Helmut Schmidts leidenschaftliches Plädoyer für ein solidarisches Europa begeistert den Parteitag
Berlin. Es war ein Auftritt, der in die Geschichte der SPD eingehen wird. Mit einem leidenschaftlichen Bekenntnis zu mehr Europa und scharfen Attacken auf den Krisenkurs der schwarz-gelben Bundesregierung hat Altkanzler Helmut Schmidt die Delegierten gestern beim SPD-Bundesparteitag in Berlin von den Stühlen gerissen. Minutenlang will der Applaus nicht enden. "Er kann es eben", sagte ein Delegierter in Anspielung auf die Formulierung mit der Schmidt unlängst Ex-Finanzminister Peer Steinbrück als SPD-Kanzlerkandidaten empfohlen hatte.
Bei seinem ersten Auftritt auf einem SPD-Kongress seit 13 Jahren hatte Schmidt eindringlich vor einer gefährlichen Isolation Deutschlands gewarnt. "In den allerletzten Jahren sind erhebliche Zweifel an der Stetigkeit der deutschen Politik aufgetaucht", sagte der 92 Jahre alte Altkanzler. Angela Merkel (CDU) warf er vor, als Lehrmeister in Europa aufzutreten. Belehrungen würden wegen der deutschen Geschichte bei den EU-Partnern aber großen Argwohn hervorrufen, warnte Schmidt in seiner einstündigen Rede. "Wenn wir Deutschen uns verführen ließen, eine Führungsrolle zu beanspruchen oder doch wenigstens den Primus inter Pares (Erster unter Gleichen) zu spielen, so würde eine zunehmende Mehrheit unserer Nachbarn sich zunehmend dagegen wehren." Das könne das Ende der europäischen Einigung bedeuten.
Politikern von Union und FDP warf Schmidt "schädliche deutschnationale Kraftmeierei" vor. Dazu gehörten Äußerungen, in Europa werde jetzt wieder Deutsch gesprochen, sagte er mit Blick auf Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU). Die Deutschen hätten jedoch eine historische Pflicht, in der jetzigen Situation den Griechen und anderen Ländern umfassende Solidarität zu zeigen. "Wir brauchen ein mitfühlendes Herz gegenüber unseren Nachbarn und Partnern - und das gilt ganz besonders für Griechenland", sagte Schmidt. Warnungen vor einem Zusammenbruch des Euro bezeichnete er als gefährlich. "Alles Gerede und Geschreibe über eine angebliche Krise des Euro ist leichtfertiges Geschwätz von Medien, von Journalisten und von Politikern."
Indirekt kritisierte Schmidt auch Merkel wegen ihres Widerstands gegen die Euro-Bonds. Eine "gemeinsame Verschuldung" der EU-Mitglieder sei unvermeidlich, um die Krise dauerhaft zu überwinden. Deutschland dürfe sich dem nicht aus "national-egoistischen Gründen" versagen. Überfällig seien Schritte gegen Bankmanager, die alles nur dem Profit unterwürfen, und gegen die ungeregelten Finanzmärkte.
SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier warnte vor einem Rückfall in Nationalismus. Selbst die USA würden sich von Europa ab- und der Pazifikregion zuwenden. "Europa ist ein Geschenk, von dem wir alle täglich zehren." Die Aufgabe sei, ein solidarisches gemeinsames Europa zu bauen. Heute wollen sich Parteichef Sigmar Gabriel und die übrige Führung den Delegierten zur Wahl stellen. Die Hamburger Bundestagsabgeordnete Aydan Özoguz soll Parteivize werden.