Die Krankenkassen geben nach und lassen nun auch alle auf dem Markt verfügbaren Grippe-Impfstoffe zu bis Begripal geliefert werden kann.

Kiel. Angesichts von Engpässen dürfen die Ärzte in Hamburg und Schleswig-Holstein nun auf alle Grippe-Impfstoffe zurückgreifen, um die Versorgungssicherheit der Bevölkerung wiederherzustellen. Die Krankenkassen setzten den Exklusivvertrag mit dem Hersteller Novartis einseitig außer Kraft. Novartis sei seinen Lieferverpflichtungen nachweislich nicht nachgekommen, sagte AOK Nordwest-Vorstand Dieter Paffrath am Donnerstag in Kiel. Sobald der Pharmakonzern voll liefern könne – voraussichtlich Anfang Dezember - müssten die Ärzte aber den Impfstoff Begripal von Novartis verwenden.

Mit der Freigabe ist der Mangel aber noch nicht sofort behoben. Viele Hersteller hätten wegen des Exklusivvertrages mit Novartis selber keine eigenen großen Impfstoffmengen produziert, erläuterte Paffrath. Er bat deshalb die Bevölkerung um etwas Geduld und „nicht gleich morgen die Arztpraxen zu stürmen“.

„Die Krankenkassen haben endlich die Notbremse gezogen“, sagte Monika Schliffke, Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Schleswig-Holstein. Sie sprach von einer erstmal guten Nachricht, um das Impfstoff-Desaster zu überwinden. Es dürfe aber keinen neuen Lieferengpass geben, betonte Walter Plassmann stellvertretender Vorsitzender der KV Hamburg.

Gegen Novartis erhoben Vertreter der Kassenärztlichen Vereinigungen, der Apothekerverbände und der Krankenkassen massive Vorwürfe bis hin zum Verdacht der arglistigen Täuschung. Der Versorgungsgrad mit Grippe-Impfstoff Stand 8. Oktober betrug demnach in Hamburg 15,3 Prozent und in Schleswig-Holstein 16,8 Prozent - bezogen auf die bestellten Mengen. In den beiden Bundesländern sind jedes Jahr etwa 750.000 bis 800.000 Impfeinheiten notwendig.

Paffrath verwies auf Spekulationen, dass Novartis möglicherweise Impfstoff-Chargen von Begripal zurückhalte, um einen anderen Impfstoff, der am Markt Akzeptanzprobleme habe, durchzusetzen. Gemeint ist Optaflu, das vom Paul Ehrlich Institut für den deutschen Markt zugelassen wurde. Es gibt Diskussionen darüber, ob Optaflu krebserregend sein könnte. So hat Novartis bislang 35 Prozent Optaflu, das laut Experten in der Herstellung günstiger sein soll, und nur 27 Prozent Begripal ausgeliefert. „Einige Arztpraxen haben bereits Optaflu-Impfstoff wegen Bedenken abgelehnt und wieder zurückgeschickt“, berichtete Monika Schliffke, Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein.

Wegen des Engpasses mit Begripal hatten die Kassen in einem Ergänzungsvertrag Novartis erlaubt, auch Ersatzimpfstoffe zu liefern. Aber auch diese reichten nicht aus, hieß es. In Bayern hatte die Kassen bereits vor einigen Tagen die dortige Exklusivvereinbarung mit dem Pharmakonzern ausgesetzt. Allein in Bayern sind rund 1,9 Millionen Grippe-Impfdosen notwendig.

Im Streit zwischen den Kassen und Novartis drohen Schadensersatzprozesse. In einer E-Mail lehnte Novartis am Donnerstagmittag laut Paffrath eine einvernehmliche Aussetzung des Exklusivvertrages ab, um keine Gewinnverluste zu erleiden. Sollte Novartis Schadensersatz verlangen, würden die Kassen prüfen, ob sie entstandene Mehrkosten von Novartis ersetzt bekommen wollen, sagte Paffrath.

Rabattverträge haben sich nach seinen Angaben generell bewährt. Die AOK habe dadurch 1,4 Milliarden Euro erwirtschaftet. Dagegen beurteilte Schliffke aus ärztlicher Sicht die Vorgabe, nur ein bestimmtes Medikament verschreiben zu dürfen, kritisch. Die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten würden eingeschränkt. Die Kassenvertreter ließen offen, ob im nächsten Jahr erneut ein Exklusivvertrag für einen Grippe-Impfstoff ausgeschrieben werden soll. (abendblatt.de/dpa)