Nach dem Beschluss zum ESM und EU-Fiskalpakt für Haushaltsdisziplin hatten Kritiker Beschwerden beim Bundesverfassungsgericht eingereicht.
Berlin. Das Bundesverfassungsgericht will am 10. Juli über die Eilanträge gegen den dauerhaften Euro-Rettungsschirm ESM mündlich verhandeln. Das teilte das Gericht am Montag mit. Mündliche Verhandlungen über Eilanträge sind äußerst selten.
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) ist zuversichtlich, dass das Bundesverfassungsgericht die zahlreichen Klagen gegen den Euro-Rettungsschirm ESM und den EU-Fiskalpakt für Haushaltsdisziplin abweisen wird. Das Gericht habe bisher bei einzelnen Gesetzen Leitplanken eingezogen, die Hilfen grundsätzlich aber nicht beanstandet, sagte die Ministerin der „Passauer Neuen Presse“. Der CDU-Innenexperte und Kritiker des Euro-Kurses der Bundesregierung, Wolfgang Bosbach, sagte, auch die Richter wüssten, welche außen- und finanzpolitischen Wirkungen ein kategorisches Nein aus Karlsruhe hätte.
Bundestag und Bundesrat hatten am späten Freitagabend dem Fiskalpakt und dem ESM mit Zwei-Drittel-Mehrheiten zugestimmt. Unmittelbar danach hatten etliche Kritiker wie die Linken-Fraktion und der CSU-Politiker Peter Gauweiler Beschwerden gegen die Vorhaben beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Aus ihrer Sicht wird die Haushaltshoheit des Bundestages verletzt.
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Leutheusser-Schnarrenberger sagte, der Gesetzgeber habe bei Fiskalpakt und ESM die Konsequenzen aus früheren Europa-Entscheidungen des Gerichts gezogen. Daneben habe der Bundestag mit Zwei-Drittel-Mehrheit, also der verfassungsändernden Mehrheit, zugestimmt, „denn hier geht es auch um Hoheitsübertragungen“. Wirtschaftsminister und FDP-Chef Philipp Rösler trat in der „Saarbrücker Zeitung“ der These entgegen, Deutschland werde durch die Maßnahmen zur Bekämpfung der Euro-Krise überfordert. Bei den Hilfen handle es sich „in erster Linie um grundsätzliche Zusagen und weniger um Geld, das tatsächlich fließt“, sagte er.
Bosbach sagte der „Rheinischen Post“, er rechne nicht mit einem Stopp für Fiskalpakt und ESM durch das Verfassungsgericht. Er gehe davon aus, dass Karlsruhe dem Gesetzgeber kritische Hinweise gebe und zu einer „Bis-hierher-und-nicht-weiter-Entscheidung“ komme. Bosbach hatte gegen den ESM gestimmt.
Aus Sicht der Kläger ist die Grenze der Verfassung längst überschritten. „Der ESM ist ein Putsch gegen das Grundgesetz“, sagte der Bundesvorsitzende der Freien Wähler, Hubert Aiwanger. Mit dem ESM und dem Fiskalpakt gebe Deutschland ohne Not Rechte ab, ohne dass die Bürger gefragt würden. Die Freien Wähler stützen daher die Klage der Professoren Karl Albrecht Schachtschneider, Wilhelm Hankel, Wilhelm Nölling, Joachim Starbatty und Bruno Bandulet. Vier aus dieser Gruppe hatten auch schon gegen andere Vorhaben wie den temporären Euro-Rettungsschirm EFSF geklagt.
Schachtschneider sagte, der Kern der Verfassungsbeschwerde sei, dass ESM und Fiskalpakt nicht nur krass das demokratische Prinzip verletzten, sondern den Deutschen die Souveränität nähmen. Mit ESM und Fiskalpakt werde der Schritt zu einem „funktionären Bundesstaat“ gegangen. Darüber zu befinden, sei aber Sache der Bürger. Leutheusser-Schnarrenberger zeigte sich offen dafür, die Bürger künftig stärker bei Entscheidungen zur europäischen Integration einzubinden. Man müsse sich „mehr Gedanken darüber machen, wie wir die Menschen stärker in die politischen Entscheidungsprozesse beteiligen“. Das bedeute aber nicht, über Nacht das Grundgesetz zur Diskussion zu stellen.
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Der ehemalige Verfassungsrichter Udo di Fabio sagte dem „Deutschlandradio“, das Gericht habe bereits klargemacht, dass kein Automatismus entstehen dürfe, der den Bundestag zum Nachvollzug in haushaltspolitischen Entscheidungen zwinge. Über ein neues Grundgesetz müsste abgestimmt werden, wenn Deutschland unwiderruflich seine völkerrechtliche Souveränität aufgebe und Gliedstaat in einem europäischen Bundesstaat werde. „Aber davon ist zurzeit ja keine Rede“, unterstrich der Verfassungsrechtler.
Allerdings schloss Di Fabio nicht aus, dass Bundestag und Bundesrat erneut über die Beschlüsse des EU-Gipfels vom Freitag abstimmen müssten. Diese könnten möglicherweise den Charakter des ESM verändern, wenn hilfesuchende Länder nicht mehr an strikte Auflagen gebunden würden. Es komme jetzt drauf an, wie die Beschlüsse umgesetzt würden. Unter anderem hatte der Gipfel beschlossen, dass nach der Errichtung einer gemeinsamen Banken-Aufsicht in Europa auch direkte Hilfen des ESM an Banken möglich sein sollen – ohne den Umweg über die jeweilige Regierung. (Reuters)