Während der Thüringer Verfassungsschutz weiter unter Druck gerät, schärft sich das Bild der Extremistenszene. Eine Übersicht mit 17 Namen.
Erfurt. Der Thüringer Verfassungsschutz muss sich täglich mit neuen Enthüllungen über die Fahndungspannen in der Neonaziszene auseinandersetzen. Nach der gescheiterten Geldzahlung an das mutmaßliche Zwickauer Terroristentrio forderten Politiker aller Parteien einschneidende Konsequenzen - von einem parlamentarischen Sonderermittler im Bundestag bis hin zur Auflösung des Landesamtes.
Schon einmal, zwischen 1999 und 2002, waren die Thüringer Ermittler wegen V-Männern, Fehlern und Affären im Zusammenhang mit der rechten Szene ins Gerede gekommen.
Eine zentrale Rolle spielte der Neonazi Tino Brandt, der auch diesmal wieder als möglicher Kontaktmann zum Zwickauer Trio genannt wurde. Niemand wusste, dass er unter dem Decknamen "Otto" als V-Mann für den Verfassungsschutz arbeitete. Später brüstete er sich, mehr als 100 000 Mark Honorar bekommen zu haben, mit denen er den "Heimatschutz" unterstützt und seine Karriere in der Szene befördert habe. Thüringens damaliger Verfassungsschutzpräsident Helmut Roewer forderte gegen Widerstand innerhalb des Amtes, ihn nicht mehr als Quelle zu nutzen. Es war eine seiner letzten Amtshandlungen.
Verfassungsschutz finanzierte falsche Pässe der Nazis
Neonazis vor Observation durch die Polizei gewarnt?
Mittlerweile hat sich das Bild der Thüringer Extremistenszene geschärft. Die Ermittler haben ein Umfeld der Unterstützer und Kontaktpersonen entschlüsselt, das weit in die NPD hineinreicht. Ein erstaunliches Kaleidoskop:
Holger Apfel, 40. Der Bundesvorsitzende der NPD, gebürtiger Niedersachse, lebt in Riesa. Er hat gemeinsam mit dem Mördertrio Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe am 17. August 1996 in Worms zum Gedenken an den Hitler-Stellvertreter Rudolf Hess demonstriert. Apfel behauptet, die Verbrechen seien von "staatlichen Agenten geplant, finanziert, provoziert" worden.
Tino Brandt, 36. Der ehemalige V-Mann und Thüringer NPD-Vize lebt in Rudolstadt. Er gründete den Thüringer Heimatschutz (THS), in dem sich die späteren Mitglieder des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) radikalisierten. Er sollte dem Mördertrio im Auftrag des Verfassungsschutzes 2000 Mark geben.
Max-Florian B., 33. Er lebt in Dresden und ist als Beschuldigter auf freiem Fuß, weil er umfassend ausgesagt hat. Er soll dem NSU-Trio seine frühere Wohnung in Chemnitz überlassen, Dokumente und Geburtsurkunde beschafft haben. B. behauptet, keine Kontakte zur Szene mehr zu haben.
Matthias D., 36. Der Lkw-Fahrer aus Johanngeorgenstadt sitzt seit dem dritten Advent in Untersuchungshaft. Er soll der Nazi-Gruppe falsche Identitäten besorgt und Wohnungen angemietet haben. Ihm wird vorgeworfen, die Verbrechen des Trios zumindest billigend in Kauf genommen zu haben. Er bestreitet, davon gewusst zu haben.
Andre E., 32. Der Mann aus Johanngeorgenstadt wurde am 24. November von der GSG 9 auf dem Gehöft seines Zwillingsbruders, eines Funktionärs der NPD-Jugend JN, festgenommen. Er soll den Film produziert haben, in dem sich die Terrorzelle mit ihren zehn Morden brüstet. Er gilt als Unterstützer zumindest in zwei Fällen.
