SPD und CDU nähern sich wieder an - im Bund und auf Landesebene. Die Sozialdemokraten in Mecklenburg-Vorpommern stehen daher unter Druck.
Berlin/Hamburg. Man hat Stillschweigen in der SPD vereinbart. Bis sich heute in Rostock um 18 Uhr die Türen für die gemeinsame Sitzung von Landesvorstand, Parteirat und Landtagsfraktion schließen, soll nichts nach außen dringen - keine Vorfestlegung, keine Sympathiebekundungen, keine Details über die bisherigen Gespräche. Erst nach interner Diskussion will die Partei von Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) entscheiden , ob sie16 Tage nach dem Sieg bei der Landtagswahl mit der Linken Koalitionsgespräche führen will oder auf den Fortbestand der Großen Koalition mit CDU-Landeschef Lorenz Caffier setzt. Die Sozialdemokraten haben mit beiden Parteien bereits Sondierungsgespräche geführt, über deren Inhalt aber nichts bekannt wurde. Noch vor dem Rostocker Treffen will die SPD noch einmal mit den möglichen Partnern sprechen.
In der Berliner Bundesführung hofft man auf eine Entscheidung zugunsten der CDU, die der Bundespartei handzahmer erscheint als die weniger berechenbare Linkspartei. Auch mit Blick auf die Bundestagwahl 2013 hat Parteichef Sigmar Gabriel ein Interesse daran, dass Sellering sich gegen ein rot-rotes Signal ausspricht. Ein Pakt mit der Linken könnte der SPD sonst als weiterer Beleg für einen Linksruck und als Unbeständigkeit ausgelegt werden.
Und was könnte da seriöser sein als eine Große Koalition? Nach der Wahl in Berlin will morgen auch der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit mit CDU-Fraktionschef Frank Henkel sondieren. Mit der CDU hätte Wowereit eine weitaus stabilere Mehrheit als mit den Grünen . Inzwischen gilt: Die Zeiten, in denen Sozialdemokraten schwarz-rote Bündnisse nach der Pleite bei der Bundestagwahl 2009 verfluchten, sind passé. SPD und CDU zeigen sich wieder empfänglich für Große Koalitionen. Immer öfter sprechen Unionsvertreter und Sozialdemokraten über die gemeinsamen Jahre. Und das in einer Freundlichkeit, die der FDP zu denken geben muss. Unions-Fraktionschef Volker Kauder war es, der zuletzt auf die "Verdienste" von Schwarz-Rot hinwies. Auf "bemerkenswerte Weise" sei Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihrem roten Finanzminister Peer Steinbrück damals gelungen, die Finanzkrise zu bewältigen, schwärmte Kauder. "Das wird jetzt auch von der christlich-liberalen Koalition erwartet." Doch zur Halbzeit der schwarz-gelben Koalition hat der Entfremdungsprozess beider Partner einen Zustand erreicht, der führende SPD-Köpfe auf ein vorzeitiges Ende der Koalition spekulieren lässt.
Noch gilt das Angebot Gabriels an Merkel, die Union vorübergehend in einer Minderheitsregierung zu unterstützen. Den Wechsel von Schwarz-Gelb zu einer Großen Koalition ohne Neuwahlen lehnt die SPD allerdings ab. Schließlich will sie ihren grünen Wunschpartner nicht verprellen. Aber Gabriels Vorschlag käme einem schwarz-roten Bündnis schon verdächtig nah.
Dort, wo es Große Koalitionen momentan gibt, ist die Zufriedenheit groß bei den Partnern. In Thüringen regiert Christine Lieberknecht seit 2009 geräuschlos mit der SPD. Sellering in Schwerin und Wowereit in der Hauptstadt sollten ihrer Meinung nach der CDU eine Chance geben. Sie werbe aus den Erfahrungen in Thüringen für eine Große Koalition in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin, sagte Lieberknecht dem Abendblatt. "Ein Bündnis aus CDU und SPD stellt eine Landesregierung auf eine breite Basis und ist Garant für Stabilität in einem Bundesland." Es dürfe dabei natürlich nicht um eine Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners gehen. "Beide großen Parteien müssen sich in einem Bündnis loyal verhalten, dürfen aber ihre politische Heimat nicht außer Acht lassen", so ihre Erfolgsformel für Große Koalitionen.
In Sachsen-Anhalt fühlen sich Schwarz und Rot schon seit 2006 pudelwohl als Partner. So sehr, dass Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) noch am Abend des Wahlsonntags Wowereit empfahl, die CDU zum Partner zu nehmen. Berlin brauche eine Regierung mit einer großen, stabilen Mitte. Wenige Tage zuvor hatte Haseloff die Große Koalition für den Bund ins Spiel gebracht - und für eine solche mit dem SPD-Mann Peer Steinbrück als Vizekanzler geworben. Große Krisen seien die Zeit für Große Koalitionen, sagte er. Diese alte Weisheit habe sich bewährt.
+++ Leitartikel: Jahressieger SPD +++
"In der SPD gibt es immer noch eine staatsmännische Haltung, die in schweren Krisen wie jetzt der Euro-Krise die Verantwortung zum Handeln über die politischen Lager hinaus erkennt", ist auch der Politologe Carsten Koschmieder vom Otto-Suhr-Institut der Universität Berlin überzeugt.
Das scheint auch die Kanzlerin nicht vergessen zu haben. Als sie gestern den Abschlussbericht des Normenkontrollrats vorstellte, der seit fünf Jahren den Abbau von Bürokratie vorantreibt, lobte sie explizit die SPD, die seinerzeit das Gremium mit eingerichtet hatte. Dann aber bemühte sich Merkel um eine Klarstellung: "Ich muss jetzt gleich hinterher sagen, dass ich trotzdem die christlich-liberale Koalition gerne führe, weil sonst sofort berichtet wird, ich hätte schon wieder mit schwärmerischen Augen aus den alten Zeiten berichtet. Nein!"