Die FDP sieht sich als Sieger gegen die Union bei der Durchsetzung von Joachim Gauck als Kandidat für das Bundespräsidentenamt. Die Union verspricht nicht nachzukarten – aber intern rumort es heftig.
Berlin. Der schwarz-gelbe Koalitionsfrieden ist wegen der harten FDP-Haltung bei der Nominierung von Joachim Gauck als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten belastet. „Sicherlich ist das Verhältnis jetzt etwas eingetrübt, aber morgen ist ein neuer Tag“, sagte Union-Innenexperte Wolfgang Bosbach (CDU) am Montag dem Sender N24. „Allerdings gilt für mich, man sieht sich im Leben immer zweimal.“ CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe war dagegen um Entspannung bemüht. „Die Würde des Amtes und auch das Ansehen von Joachim Gauck verbieten es jetzt, irgendwie nachzukarten im Hinblick auf mitunter nicht leichte Entscheidungsprozesse“, sagte er im ZDF-„Morgenmagazin“.
FDP-Generalsekretär Patrick Döring betonte, dass die FDP aus innerer Überzeugung heraus eine klare Positionierung für Gauck vorgenommen habe, den die Union zunächst als Kandidaten nicht wollte. „Es ist ein ganz normaler Prozess, dass (...) man auch als Partner sagen muss, welche der Persönlichkeiten der FDP am nächsten steht“, sagte er dem Sender hr-Info. „Da ist die FDP zu dem Ergebnis gekommen, dass das Joachim Gauck ist.“
Der frühere DDR-Bürgerrechtler Gauck (72) war am Sonntagabend nach einem Zerwürfnis von Union und FDP doch noch als parteiübergreifender Kandidat von Schwarz-Gelb, SPD und Grünen nominiert worden. Obwohl die Union eine Ablehnung signalisiert hatte, war die FDP mit einem Präsidiumsbeschluss für Gauck vorgeprescht. Damit bestand die Gefahr, dass FDP, Grüne und SPD in der Bundesversammlung den früheren Leiter der Stasi-Unterlagen-Behörde gegen die Stimmen der Union zum Nachfolger des am Freitag zurückgetretenen Christian Wulff wählen.
Die Liberalen – schwer angeschlagen und um Profil ringend - führten das Regierungsbündnis damit bis an den Rand des Bruchs. Um ein Koalitionsende zu vermeiden, korrigierte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) schließlich ihre Position und stellte Gauck als Konsenskandidaten vor. Der Präsident muss spätestens am 18. März gewählt werden, ein Termin steht aber noch nicht fest.
Unions-Fraktionsgeschäftsführer Peter Altmaier sagte in der ARD, Merkel habe mit ihrer Initiative für einen parteiübergreifenden Konsens dem Land „eine Zerreißprobe erspart mit wochenlangen Diskussionen“. Er sei „überzeugt, dass es in den Gremien der CDU eine breite Unterstützung für den Kurs von Angela Merkel geben wird“. Unionsfraktionsvize Michael Kretschmer sprach von einem „gewaltigen Vertrauensbruch“ der FDP. Der „Leipziger Volkszeitung“ sagte er: „Das Verhalten ist symptomatisch für den Zustand der FDP.“
SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles meinte mit Blick auf die Konsensfindung: „Das war überhaupt nicht friedlich. Die FDP ist erstaunlicherweise nicht umgefallen – dafür aber die Kanzlerin.“ Nahles wies in der ARD-Sendung „Günther Jauch“ darauf hin, dass sich Merkel erst nach langem Ringen für Gauck entschieden habe. „Das hatte einen einzigen Grund: Frau Merkel hätte eingestehen müssen, dass sie vor zwei Jahren einen Fehler gemacht hat.“ Damals hatten Union und FDP Wulff gegen den rot-grünen Kandidaten Gauck durchgesetzt.
