Bei der Suche nach der Tatwaffe der Neonazi-Morde ging so einiges schief. Eine heiße Spur in die Schweiz ging bei den Ermittlern unter.
Berlin/Hannover/Braunschweig . Sie waren nah dran an der Tatwaffe der Neonazi-Morde. Schon 2004 gingen Beamte des Bundeskriminalamts einer heißen Spur in die Schweiz nach. Ein Waffenhändler hatte dort das seltene Modell verkauft, mit dem die Mitglieder der rechtsextremen Terrorzelle NSU später mutmaßlich neun türkische oder griechische Kleinunternehmer erschossen. Das Problem: Die Ermittler erkannten die Zusammenhänge nicht. Sie vermuteten Ausländer hinter den Verbrechen und stellten die falschen Fragen. Die heiße Spur verlor sich – eine weitere Panne in einer beispiellosen Serie von Fehlern.
Die Mordwaffe, eine Ceska 83 mit Schalldämpfer, ist eine Rarität: eine tschechische Pistole, Kaliber 7.65 Millimeter. Nur ein paar Dutzend Exemplare sollen davon hergestellt worden sein. Die Waffe ist ein verbindendes Element zwischen den kaltblütigen Morden, die der Terrorzelle NSU zur Last gelegt werden. Neun der zehn Opfer der Mordserie zwischen 2000 und 2006 starben durch Schüsse aus dieser Pistole. Auch die verwendete Munition namens PMC aus den USA ist keine Massenware.
Eine eigene Ermittlergruppe des Bundeskriminalamts ging der Waffenspur ab 2004 nach. Bei ihren Recherchen stießen die Ermittler schon früh auf den Schweizer Waffenhändler. Werner Jung arbeitete damals in dem Ermittlerteam und bat Schweizer Verbindungsbeamte des BKA im Mai 2004, sich bei der Firma umzuhören.
In einem Fax führte der Polizist die Kollegen aber auf die falsche Fährte. Denn er forderte sie auf, sich explizit nach türkischen Käufern von Munition zu erkundigen. Es gebe Anhaltspunkte, dass es sich um Auftragsmorde handele und Drogengeschäfte dahinter steckten, lieferte er zur Begründung mit. Jung muss sich nun wegen der Fehleinschätzung unangenehme Frage im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages gefallen lassen. Die Abgeordnete bohren nach: Warum die Einschränkung auf türkische Käufer?
Die Ermittlungshinweise seien damals eben in diese Richtung gegangen, begründet der BKA-Mann. Die Ermittler hätten türkische Brüder hinter den Verbrechen vermutet. Und überhaupt habe die Polizei in der Vergangenheit bei anderen Fällen gerade Ceska-Pistolen überproportional oft bei Türken beschlagnahmt.
Er habe sich nicht viel davon versprochen, alle Käufer des Schweizer Händlers abzufragen, sagt Jung. „Da wären wir auf viele unbescholtene Schweizer Bürger gestoßen.“ Die Abgeordneten schauen ungläubig.
Auch an anderer Stelle ging einiges schief bei der Suche nach der Ceska: Die Ermittler entdeckten nicht nur den Händler, der die spätere Tatwaffe verkaufte – ohne dass die BKA-Leute es selbst merkten. Sie stießen auch auf den Mann, der die Pistole dort gekauft hatte, befragten ihn, ließen sich allerdings mit fadenscheinigen Ausreden abspeisen.
Der Rentner aus der Schweiz behauptete damals, er habe die Waffe nie bekommen. „Da endete für mich der weitere Weg“, sagte Jung. Jahre später räumte der Rentner ein, die Waffe gekauft zu haben. Wie genau die Pistole an das Terrortrio gelangte, ist noch unklar.
Dem Hinweis eines anderen Zeugen gingen die Ermittler erst gar nicht nach. Der Mann meldete sich mehrmals beim BKA und wollte etwas zu der Schweizer Waffenspur loswerden. Ob denn niemand den Anrufer befragt habe, will Unions-Obmann Clemens Binninger (CDU) wissen. „Ich nicht“, entgegnet Jung. Und auch sonst habe sich nie jemand von dem Ermittlerteam mit dem Hinweisgeber in Verbindung gesetzt.
Die Obleute im Ausschuss reagieren mit Unverständnis auf die Versäumnisse. „Es war eine heiße Spur bereits 2004“, sagt der CDU-Obmann Binninger. „Das BKA hat sie kalt werden lassen.“ Die Ermittler hätten nach einer Schablone ermittelt. Der Grünen-Obmann Wolfgang Wieland klagt, die Polizisten hätten nach der verqueren Logik gehandelt, dass Türken nur von Türken erschossen werden. „Das ist ein Trauerspiel.“
Jung sieht das anders. Auf die Frage nach möglichen Versäumnissen sagt er: „Ich würde sagen, dass wir Fehler gar nicht gemacht haben.“
Europarat wirft deutschen Behörden Versäumnisse bei NSU-Morden vor
Der Menschenrechtskommissar des Europarats hat Deutschland bei den Ermittlungen zu den Morden der rechtsextremen Zwickauer NSU-Terrorzelle Versäumnisse vorgeworfen. Nils Muiznieks sagte am Donnerstag in Brüssel, bei Verbrechen müsse immer ernsthaft ein rassistischer Beweggrund überprüft werden. „Der deutsche Fall zeigt, wie die Behörden dies für viele Jahre versäumt haben“, kritisierte der Menschenrechtskommissar. „Nun versuchen sie, die bisherigen Mängel in ihrem Ermittlungssystem zu beheben, aufgrund derer sie nicht gesehen haben, dass Ä..Ü es eine rassistische Motivation gab.“
Den Rechtsterroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) werden zehn Morde zwischen 2000 und 2007 zur Last gelegt: an neun Kleinunternehmern türkischer und griechischer Herkunft sowie einer Polizistin.
Der Europarat mit Sitz in Straßburg ist keine Einrichtung der EU, sondern eine europäische internationale Organisation und vertritt derzeit 47 Länder. Der Menschenrechtskommissar soll auf Fehlentwicklungen in den Mitgliedsländern des Europarats hinweisen und den Regierung helfen, ihre Gesetzgebung zu verbessern. Sein Amt wurde 1999 geschaffen.