklung – über das und vieles mehr sprach das Hamburger Abendblatt mit Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD). Dabei ging es auch um strittige Themen in der Gesundheitspolitik, ihr Verhältnis zum Klinikbetreiber Asklepios und um moderne Gesundheits-Apps.

Hamburger Abendblatt: Frau Senatorin, Sie haben am Ende der vergangenen Legislaturperiode ein viel diskutiertes Krankenhausgesetz durch die Bürgerschaft gepeitscht. Hatten Sie die Befürchtung, dass die Grünen als Ihr jetziger Koalitionspartner das nicht mittragen würden?

Cornelia Prüfer-Storcks: Nein. Das Tempo, in dem die Bürgerschaft Gesetzesvorhaben berät, bestimme ja nicht ich. Hier ging alles seinen regulären Gang: Die Bürgerschaft hat eine Anhörung gemacht, viele Experten befragt, es wurden Änderungen eingebracht und das Gesetz verabschiedet. Jetzt wird es die Grundlage zum neuen Krankenhausplan sein, an dem wir zurzeit arbeiten.

Was ist da Stand der Dinge?

Prüfer-Storcks: Wir beraten im Landeskrankenhausausschuss, was wir uns durch das neue Gesetz ermöglicht haben. Wie z.B. Qualitätsvorgaben in bestimmten sensiblen Bereichen: in der Neurochirurgie, Gefäßmedizin, Notfallversorgung und in der neurologischen Frührehabilitation. Hier macht es einen großen Unterschied, ob Ärztinnen und Ärzte zum Beispiel in der Gefäßchirurgie Krampfadern operieren oder ob sie komplizierte Operationen am Kopf machen. Für die Krankenhäuser, die solche Operationen machen, werden jetzt Vorgaben verbindlich, die auch die Fachgesellschaften für notwendig halten.

Wie wird sich das auf die Krankenhauslandschaft auswirken? Wird künftig nur noch nach der von Ihnen definierten Qualität bezahlt?

Prüfer-Storcks: Viele Krankenhäuser beherzigen diese Vorgaben jetzt schon. Wir wollen aber ausschließen, dass komplizierte Operationen an einem Ort gemacht werden, der dafür nicht ausreichend qualifiziert und ausgestattet ist. Die Leistung wird dann im Zweifelsfall eben nicht mehr im Krankenhaus A, sondern im Krankenhaus B erbracht. Nur mit einer Spezialisierung können wir dafür sorgen, dass immer auf dem neuesten Stand der Medizin behandelt wird. Im Vordergrund steht die Patientensicherheit, dazu die notwendige Ausstattung mit Fachpersonal und anderen Strukturen.

Wer mehr für Patientensicherheit macht, wird besser bezahlt

Das hat Kritik hervorgerufen, weil die Krankenhäuser gesagt haben, dass sie dadurch viel mehr Mitarbeiter „vorhalten“ müssen, und die Politik würde in die Planung eingreifen, die eigentlich in den Krankenhäusern stattzufinden habe.

Prüfer-Storcks: Ich habe die Bedenken in der Anhörung als gemäßigt empfunden. Die Qualität liegt doch im Interesse der Krankenhäuser. Es kann doch nicht sein, dass ein Krankenhaus mit großem Aufwand die Patientensicherheit hochhält, ein anderes nicht und beide dieselbe Vergütung erhalten.

Hat das Ihr Verhältnis zum größten Klinikbetreiber Asklepios getrübt?

Prüfer-Storcks: Der Eindruck ist vielleicht bei einigen entstanden, weil ein Vorstandsmitglied von Asklepios gerade turnusmäßig Vorsitzender der Hamburgischen Krankenhausgesellschaft ist. Aber ich bin sowohl mit dem Vorstand von Asklepios, als auch mit dem Eigner, Herrn große Broermann, völlig einer Meinung, dass Qualitätsorientierung das Rezept der Zukunft ist. Auch Asklepios will ja in Hamburg, dass nicht mehr alle Krankenhäuser alles machen.

Laut Gewerkschaft Ver.di sind die Nachtdienste in den Hamburger Krankenhäusern unterbesetzt. Sehen Sie das auch so?