Holger G., 37, aus Jena, der zuletzt in Lauenau bei Hannover lebte, wurde am 13. November als erster NSU-Helfer festgenommen. Er soll Dokumente zur Verfügung gestellt und Wohnmobile angemietet haben. Ein Fahrzeug wurde beim Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn eingesetzt. G., der zur Kameradschaft Jena, der Keimzelle des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), gehörte, soll bereits umfassend ausgesagt haben.
Thomas Gerlach, 32, lebt in Meuselwitz bei Altenburg und gilt als NSU-Helfer. Der in Verfassungsschutzberichten erwähnte Neonazi geriet häufig mit dem Gesetz in Konflikt und wurde unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Er baute in Sachsen die Plattform "Freie Netze" auf und unterhält Kontakte in die Schweiz.
Daniel "Gigi" Giese, 41. Der Frontmann der Band "Gigi und die braunen Stadtmusikanten" soll in Meppen leben. Der Titel "Döner Killer" verherrlicht die NSU-Mordserie.
André Kapke, 36, NPD-Kader aus Jena, soll 1998 in Berlin bei Rechtsextremisten um Hilfe für das abgetauchte Trio nachgesucht und sich nach Adressen im Ausland erkundigt haben. Er ist mehrfach vorbestraft, war Hauptakteur im Thüringer Heimatschutz und im Nationalen Widerstand Jena.
Claus Nordbruch, 50. Der Antisemit und Apartheidsbefürworter wanderte 1986 nach Südafrika aus. Er war am 14. September 1999 in Jena vor der rechten Szene als Referent aufgetreten und hält engen Kontakt zu deutschen Rechtsextremisten.
Carsten S., 40. Ex-V-Mann "Piato" soll dem Brandenburger Verfassungsschutz im September 1998 Hinweise gegeben haben. Obwohl er wegen versuchten Mordes zu acht Jahren verurteilt worden war, kam er ungewöhnlich schnell frei, wurde 2000 enttarnt.
Mandy S. Die Friseurin aus Johanngeorgenstadt soll das Terrortrio im Februar 1998 bei ihrem damaligen Freund Max-Florian B. einquartiert haben. Sie will der Szene abgeschworen haben.
Andreas T. Der ehemalige V-Mann-Führer des hessischen Verfassungsschutzes hielt sich am 6. April 2006 in dem Kasseler Internetcafé auf, in dem an diesem Tag der türkische Betreiber von NSU-Mitgliedern erschossen wurde. Untersucht wird, ob das Zufall war.
Jan Botho W., 36, kommt aus dem Umfeld der Chemnitzer Gruppe CC 88 und soll der rassistischen Weißen Bruderschaft Erzgebirge angehören. Zudem war W. früher Anführer von Blood & Honour Sachsen, einer in Deutschland verbotenen gewalttätigen Organisation. Schlüsselfrage ist, ob Blood & Honour und NSU verbunden waren.
Patrick Wieschke, 30. Der NPD-Bundesorganisationsleiter und Landesvize von Thüringen aus Eisenach steht im Verdacht, NSU-Mitglied Zschäpe noch im November 2011 Unterschlupf gewährt zu haben. Er will sie nur vom Sehen kennen. Der NPD-Kader mit krimineller Karriere war 2007 Praktikant bei der Schweriner NPD-Fraktion.
Ralf Wohlleben, 36, aus Jena gilt als enger Vertrauter der NSU-Zelle. Er ist dringend der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung sowie der Beihilfe zu sechs vollendeten Morden und einem versuchten Mord verdächtig. Er soll dem NSU eine Schusswaffe und Munition verschafft haben und ist Mitbegründer der Kameradschaft Jena. Zwischen 2002 und 2008 war er stellvertretender NPD-Landesvorsitzender.
Beate Zschäpe, 36. Das einzige noch lebende NSU-Mitglied aus Jena sitzt in Köln in Untersuchungshaft. Es bestehen der dringende Tatverdacht der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung sowie der Anfangsverdacht der Beteiligung an der Mordserie.
Abendblatt-Dossier zur Zwickauer Terrorzelle unter www.abendblatt.de/brauner-terror