Joachim Gauck soll Bundespräsident werden. Zu einer Frau fehlte der Mut
Gelegenheiten, die Geschichte zu korrigieren, gibt es selten. Im Fall Gauck ist es so weit: Die Deutschen bekommen den Bundespräsidenten, den sie schon vor zwei Jahren wollten, mit eben dieser Verzögerung.
Das ist eine erfreuliche Nachricht, und Joachim Gauck wird jetzt erst recht ein veritables Staatsoberhaupt werden. Seine Geschichte, die Geschichte vom knappen und hochanständigen Verlierer, der dann doch noch ins Schloss Bellevue kommt, ist beinahe zu gut, um wahr zu sein. Dieses politische Märchen mag allein schon reichen, um die Deutschen mit dem arg gebeutelten Amt zu versöhnen. Gauck wird das Weitere tun, den Einsatz für das Ansehen seines Vorgängers eingeschlossen.
Der erste Auftritt des designierten Bundespräsidenten gestern war schon eindrucksvoll und bewegend, weil Gauck keinen Hehl aus seiner Verwirrung ob der kurzfristigen Berufung machte und zugab, dass er erst einmal mehr verwirrt als beglückt sei. Und, um auch das klarzustellen: Er werde Fehler machen wie alle, das müssten die Frau Bundeskanzlerin und die anderen Spitzenpolitiker wissen.
Der ehemalige DDR-Bürgerrechtler war die einfachste und deshalb eine eher unwahrscheinliche Lösung. Denn mit der Entscheidung für Gauck gibt die schwarz-gelbe Koalition zu, bei der vergangenen Bundespräsidentenwahl einen Fehler gemacht zu haben. Seien wir ehrlich: Das hatte kaum jemand im Vorfeld der FDP und schon gar nicht der CDU um Bundeskanzlerin Angela Merkel zugetraut. Letztere hat sich mit der Wahl offenbar am schwersten getan, wohl deshalb, weil ihr diese als Schwäche ausgelegt werden kann und nun auch werden wird. Dabei hätte auch genau das genaue Gegenteil funktioniert, wenn Merkel in Sachen Gauck den ersten Schritt gemacht hätte. Hat sie aber nicht und wird nun in den kommenden Tagen eine Debatte über eine erneute Regierungskrise über sich ergehen lassen müssen. Schließlich wird die Wahl des Bundespräsidenten gern als Vorspiel der nächsten Bundestagswahl gesehen, und da dürfte der Opposition die kurzfristige Absetzbewegung der FDP von ihrem großen Partner zumindest nicht schlecht ins Konzept passen.
Die Wahrheit ist indessen, dass die erneute Kür des Staatsoberhauptes wenig bis keinen Einfluss auf die Bundestagswahl 2013 haben wird. Denn auch wenn Angela Merkel an diesem Wochenende wie eine Verliererin aussah - erst durch den Rücktritt Wulffs, dann durch die Entscheidung für Gauck -, hat die Krise an der Spitze der Republik eines gezeigt: Die letzte verbliebene starke Politikerin ist eben die Kanzlerin.
So paradox es aktuell klingen mag: Die Causa Wulff und ihre Begleiterscheinungen werden Angela Merkel mittel- bis langfristig eher nützen. Gerade weil die Kanzlerin sich wohltuend von jenen Politikern aus der eigenen Partei abhebt, die als ihre größten Widersacher galten: Wulff eben und natürlich der frühere Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg. Es bleibt am Ende zweier turbulenter Tage ein Satz des ehemaligen Hamburger Bürgermeisters Klaus von Dohnanyi: "Gauck wäre ein guter Kandidat", hatte der in einer Talkshow vor Bekanntwerden der Entscheidung gesagt, "noch besser wäre es, über eine Frau nachzudenken."
Dass dazu offenbar sowohl Mut als auch Zeit gefehlt haben, wirft ein interessantes Licht auf die großen deutschen Parteien. Wer Frauenquoten in der Wirtschaft und anderswo fordert, hätte bei der Vergabe eines so wichtigen Amtes wie dem des Bundespräsidenten wenigstens den Anschein erwecken können, sich ein wenig mehr um eine weibliche Lösung zu bemühen. Der stattdessen kolportierte Satz von einem Deutschland, für das "zwei Frauen an der Spitze" etwas viel wären, war hoffentlich ironisch gemeint. Denn mit zwei Männern ging es ja über Jahrzehnte auch ...