Die Politik ringt um Informationen, die Behörden sind reserviert. Die inhaftierte Beate Z. will heute “auspacken“. Bringt das den Durchbruch?
Berlin/Hamburg. Thomas Oppermann ist erkältet. Er kann deshalb nur ganz leise sprechen. Es ist ein besonderer Auftritt für den Mann, der die große Bühne nicht gerade scheut. Oppermann ist eigentlich Geschäftsführer der SPD-Fraktion und immer für deftige Worte gut, wenn es etwa darum geht, die Regierung zu kritisieren. Jetzt steht er jedoch als Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKG) vor den Kameras. Die erste Sitzung nach dem Bekanntwerden der rechtsextremen Terrorserie ist gerade zu Ende. Das PKG ist dazu da, Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz zu kontrollieren. Oppermann und seine Mitstreiter tagen in einem fensterlosen, abhörsicheren Raum irgendwo im Bundestagskomplex. Nicht mal ihren Lebenspartnern dürfen die Mitglieder sagen, was zwischen diesen Wänden besprochen wurde.
Oppermanns leise Stimme passt dazu. Auch er kann keine klaren Antworten liefern auf die Fragen, die die Republik seit Tagen bewegen: Warum konnte das rechtsextreme Trio aus Thüringen jahrelang morden? Was haben die Behörden gewusst? Welche Rolle haben die V-Leute gespielt? Die Gruppe aus der in Haft sitzenden Beate Z. und den beiden tot aufgefundenen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt soll weitere Helfer gehabt haben, so Oppermann. Nach Informationen des ARD-Magazins "Fakt" soll es sich um den Untermieter der Zwickauer Wohnungen handeln, in denen das Trio lebte.
NSU: Eine Spur führt zum Verfassungsschutz
Ex-Verfassungsschützer wehrt sich und beschuldigt Polizei
Von den Behörden in Thüringen und Hessen will Oppermann nun Akteneinsicht in die Ermittlungen über die Morde verlangen. "Wir wollen eigenständige Ermittlungen führen." Christian Ströbele, der für die Grünen im PKG sitzt, nennt es "nicht tragbar", dass die Landesdienste die Akteneinsicht verweigerten. "Das Parlament hat Einsicht beantragt, doch bisher keine Akten erhalten. Auch ist niemand erschienen, um zu berichten", sagte Ströbele dem Abendblatt. Auch für André Schulz, Vorsitzender des Bundes der Kriminalbeamten, passt das Puzzle trotz immer neuer Details nicht zusammen: "Ich gehe davon aus, dass der Thüringer Verfassungsschutz noch wesentlich mehr über die Zwickauer Zelle weiß, als er bislang zugibt", sagte er dem Abendblatt. "Ich glaube nicht, dass das Trio 13 Jahre lang unbeobachtet seine Kreise ziehen konnte und bei all seinen Taten - Bankrauben, Morden, Attentaten - keine einzige Spur hinterlassen haben soll. Sollte der Ver-fassungsschutz Informationen vorenthalten haben, mit denen die Polizei Verbrechen hätte verhindern können, wäre der Frust bei uns Ermittlern gewaltig. Das wäre ein Skandal", so Schulz.
Die rechtsextreme Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund soll für eine Mordserie an acht Türken und einem Griechen in den Jahren 2000 bis 2006, den Mord an einer Polizistin im April 2007 und für einen Sprengstoffanschlag im Juni 2004 in Köln verantwortlich sein. Eventuell gehen weitere Anschläge auf ihr Konto. Im Mittelpunkt steht dabei immer noch die Frage, ob ein verdeckter Ermittler bei sechs der neun Morde anwesend war, wie die "Bild"-Zeitung unter Berufung auf ein Bewegungsprofil der Polizei berichtet. Bei einem Mord in Kassel im April 2006 habe der Agent des hessischen Verfassungsschutzes sogar im Internetcafé des Opfers gesessen, schreibt die "FAZ". Laut Oppermann sei der Mann nach dem Stand der Ermittlungen offenbar am Tatort gewesen. Nach ei-genen Abgaben habe er das Café aber vor der Tat verlassen. "Dieser Mann hat eine offenkundig stark rechte Gesinnung. Er arbeitet im Augenblick bei der Bezirksregierung in Hessen."
Der ehemalige Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Konrad Freiberg, sagte dem Abendblatt: "Wir Ermittler sind immer davon ausgegangen, dass der Verfassungsschutz dank seiner V-Leute sehr gute Kontakte ins rechte Milieu hat und im Grundsatz alles weiß." Wenn sich jetzt herausstelle, "dass wir in Wahrheit gar keinen Einblick in die wirklich dramatischen Vorgänge hatten, muss man den Nutzen der V-Leute in diesem Bereich neu abwägen." Ströbele forderte, die Arbeit des Verfassungsschutzes im rechtsextremen Milieu grundsätzlich zu überprüfen. "Offensichtlich verlässt sich der Verfassungsschutz auf Informationen von Rassisten - und der Staat zahlt dafür auch noch Geld." Zudem müsse geklärt werden, wer bei der Behörde verantwortlich für die Arbeit mit den V-Leuten sei. "Auch da scheint es Leute zu geben, die dem rechtsradikalen Milieu nahestehen."
Neue Informationen könnte es schon heute geben. Wie die "Stuttgarter Nachrichten" berichten, will die inhaftierte Beate Z. heute ihr bislang beharrliches Schweigen brechen. Ein Beamter sagte dem Blatt: "Sie will auspacken und berät sich deshalb mit ihrem Anwalt."
Online-Dossier mit Videos und Hintergründen zur rechtsterroristischen Mordserie unter www.abendblatt.de/brauner-terror