Linken-Chef Klaus Ernst betonte hingegen, die Kanzlerin habe sich von der FDP vorführen lassen. „Merkel hat dem Erpressungsmanöver nachgegeben, aber die Vertrauensbasis dieser Koalition ist erledigt“, sagte er der „Passauer Neuen Presse“.
Außenminister Guido Westerwelle (FDP) nannte Gauck am Rande eines G20-Außenministertreffens in Mexiko die richtige Wahl. „Joachim Gauck wird als Bundespräsident gerade mit seiner Lebensgeschichte und seinem lebenslangen Einsatz für Freiheit zur Verantwortung auch international das Ansehen unseres Landes mehren.“
Merkel bezeichnete bei einem gemeinsamen Auftritt der Parteichefs am Sonntagabend den früheren DDR-Bürgerrechtler Gauck als „wahren Demokratielehrer“, der wichtige Impulse in Themen wie Globalisierung, Lösung der Schuldenkrise und mehr Demokratie geben könne. Der sichtlich bewegte Gauck kündigte an, er wolle den Deutschen vermitteln, dass sie „in einem guten Land leben, das sie lieben können“. Gauck war in Umfragen klarer Favorit der Bürger.
Taxifahrgast Joachim Gauck: Bei Anruf Präsident
Als der Anruf kommt, ist das Staatsoberhaupt in spe gerade erst aus mit der Abendmaschine aus Wien in Berlin gelandet. „Ich komme aus dem Flieger und war im Taxi, als die Frau Bundeskanzlerin mich erreicht hat“, erzählt Joachim Gauck. Da sitzt der frühere DDR-Bürgerrechtler schon als Kandidat einer ganz großen Präsidentenmacher-Koalition auf dem Podium in der Regierungszentrale. Der Vorlauf seiner Präsentation am Sonntagabend war ziemlich knapp.
Für 20.00 Uhr hat Kanzlerin Angela Merkel (CDU) die Spitzen von SPD und Grünen ins Kanzleramt geladen. Erst unmittelbar zuvor haben sich Union und FDP dort auf offenen Druck der Liberalen überhaupt auf Gauck verständigen können. Der Beginn des gemeinsamen Treffens mit Roten und Grünen wird noch auf 20.30 Uhr verschoben. Da ist SPD- Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier als erster der Oppositions- Riege schon eingetroffen, seine Limousine rauscht um 20.05 Uhr durch das Tor. Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir kommt im Taxi, als letzter trudelt um kurz nach halb neun SPD-Chef Sigmar Gabriel ein.
Merkel eröffnet die Runde. Dann geht sie nach Teilnehmerangaben hinaus, um zu telefonieren – mit Gauck im Taxi. Der lässt sich prompt ins Kanzleramt chauffieren, stößt zu den Partei- und Fraktionschefs, für die Bouletten und Kartoffelsalat aufgetischt sind. Der 72-Jährige - nach eigenem Bekunden „noch nicht mal gewaschen“ – kommt herein, setzt sich dazu. Er habe zu Tränen ergriffen gewirkt, schildert es später einer der Anwesenden. Und erkennen lassen, er könne erst einmal nicht essen.
Gegen 21.15 Uhr geht es dann auch schon herüber in den grell erleuchteten Saal, in dem Merkel und die Parteichefs den Kandidaten für die Nachfolge des abgetretenen Bundespräsidenten Christian Wulff präsentieren. In aller Eile haben die kurzfristig herbeigeeilten TV- Teams ihre Kabel ausgerollt und die Kameras auf Position gestellt.
Zuerst markieren Papierschilder jeden Podiumsplatz, die über die Tischkante gefaltet sind. „PV Gabriel“ wie „Parteivorsitzender Gabriel“ steht darauf, „PVe Roth“ für die Grünen-Parteivorsitzende oder „MP Seehofer“ für den bayerischen Ministerpräsidenten und CSU- Vorsitzenden, der als amtierender Bundesratspräsident ja auch kommissarisches Staatsoberhaupt ist.
Direkt neben der Kanzlerin ist noch ein Platz, für den es kein Papierschild gab: Es ist der von Gauck. (dpa)