Italiens Mario Monti und Frankreichs François Hollande holen den Plan wieder hervor, dem Rettungsschirm ESM eine Banklizenz zu verschaffen.
Brüssel/Berlin. Nicht jeder hat die Hoffnung auf ein paar ruhige Sommerwochen schon aufgegeben. Man habe nicht vor, im August irgendwelche Rettungsmaßnahmen zu beschließen, sagt ein hochrangiger Berliner Koalitionär. Es ist der Versuch, ein wenig Ruhe in die aufgeregte Euro-Debatte zu bringen. Beinahe täglich werden Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble (beide CDU) mit neuen Vorschlägen zur Krisenbekämpfung konfrontiert.
Die europäischen Partner wollen endlich einen großen Wurf, um die Schuldenkrise zu überwinden. Die Gelegenheit scheint günstig: Seit der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, verkündete, er werde alles tun, um den Euro zu stabilisieren, sehen nun viele die Politik am Zug. Das erzeugt die Erwartungshaltung, die etwa Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker nutzt, um entscheidende Schritte binnen weniger Tage anzumahnen. Auch der italienische Ministerpräsident Mario Monti und der französische Staatspräsident François Hollande machen Druck. Nach einem Krisentreffen verkündete Hollande, er sei sich mit Monti einig, dass man "alles" tun werde, "um die Euro-Zone zu verteidigen, zu erhalten und zu stärken".
Und "alles" fassen der französische und der italienische Regierungschef deutlich weiter als Merkel, die zuvor ein ähnliches Bekenntnis abgegeben hatte. Besonders heikel ist aus Berliner Sicht der Vorschlag, dem Rettungsschirm ESM eine Banklizenz zu geben. Diese Idee wurde bei der Herbsttagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) erstmals in größerer Runde diskutiert. Damit würde der Hilfsfonds über fast unbegrenzte Mittel verfügen. Er könnte Staatsanleihen von Krisenländern wie Italien und Spanien kaufen, diese bei der EZB als Sicherheit hinterlegen und damit neues Geld von der EZB erhalten, das er wiederum für Rettungsaktionen einsetzen könnte. Es wäre - vereinfacht gesagt - eine Lizenz zum Gelddrucken. Die Gegner sehen die ESM-Banklizenz als Weg, das Verbot der monetären Staatsfinanzierung zu umgehen.
Letztlich bediene man sich der EZB, und das werde in einer Inflation enden, argumentieren sie. Die Bundesregierung hat den Vorschlag deshalb immer abgelehnt - beim IWF-Treffen und auch beim EU-Rat Ende Juni, als Monti ihn wieder vorgebracht haben soll. Doch die Befürworter lassen nicht locker. Sie lancieren die Idee wieder und wieder. Die Bundesregierung will standhaft bleiben. Vorerst.
Auch in Brüssel versucht man nun die Erwartungen zu dämpfen. "Es wurden beim letzten Europäischen Rat viele Ideen auf den Tisch gelegt, auch die einer Banklizenz für den ESM", sagt ein hoher EU-Diplomat. "Aber konkrete Maßnahmen stehen derzeit nicht an." Bei der jüngsten Telefonkonferenz der Finanzstaatssekretäre in der vergangenen Woche sei über den Rettungsschirm EFSF gesprochen worden,nicht aber über ein neues Finanzierungsinstrument.
Technisch wäre die Vergabe einer Banklizenz an den ESM keine große Schwierigkeit. "Die Banklizenz kann schnell umgesetzt werden", heißt es in EU-Kreisen. "Aber bis das passiert, müssen einige EZB-Vertreter eine 180-Grad-Wendung vollziehen." Entgegen anderslautenden Meldungen haben nämlich viele Mitglieder des Zentralbankrats Bedenken. Und es gibt eine weitere Hürde: In den aktuellen ESM-Statuten ist keine Banklizenz vorgesehen. Einer Änderung müsste der Bundestag zustimmen. Ob Merkel dafür eine Mehrheit bekäme, ist mehr als ungewiss. Die FDP hat sich in ihrer Ablehnung festgelegt. Die Kanzlerin müsste also ihre Koalition riskieren für das neue Rettungsinstrument.
Es wird allerdings immer stärker spürbar, dass auch die Vertreter jener Euro-Länder, die in ihrer Ablehnung von EZB-finanzierten Rettungsaktionen bisher strikt die deutsche Linie unterstützen, jenseits der offiziellen Verlautbarungen umdenken. "Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem wir uns nicht weiter durchschummeln können. Es braucht jetzt einen radikalen Ansatz, um das Vertrauen der internationalen Finanzmärkte wiederzuerlangen", sagt ein hoher Vertreter einer Euro-Regierung. "Die Frage ist: Wie hoch muss die Feuerkraft des ESM sein, um die Situation endlich zu stabilisieren? Wenn das nur durch eine unbegrenzte Summe, also durch die EZB geht, dann muss man diesen Schritt machen." Der Schuldenstand in Ländern wie den USA oderJapan sei viel schlechter als in der Euro-Zone, "und trotzdem sind sie nicht einem solchen Marktdruck ausgesetzt, weil ihre Zentralbanken als Retter der letzten Instanz fungieren".
Neben der ESM-Banklizenz gibt es auch andere Wege, die Zentralbank einzuspannen. Sie könnte direkt Staatsanleihen von Krisenländern kaufen. Mario Draghi selbst hat Spekulationen angeheizt, dass die EZB bald wieder aktiv werden könnte. Morgen steht eine EZB-Ratssitzung an, die Erwartung der Investoren ist groß. Sie könnte allerdings enttäuscht werden. Denn Draghi soll zunächst die Politik in der Pflicht sehen. So kursiert derzeit die Idee eines Doppeleinsatzes von EZB und dem provisorischen Rettungsschirm EFSF. Der soll mit seinen Reformauflagen und Kontrollen für die nötige Konditionalität sorgen - und die EZB für die ausreichenden Mittel.
Bisher ist Spanien allerdings nicht bereit, einen Hilfsantrag zu stellen. Madrid hofft offenbar, dass die EZB alleine für Beruhigung sorgt - und man sich nicht einem EFSF-Programm unterwerfen muss. Insofern könnte der August doch noch ein Monat ohne Rettungsbeschlüsse werden. Doch in Berlin richtet man sich dafür schon einmal auf einen heißen Herbst ein.