Das von Ministerin Aigner initiierte Internetportal lebensmittelklarheit.de hat sich nach 100 Tagen erfolgreich etabliert. Industrie äußert Kritik.
Berlin. Verbraucherschützer haben strengere Vorschriften für die Kennzeichnung von Inhaltsstoffen bei Lebensmitteln gefordert. Es gebe zahlreiche Regelungslücken. Die Politik müsse ihren Beitrag leisten, "um Irreführung und Täuschung bei Lebensmitteln zu beenden“, sagte der Vorstand des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen, Gerd Billen, am Donnerstag in Berlin bei der Vorstellung der 100-Tage-Bilanz des Verbraucherportals lebensmittelklarheit.de .
In den zurückliegenden gut drei Monaten seien mehr als 3.800 Meldungen von Verbrauchern über Lebensmittel eingegangen. Täglich kämen derzeit rund 20 Produktmeldungen und Anfragen hinzu. Am häufigsten meldeten Verbraucher Produkte, deren Bewerbung und Aufmachung etwas vorgaukele, was der Inhalt nicht hält, sagte Billen. Dabei ging es vor allem um die Inhaltsstoffe von Lebensmitteln und deren regionale Herkunftsbezeichnung. Die Verbraucherzentralen prüfen die Vorwürfe. Das Ergebnis lässt sich auf der Internetseite lebensmittelklarheit.de nachlesen. Als Beispiel nannte Billen unter anderem Fruchtabbildungen auf Verpackungen ohne Frucht in der Zutatenliste.
Kritik an dem Verbraucherportal kommt aus der Lebensmittelindustrie. Sie fordert mehr Sachlichkeit und Objektivität. Der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde spricht sich als Spitzenverband der deutschen Lebensmittelwirtschaft deshalb für eine "konsequente Ausrichtung“ am Lebensmittelrecht und "nicht an den politischen Zielen der Verbraucherzentralen“ aus.
So präsentiert das Portal unter der Rubrik "Erlaubt“ Produkte, bei denen sich die Anbieter zwar an die rechtlichen Vorgaben halten, der Verbraucher sich aber dennoch getäuscht fühlt. Als Beispiel dafür führten die Verbraucherschützer die Kalbswiener auf, die laut Vorschrift nur 15 Prozent Kalbsfleisch enthalten muss. In einer nicht repräsentativen Umfrage hätten mehr als die Hälfte der 30.000 Teilnehmer die Erwartung geäußert, dass die Kalbswiener aus hundert Prozent Kalbsfleisch bestehen sollte.
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Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU), aus deren Haus das Internetportal bis Ende 2012 mitfinanziert wird, sicherte bei der Präsentation der 100-Tage-Bilanz eine Überprüfung der Leitsätze im Deutschen Lebensmittelbuch und der Arbeitsweise der entsprechenden Kommission zu. In den Leitsätzen werden Herstellung, Beschaffenheit und andere Merkmale von Lebensmitteln beschrieben.
Die Verbraucherorganisation foodwatch forderte die Ministerin auf, endlich zu handeln. Das Interesse am Portal habe gezeigt, wie groß der Ärger der Verbraucher sei und mit welchen Tricks die Industrie versuche, "ihren Kunden ein X für ein U vorzumachen“, sagte foodwatch-Sprecher Martin Rücker.
Bisher sind den Angaben zufolge mehr als 900 Produktmeldungen bearbeitet worden. Insgesamt 72 Produkte, von Apfelsaft bis Zwieback, wurden bisher auf der Plattform eingestellt. Während Verbände das Portal eher kritisieren, würden die meisten Hersteller die Hinweise der Verbraucher ernst nehmen, hieß es. 27 Hersteller hätten ihre Produkte bereits "angepasst“. Dabei ging es nicht nur um die Schriftgröße auf Verpackungen, sondern auch um die Rezeptur. So enthalte ein Curry-Orangen-Ketchup künftig auch wirklich Orangenschalen oder eine Bananenschokolade tatsächlich Banane.
Aigner und Billen zogen eine positive Bilanz. "Die überwältigende Resonanz zeigt, dass es richtig und wichtig war, dieses Portal zu fördern“, sagte Aigner. Die Befürchtungen der Kritiker hätten sich als unbegründet erwiesen. Billen unterstrich, dass mit dem neuen Angebot "der Nerv der Verbraucherschaft getroffen“ worden sei. Jetzt seien die Hersteller am Zug. Sie müssten ihre Produkte so gestalten, dass Verbraucher sich nicht getäuscht fühlen.
(epd)