Nach Lieferengpässen gibt es nun Qualitätsprobleme. Zurückgerufene Chargen wurden auch in Hamburg und Schleswig-Holstein ausgeliefert.
Kiel/Bad Segeberg. Der Ärger um Grippe-Impfstoffe trifft auch den Norden. Aus den Chargen des Pharmakonzerns Novartis, die vorsichtshalber aus dem Verkehr gezogen werden sollen, wurden dem Landesapothekerverband zufolge auch in Schleswig-Holstein und Hamburg Impfdosen ausgeliefert. „Der Norden ist voll betroffen“, sagte Thomas Friedrich vom Landesverband und Vertreter des Hamburger Apothekervereins am Donnerstag. Die ersten Dosen könnten verimpft worden sein. Es bestehe aber kein Grund zur Sorge. Es habe bisher keinerlei Komplikationen oder Meldungen über Nebenwirkungen gegeben. „Es könnte jetzt aber zu Engpässen bei der Versorgung mit Impfstoffen kommen“, sagte Friedrich.
Das Paul-Ehrlich-Institut hatte in Deutschland vier Chargen des Impfstoffs Begripal und eine Charge des Impfstoffs Fluad des Schweizer Konzerns Novartis zurückgerufen. Zuvor waren Grippe-Impfstoffe wegen Ausflockungen in Italien, Österreich und der Schweiz vom Markt genommen worden. Zwar seien solche Ausflockungen in Deutschland bisher nicht beobachtet worden. Als „Maßnahme der Risikovorsorge“ würden aber alle Chargen zurückgerufen, bei denen solche Ausflockungen während der Produktion des Impfstoffs aufgefallen seien. „Diese Maßnahme dient dem Schutz der Patienten vor möglichen Nebenwirkungen“, hieß es.
Friedrich befürchtet, dass es in Hamburg und Schleswig-Holstein in den kommenden Wochen nun zu Versorgungslücken bei Grippe-Impfstoffen kommen könnte. „Der Markt ist derzeit ausverkauft“, sagte er. Bisher seien rund 300 000 Impfdosen verfügbar gewesen. In Hamburg und Schleswig-Holstein benötige man insgesamt aber rund 750 000 Impfdosen. „Insofern richtet sich die ganze Hoffnung auf den ursprünglich zugesagten Impfstoff von Novartis“, sagte Friedrich. Dabei ging es um das Produkt Begripal ohne Kanüle. Damit gab es aber Probleme, so dass man auf Ersatz-Impfstoffe des Herstellers wie Begripal mit Kanüle, Fluad und Optaflu zurückgreifen musste.
Bis Ende November wollte Novartis den Angaben zufolge den vereinbarten Grippe-Impfstoff liefern. Ob es dazu komme und wie dann die Qualität ausfalle, sei derzeit noch unklar, bestätigte auch die AOK Nordwest als Vertreter der Krankenkassen des Landes. „Wir werden das weitere Verfahren im Sinne unserer Versicherten sehr aufmerksam und kritisch beobachten“, sagte der Sprecher Jens Kuschel. Ihm zufolge ist derzeit genug Impfstoff da. Vor zwei Wochen habe man den Markt geöffnet, weil Novartis den Grippe-Impfstoff nicht rechtzeitig und im zugesagten Umfang geliefert habe. Ärzte und Apotheker durften damit zunächst auf Impfstoffe anderer Hersteller ausweichen.
Die Landesärztekammer übte angesichts des neuen Ärgers scharfe Kritik an der Impfstoff-Versorgung in diesem Herbst. „Das bringt das Fass zum Überlaufen“, sagte Kammerpräsident Franz-Joseph Bartmann. Man gehe davon aus, dass die Krankenkassen des Landes „jetzt umgehend den exklusiven Rabattvertrag mit Novartis kündigen und die bis dato bestehende Verpflichtung der Ärzte zum Verwenden der betreffenden Impfstoffe bei Lieferbarkeit aufheben“, hieß es. Die Vorgänge der letzten Wochen hätten der Sache der Grippe-Schutzimpfung einen „nur schwer wieder gut zu machenden Schaden zugefügt.“ Nicht nur Patienten, sondern auch Ärzte seien nachhaltig verunsichert.
Auch die Bundesärztekammer forderte die Kassen auf, den Vertrag mit dem Schweizer Pharmaunternehmen zu kündigen. „Die Kassen müssen vom Vertrag mit Novartis zurücktreten, damit die Bevölkerung vernünftig versorgt werden kann“, sagte der Präsident der Ärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, dem „Hamburger Abendblatt“ (Freitag).