Sie wollten sich die Gewalt der Polizei und die Diskriminierung nicht mehr bieten lassen. 1969 wehrten sich Schwule und Lesben in New York und begründeten einen Mythos.
Berlin/New York/Hamburg. Die Stimmung ist aufgeheizt. Als Polizeibeamte in einer Sommernacht im Juni 1969 die Besucher der Schwulenkneipe „Stonewall In“ in Manhattan kontrollieren, eskaliert die Situation. Drei Tage lang dauern die Krawalle in der New Yorker Christopher Street, die als Meilenstein der Schwulenbewegung gelten. Am 26. Juni jähren sich die Ereignisse zum 40. Mal. Christopher-Street-Day-Paraden in aller Welt erinnern bis heute an die Auseinandersetzungen und an den Beginn einer selbstbewussten Homosexuellenbewegung.
Der genaue Auslöser der Unruhen ist schwer zu rekonstruieren. Als die Polizei beginnt, Stammgäste der Kneipe zu verhaften, setzen sich Lesben, Schwule und Transvestiten zur Wehr. Flaschen und Steine fliegen. Einige Polizisten werden in der Kneipe eingesperrt, jemand legt Feuer. Schnell ist Verstärkung vor Ort, die die eingeschlossenen Beamten befreit. Am nächsten Tag berichtete die „New York Times“: „Nach Schätzungen der Polizei wurden rund 200 Menschen aus der Bar getrieben. Während des Tumults wuchs die Menge auf 400 an.“ Einer, der in dieser Nacht dabei war, ist der New Yorker Jerry Hoose. „Es war ein Hexenkessel, der darauf wartete zu explodieren“, erinnert er sich in einem Zeitungsinterview. „Viele von denen, die in und um das Stonewall herum waren, hatten nicht viel zu verlieren.“
Die Situation der Lesben und Schwulen in den USA sei sehr repressiv gewesen, sagt der Geschäftsführer des Berliner Christopher-Street-Day-Vereins CSD, Robert Kastl. „Polizeirazzien waren üblich, Homosexuelle wurden willkürlich verhaftet und mussten sich verstecken. Sie wurden in die Schmuddelecke und ins Rotlichtmilieu gedrängt.“
Grund für den Widerstand der Homosexuellen war eine „generelle Liberalisierungswelle“, sagt Kastl. Der gesellschaftliche Aufbruch in den sechziger Jahren – Hippie-Bewegung, der Freiheitskampf der Schwarzen sowie der Widerstand gegen den Vietnamkrieg – ermutigte auch die Schwulen, für ihre Rechte einzutreten. „Es war die Zeit: Antikriegsbewegung, Gegenkultur, Emanzipation“, erinnert sich auch der New Yorker Jerry Hoose.
Ein Jahr nach den gewaltsamen Auseinandersetzungen in der Christopher Street organisierte die inzwischen erstarkte Schwulenbewegung in New York einen Gedenkmarsch an die Razzia. Der sogenannte Gay Liberation Day wurde zum Vorbild für den Christopher Street Day, mit dem Homosexuelle inzwischen weltweit auf ihre Situation aufmerksam machen. 1979, vor 30 Jahren, veranstalteten deutsche Schwule und Lesben in Berlin und Bremen einen ersten Marsch. Die Proteste richteten sich zunächst gegen die Ahndung von Homosexualität nach dem Paragrafen 175, der erst 1994 endgültig aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wurde.
Auffälligster Unterschied zwischen dem ersten Christopher Street Day in Deutschland und heute seien die Reaktionen der Zuschauer am Rande der Parade, sagt Kastl: Hätten die heterosexuellen Besucher Ende der siebziger Jahre beschämt und schockiert reagiert, würden sie heute mitfeiern. Und das deutschlandweit.
Mindestens 35 Paraden sind bis September in der Bundesrepublik geplant – von München bis Lübeck, in Oldenburg, Braunschweig und Iserlohn. Am 30. Juli beginnt in Hamburg die sogenannte „Pride Week“ (Woche des Stolzes). Die Parade findet am 8. August statt. Schirmherr ist der Erste Bürgermeister Ole von Beust (CDU).
Auch wenn heute in Deutschland die wichtigsten Meilensteine der Anerkennung erreicht sind, die schillernd bunten Umzüge mit viel nackter Haut werden auch in diesem Jahr auf Diskriminierungen weltweit aufmerksam machen. Denn verfolgt werden Schwule und Lesben noch immer: Im Sudan, im Jemen und in Saudi-Arabien steht Homosexualität unter Todesstrafe. In Indien, Tansania und Malaysia wird die gleichgeschlechtliche Liebe mit bis zu lebenslangen Haftstrafen geahndet. Im Mai dieses Jahres wurde der Christopher Street Day in Moskau brutal aufgelöst.
Auch die friedlichen Paraden in Deutschland täuschen nicht über Alltagsdiskriminierungen hinweg. So wurde das vor einem Jahr in Berlin eingeweihte Homosexuellenmahnmal mehrfach Ziel homophober Attacken. In Berlin gebe es immer wieder schwulenfeindliche Übergriffe, sagt Alexander Zinn vom Lesben- und Schwulenverband. Sorgen bereitet ihm vor allem die Intoleranz vieler muslimischer Jugendliche.
Und dennoch: Seit 1969 habe sich viel bewegt, urteilt Zinn. Er verweist auf eine Tagung der Vereinten Nationen vom Dezember vergangenen Jahres. Erstmals in ihrer Geschichte hatte die Uno-Generalversammlung in New York die Menschenrechte von Homosexuellen auf die Tagesordnung gesetzt. Am Ende unterzeichneten 66 Staaten eine Erklärung, in der sie ein Ende der Menschenrechtsverletzungen und eine weltweite Entkriminalisierung von Homosexuellen forderten.