Prüfer-Storcks: Das Problem ist, dass es im Moment gar keinen verbindlichen Maßstab gibt für die Besetzung von Stationen. Das war auch der Grund, warum ich mich bei den Verhandlungen zur Krankenhausreform auf der Bundesebene massiv dafür eingesetzt habe, dass wir ein Personalbemessungssystem bekommen, das auch für die Vergütung verbindlich ist. Seit Einführung der Fallpauschalen haben die Krankenhäuser immer mehr Behandlungen erbracht, haben ärztliches Personal eingestellt, aber in der Pflege abgebaut. Gerade die Pflege am Bett ist ausgedünnt worden.

Dass Asklepios-Gründer Broermann das Hotel Atlantic gekauft hat, ist sein Risiko

Wie wollen Sie die Pflegerinnen und Pfleger besser bezahlen?

Prüfer-Storcks: Möglicherweise sind dafür Zusatzentgelte nötig. Es muss bei der Vergütung einen Unterschied machen, ob ein 80-jähriger demenzkranker Mensch operiert wird oder ob dieselbe Operation bei einem 30-Jährigen durchgeführt wird. Der Pflegeaufwand ist im ersten Fall sehr viel höher.

Werden durch das neue Hamburger Krankenhausgesetz einzelne Abteilungen schließen müssen?

Prüfer-Storcks: Davon gehe ich nicht aus.

Der Asklepios-Gründer Bernard große Broermann hat das Atlantic-Hotel gekauft und hat Expansionspläne. Er will vermehrt ausländische Patienten anlocken. Hamburg ist mit 25,1 Prozent Anteilseigner bei Asklepios. Was halten Sie von den Plänen?

Prüfer-Storck: Den Erwerb des Atlantic-Hotels hat Herr große Broermann persönlich vorgenommen, nicht der Hamburger Konzern. Insofern waren wir da nicht involviert. Es ist sein unternehmerisches Engagement. Das Geld, das im Hamburger Konzern erwirtschaftet wird, bleibt hier und wird reinvestiert. Da gibt es auch keine Ausschüttungen.

Die niedergelassenen Ärzte protestieren derzeit mit einer Unterschriftenaktion auch von Zehntausenden Patienten gegen das sogenannte Versorgungsstärkungsgesetz. Kann man in Hamburg keine Praxis mehr wirtschaftlich betreiben?

Prüfer-Storcks: Der Ärzteprotest ist überzogen, weil das, was an die Wand gemalt wird, gar nicht kommen wird. Gegen die Stimme der Kassenärztlichen Vereinigung und somit der Ärztinnen und Ärzte kann keine Praxis aufgekauft werden, keine Praxis geschlossen werden. Dass nun Patientinnen und Patienten beunruhigt werden, ist nicht nötig. Ich habe mich im Bundesrat zudem dafür stark gemacht, dass die Bedarfszahlen wissenschaftlich überprüft werden, auch im Hinblick auf die Umlandversorgung durch Metropolen. Und in Hamburg haben wir einen Instrumentenkoffer entwickelt, um die Versorgungssituation genau anzuschauen: Wo sitzen welche Ärzte? Haben die Kapazitäten frei? Gibt’s den Bedarf wirklich, oder existiert er nur auf dem Papier? Bei Versorgungslücken gibt es dann eine Reihe von Maßnahmen, um sie zu schließen.

Patienten genervt von langen Wartezeiten

Was kann man dem Patienten zumuten, wie weit muss er zum Augenarzt fahren, wie lange auf den Termin warten?

Prüfer-Storcks: Wartezeit ist in Hamburg das größere Problem als die Entfernung. Zum Augenarzt muss ich in der Regel nicht jede Woche oder überraschend. Mit Besuchen beim Kinderarzt oder Allgemeinmediziner ist das anders. Gesetzlich Versicherte nennen die langen Wartezeiten immer als das größte Problem. Aber auch hier muss man schauen: Ist der Besuch wegen eines akuten Leidens oder dringend? Oder ist da jemandem eingefallen: Ich müsste nach fünf Jahren mal wieder zur Vorsorge, jetzt aber schnell.

Die Gesellschaft altert, die Gesundheit kostet uns immer mehr. Was ist ihr Rezept dagegen?

