114 000 Freiberufler beziehen die Grundsicherung, die Zahl hat sich in zwei Jahren verdoppelt. Die Agentur für Arbeit befürchtet: „Der Trend setzt sich weiter fort.“ Die Klagen gegen Hartz-IV-Bescheide sind auf Rekordniveau.
Nürnberg. Die Wirtschaftskrise macht immer mehr Selbstständige zu Hartz-IV-Empfängern. Deren Einkünfte seien so stark geschrumpft, dass sie zusätzlich auf Arbeitslosengeld II angewiesen seien, berichtete die Bundesagentur für Arbeit (BA). Am Jahresende 2008 hätten rund 114 000 Selbstständige die sogenannte Grundsicherung bezogen. Zwei Jahre zuvor seien es nur 56 000 gewesen. Die Zahl dieser Aufstocker mit eigenem Gewerbe habe sich damit mehr als verdoppelt. „Und der Trend setzt sich weiter fort“, betont BA-Vorstandsmitglied Heinrich Alt.
Mehr als die Hälfte der Betroffenen habe wegen Auftragsmangels Einkünfte von weniger als 400 Euro monatlich. „Diese Entwicklung ist natürlich bedenklich. Hier brauchen wir zusätzliche Angebote, um die Hilfebedürftigkeit nachhaltig zu beenden“, unterstrich Alt. Inzwischen hätten Jobcenter mit der Beratung und Fortbildung Betroffener begonnen. Auch erhielten die in Not geratenen Gewerbetreibenden inzwischen von Jobcentern Angebote für Zusatzjobs.
Umgekehrt entschieden sich Hartz-IV-Empfänger in der Krise immer häufiger für die Selbstständigkeit, um wieder beruflich Fuß zu fassen. Bereits in den ersten sechs Monaten halfen Jobcenter nach BA-Angaben rund 12 000 bisherigen Arbeitslosengeld-II-Empfänger bei der Existenzgründung. Im Jahr 2008 hätten sich rund 25 000 Arbeitslosengeld-II-Empfänger für diesen Weg entschieden. Die Jobcenter unterstützten Existenzgründer bei der Entwicklung von Geschäftsideen bis zu Hilfen bei Finanzierungsfragen. Nur jeder zehnte geförderte Selbstständige aus dem Kreis der Hartz-IV-Betroffenen sei ein halbes Jahr später wieder arbeitslos gewesen.
Unterdessen hat das größte deutsche Sozialgericht in Berlin im Monat Juli so viele neue Hartz-IV-Verfahren registriert wie noch nie seit Inkrafttreten der Reform im Januar 2005. Insgesamt seien 2684 neue Verfahren eingegangen, teilte ein Sprecher mit. Wenn der Trend bis Jahresende anhalte, drohe eine Steigerung bei der Zahl der Verfahren um 17 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Hauptgründe für die Verfahren seien Streitigkeiten über Unterkunftskosten. Dabei gehe es beispielsweise um die Frage, welche Miete angemessen sei und daher von den Jobcentern übernommen werden müsse. Ein anderer Streitpunkt sei die Anrechnung von Einkommen auf das Arbeitslosengeld II. Gerade in Berlin gebe es viele „Aufstocker“, die zwar Einkommen beziehen, damit aber ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten können.
Mehr als die Hälfte der Hartz-IV-Empfänger (52 Prozent) hätten im ersten Halbjahr 2009 mit ihren Verfahren zumindest einen Teilerfolg erzielt. Im Jahr 2008 habe die Quote noch bei 48 Prozent gelegen. Ursache für die im Vergleich zu anderen Rechtsgebieten überdurchschnittlich hohe Quote seien vielfach Form- und Verfahrensfehler der Behörden gewesen.