Zehn Jahre ist es her, dass der damalige VW-Manager Peter Hartz seine Vorschläge zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit vorlegte. Eine Bilanz.
Hannover/Berlin. Die vor zehn Jahren (16. August) von Peter Hartz angestoßene Arbeitsmarktreform hat nach Einschätzung des Chefs der niedersächsischen Bundesagentur, Klaus Stietenroth, die Arbeitslosigkeit im Land deutlich abgebaut. „Die Bundesagentur für Arbeit ist durch die Reformen kundenorientierter, leistungsfähiger und effizienter geworden“, sagte Stietenroth am Dienstag in Hannover. Auch sei der Arbeitsmarkt durch die Reformen „flexibler“ geworden.
Die einen warnten vor der „Abrissbirne für den Sozialstaat“. Für die anderen war es „die größte Arbeitsmarktreform aller Zeiten“. Als die Vorlage für die Hartz-Reformen vor zehn Jahren (16. August) im Französischen Dom zu Berlin das Licht der Welt erblickte, versank Deutschland gerade in der Jahrhundertflut: Viele werteten dies als schlechtes Omen für das, was die „Kommission zum Abbau der Arbeitslosigkeit und zur Umstrukturierung der Bundesanstalt für Arbeit“ in einem feierlichem Akt als Rezept für ein neues deutsches Jobwunder präsentierte.
+++ Neue Hartz-IV-Sätze sind verfassungsgemäß +++
Die vollmundige Botschaft des damaligen Kommissionsvorsitzenden und VW-Managers Peter Hartz lautete: Wenn alle „Profis der Nation“ an einem Strang ziehen, lässt sich die Arbeitslosigkeit auf dem Weg zur Vollbeschäftigung innerhalb von drei Jahren halbieren. Um den Kanzlerberater und Namensgeber der Reformen ist es nach einer Korruptionsaffäre mit Bewährungshaftstrafe und hoher Geldbuße still geworden. Im Saarland engagiert er sich weiter für Arbeitslose.
Hartz pflügte – sicher ungewollt – die politische Landschaft in Deutschland um. Das Herzstück der Reformen, die Hartz IV genannte Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II, löste eine beispiellose Protestwelle aus. Die Gewerkschaften liefen Sturm, Hunderttausende gingen auf die Straße. Die Kritik hält bis heute an.
Sammelbecken der Gegner wurde die neu gegründete Partei Die Linke. Sie ist inzwischen als fünfte politische Kraft etabliert. Sie lehnt Hartz IV bis heute als „Armut per Gesetz“ ab. Die SPD verlor mit der Einführung von Hartz IV Anfang 2005 krachend die Bundestagswahl sowie
Landtagswahl um Landtagswahl, dazu massenhaft Mitglieder. Nach Beanstandungen durch das Bundesverfassungsgericht mussten wichtige Gesetzesregelungen nachgebessert werden. An den Sozialgerichten löste Hartz IV eine Klageflut aus.
Für viele Kritiker war mit Einführung von Hartz IV der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit in einen „Kampf gegen die Arbeitslosen“ umgeschlagen. Fast jede Arbeit, auch gering bezahlte, war plötzlich zumutbar. Nur in Ausnahmefällen erwiesen sich die Jobs als Brücke in reguläre Beschäftigung. Langzeitarbeitslose werden meist als Letzte eingestellt und stehen als Erste wieder auf der Straße.
Auf der anderen Seite ist festzuhalten: Bei Beschäftigung und Jugendarbeitslosigkeit steht Deutschland trotz Euro-Krise im internationalen Vergleich aktuell gut da. Hartz IV hat zweifelsohne dazu beigetragen. Und auch dafür gesorgt, dass der Trend der zuvor ständig wachsenden Sockelarbeitslosigkeit gebrochen wurde. „Die Hartz-Gesetze haben eine Menge an Flexibilität gebracht – und sie sind die Grundlage für die momentan starke wirtschaftliche Stellung Deutschlands in Europa. Das ist gut“, lautet die Bilanz des CDU-Arbeitsmarktexperten Karl Schiewerling. Seine SPD-Kollegin Anette Kramme sagt: „Was wir erreicht haben, allerdings nicht von Anfang an, ist das systematische Fördern von Arbeitslosen. Besonders in der Sozialhilfe fand das nicht statt.“
Als Peter Hartz seine „Radikalkur gegen Arbeitslosigkeit“ vorlegte, gab es 3,8 Millionen Arbeitslose. Zehn Jahre und einige Reformen später sind es knapp 2,9 Millionen. Dazwischen – Anfang Februar 2005 – kletterte die Erwerbslosenzahl kurzzeitig auf den Rekordstand von 5,2 Millionen. Es waren jene 350 000 Erwerbsfähigen dazu gekommen, die bis dahin als Sozialhilfeempfänger nicht mitgezählt wurden.
Für sie brachte die Reform unstreitig Verbesserungen. Derzeit umfasst die Gruppe der Langzeitarbeitslosen noch etwa 1,9 Millionen Menschen. „Die Hartz-IV-Reform hat Wahrheit und Klarheit in die Statistik gebracht und damit offenbart, welche Beschäftigungsprobleme wir hatten“, sagt der Nürnberger IAB-Arbeitsmarktforscher Ulrich Walwei.
Den Einstieg in den Umbau des Arbeitsmarktes markierten 2003 die Reformen Hartz I und II: Sie brachten die Ich AG für arbeitslose Existenzgründer, 400-Euro-Jobs, Vermittlungsgutscheine, Job-Center und die Pflicht zur umgehenden Meldung zur Arbeitssuche bei Kündigung. Instrumente wie der Job-Floater und Bildungsgutscheine sind längst in Vergessenheit geraten. Die Ich AG war 2002 „Unwort des Jahres“. Hartz III schuf dann die Basis für den Umbau der Bundesanstalt für Arbeit (BA) zu einem modernen Dienstleister.
mit Material von dpa