Prüfer-Storcks: Wenn man sich die Entwicklung ansieht, muss man feststellen: Eine Kostenexplosion hat gar nicht stattgefunden! Der Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt ist in den vergangenen 25 Jahren von 9,6 auf 11,3 Prozent gestiegen. Das ist keine Explosion. Und wir können dafür sorgen, dass Mittel nicht für Vermeidbares ausgegeben werden. Allein 23 Milliarden Euro pro Jahr sind beispielsweise für Krankenbehandlungen als Folge des Rauchens notwendig. Da sehe ich Einsparpotenzial, wenn wir Menschen dazu bewegen, nicht zu rauchen. Auch finden zu viele Untersuchungen doppelt und dreifach statt. Durch die elektronische Gesundheitskarte wäre das zu verhindern.

Zweitmeinung soll obligatorisch werden

Wird in Deutschland zu viel operiert?

Prüfer-Storcks: Studien sagen: Ja. Auch deshalb wollen wir eine Zweitmeinung obligatorisch einführen. Der Patient kann dann entscheiden, ob er die Zweitmeinung in Anspruch nimmt. Krankenkassen haben mit solchen Modellen gezeigt, dass bis zu 80 Prozent von Operationen in bestimmten Bereichen wie Wirbelsäule oder Knie vermeidbar waren. Und welcher Patient würde nicht gerne auf eine Operation verzichten, die er nicht wirklich braucht?

Aber auch 80-Jährige haben bei medizinischer Indikation ein Recht auf eine neue Hüfte.

Prüfer-Storcks: Das ist etwas anderes. Ich bin sehr dafür, notwendige Operationen auch in hohem Alter zu machen, denn dann bleiben die Leute mobil, dadurch wird Pflegebedürftigkeit vermieden und Lebensqualität erhalten. Heute werden aber solche Operationen immer früher gemacht. Wer als 50-Jähriger ein neues Knie oder eine neue Hüfte bekommt, kann leider recht sicher sein, dass es dann nicht die letzte OP sein wird. Hamburger Chirurgen sagen selbst: lieber erst einmal konservativ behandeln.

Bei den Ausgaben für die gesetzliche Krankenversicherung ist der Beitrag der Arbeitgeber festgeschrieben. Wenn es teurer wird, zahlen nur die Arbeitnehmer. Das könnte bei steigenden Kosten auch in der Pflegeversicherung drohen.

Prüfer-Storcks: Ich könnte mir eher vorstellen, dass die SPD sagt, wir wollen den Beitrag der Arbeitgeber entdeckeln.

Heißt: Sie fordern das?

Prüfer-Storcks: Ich wäre dafür. Denn es kann nicht sein, dass die Versicherten dauerhaft allein die steigenden Kosten im Gesundheitswesen tragen. Die Arbeitgeber haben doch auch ein Interesse daran, dass ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gesund sind.

Demente in Hamburg: Mehr Pflege im Quartier

Stichworte Pflege und Demenz: Was kann man für die wachsende Zahl der Erkrankten tun?

Prüfer-Storcks: Demente Menschen sollten idealerweise in ihrer gewohnten Umgebung bleiben und dort versorgt werden. Ich lehne die Idee von „Demenzdörfern“ ab. Der Senat will die Pflege im Quartier weiter voran bringen. In Hamburg gibt es schon heute Überkapazitäten in stationären Pflegeeinrichtungen. Was wir noch mehr brauchen, sind alternative Formen für die Pflege im Alltag, wie beispielsweise Demenzwohngemeinschaften, betreutes Wohnen, Altenwohngemeinschaften oder Servicewohnen.

Wird dafür extra Geld zur Verfügung gestellt?

Prüfer-Storcks: Eine Summe kann ich Ihnen noch nicht nennen, aber wir werden ein Förderprogramm aufstellen. Und wir wollen auch mit dem Bündnis für Wohnen die Stadtteilentwicklung und die Pflegeplanung noch enger zusammenbringen. Bei jedem großen Bauvorhaben soll die Pflegeinfrastruktur mitgeplant werden, also zum Beispiel ein Ort für einen ambulanten Pflegedienst. Dieser soll dann auch in der Nacht schnell nach dem Rechten schauen können.

Können Sie das konkretisieren?

Prüfer-Storcks: Wir haben schon zum Ende der letzten Legislaturperiode festgelegt, dass Projekte der Saga GWG wie „Lena“ (Lebendige Nachbarschaft) gefördert werden. Und wir stoßen durchaus auf offene Ohren: Die Bauträger haben selbst ein Interesse, ihre Investitionen so zukunftsfähig aufzustellen, dass auch wenn die Mieter älter werden, es keinen Grund gibt auszuziehen. Hamburg hat bereits im Jahr 2012 erreicht, dass 35 Prozent aller neu gebauten geförderten Mietwohnungen barrierefrei sind. Diesen Anteil will der Senat weiter steigern. Alle geförderten Neubau-Mietwohnungen sollen Mindeststandards von Barrierefreiheit erfüllen. Sie können dort mit dem Rollstuhl die Wohnung erreichen, es ist ein Aufzug vorhanden, es gibt keine unüberwindbaren Schwellen, das Bad ist so groß, dass sich dort auch jemand mit einem Rollator bewegen kann, die Türen sind breit genug für Rollstühle oder auch Kinderwagen. Es profitieren also auch Familien. Aber nicht nur im Wohnungsbau, auch bei der Wegeplanung muss darauf geachtet werden, dass Gehwege eben und hindernisfrei und die Zugänge des öffentlichen Personennahverkehrs barrierefrei sind.

Impfgegner sind irrational

In den vergangenen Wochen hat es aufgrund tödlicher Masernfälle eine Diskussion über eine Impfpflicht gegeben. Was halten Sie davon?

Prüfer-Storcks: Ich hätte durchaus Sympathie für eine Impfpflicht, zum Beispiel bei Masern. Aber mir ist klar, das ist eine „ultima ratio“, man muss das rechtlich sehr genau abwägen. Denn das Impfen ist ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit. Ich habe aber kein Verständnis für Impfverweigerer. Das ist aus meiner Sicht irrational. Die Menschen stellen ihre Vorurteile über wissenschaftliche Erkenntnisse und über die Gesundheit ihrer Kinder und gefährden andere. Das ist unverantwortlich.

Warum starten Sie keinen Hamburger Vorstoß?

Prüfer-Storcks: Wir haben in Hamburg eine Impfquote von Kindern bei Masern von rund 93 Prozent. Das zeigen die Zahlen aus den Schuleingangsuntersuchungen. Ob eine Impflicht vor diesem Hintergrund notwendig bzw. gesetzlich durchsetzbar ist, da haben Juristen Zweifel. Aber auf jeden Fall muss in Hamburg vor dem Besuch einer Kita nachgewiesen werden, welche Impfungen vorhanden sind, so dass die Möglichkeit für Aufklärungsgespräche besteht. Doch das reicht mir nicht aus. Die Landeskonferenz Versorgung wird sich jetzt mit dem Thema Impfen befassen. Und ich werde mit der Kassenärztlichen Vereinigung darüber sprechen, ob es nicht möglich ist, beim Kinderarzt auch die Eltern mit zu impfen, wenn die Kinder geimpft werden. Das ist bislang ein Abrechnungsproblem, aber das sollte zu lösen sein.

Zurzeit sind ja Fitness-Apps auf dem Smartphone schwer in Mode. Welche nutzen Sie privat?

Prüfer-Storcks: Keine. Ich halte nichts davon, sich ohne Grund zu viel mit dem aktuellen Blutdruck und dem Cholesterinspiegel zu beschäftigen.

Manche Versicherungen bieten Boni, wenn man nachgewiesenermaßen Fitness treibt oder sich gleich per App oder Apple-Watch gesundheitlich überwachen lässt.

Prüfer-Storcks: Die Überwachung sehe ich kritisch. Boni für gesundheitsbewusstes Verhalten gibt es schon länger. Das löst auch Mitnahmeeffekte aus: Wer ohnehin aktiv ist, ist dann in diesen Programmen und profitiert. Prävention hat den größten Effekt, wenn sie in den Lebenswelten ansetzt, in Kindertagesstätten, an Schulen oder am Arbeitsplatz.