Neueste Umfrage sieht die Partei am Sonntag bei 9 Prozent. Die Grünen verlieren demnach Wähler an die Piraten. Wowereit klar in Führung.
Berlin. Am Sonntag wird in der Hauptstadt gewählt. Wenige Tage bevor das neue Berliner Abgeordnetenhaus bestimmt wird, legt vor allem die Piratenpartei weiter zu. Sie kommt bei einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts "Info GmbH" im Auftrag von „Berliner Kurier“ und "Berliner Rundfunk" 91.4 auf 9 Prozent, im Osten sogar wie die Grünen auf 12 Prozent.
Unangefochten an der Spitze liegt weiter die SPD mit 31 Prozent (-5 Prozent), gefolgt von der CDU mit 22 Prozent (-1). Die Gewinne der Piraten gehen nach Einschätzung des Instituts offenbar zulasten der Grünen, die nur noch auf 18 Prozent (-4) kommen.
Die Linke verbessert sich auf 12 Prozent (+4), die FDP verharrt bei 2 Prozent und verpasst damit den Wiedereinzug ins Parlament. Befragt wurden von Freitag bis Sonntag vergangener Woche mehr als 1.500 Personen.
Trotz der Umfrage-Gewinne der Linken gibt es für eine Fortsetzung der seit Anfang 2002 bestehenden rot-roten Koalition derzeit keine Mehrheit. Auch Schwarz-Grün wäre nicht möglich. Rechnerisch gingen Rot-Grün und Rot-Schwarz, wobei ein Bündnis von SPD und Grünen als eher wahrscheinlich gilt.
Bei den persönlichen Beliebtheitswerten liegt SPD-Spitzenkandidat Klaus Wowereit weiterhin klar in Führung. Grünen-Herausforderin Renate Künast muss der Umfrage zufolge jedoch den lange von ihr gehaltenen zweiten Platz in diesem Ranking an CDU-Spitzenkandidat Frank Henkel abtreten. (dapd)
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Hintergrund: Die Piratenpartei
Als die Piratenpartei zu den Berliner Abgeordnetenhaus- und Bezirkswahlen antrat, wurde sie vor allem eines: belächelt. Der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Volker Ratzmann, habe den Wählern erzählt, sie würden mit dem Kreuz neben den Piraten ihre Stimme verschwenden, erinnert sich der Piraten-Direktkandidat für den Wahlkreis Pankow 8, Christopher Lauer. Doch kurz vor der Wahl am 18. September sehen Umfragen die Piraten bei 5,5 bis 6,5 Prozent, womit sie zum ersten Mal in ein deutsches Parlament einziehen würden.
Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Info GmbH im Auftrag von "Berliner Kurier“ (Freitagausgabe) und "Berliner Rundfunk 91.4" vom Donnerstag sieht die Piratenpartei sogar bei neun Prozent.
Die Piratenpartei gibt es erst seit fünf Jahren. Der Bundesverband wurde im September 2006 in der Hauptstadt gegründet, der Berliner Landesverband wenige Monate später. Einige Jahre dümpelte die Mitgliederzahl vor sich hin. Dann gab es laut einer parteiinternen Statistik 2009 vor den Europaparlaments- und Bundestagswahlen plötzlich einen sprunghaften Anstieg. Innerhalb weniger Monate verzehnfachte sich die Mitgliederzahl auf bundesweit rund 12.000.
Für den Politikwissenschaftler Christoph Bieber ist dieser Anstieg leicht erklärbar: „Damals kam die Debatte über eine Zensur des Internets auf“, sagt der Professor an der Universität Duisburg. In Berlin seien die Piraten so erfolgreich, weil die Internet-Community dort besonders stark sei, was veranstaltete Konferenzen wie die „re:publica“ zeigten. „In Berlin haben die Piraten Heimvorteil“, sagt Bieber. Andere Landesverbände seien deutlich schwächer.
Als erste Partei fordern die Piraten von ihren Mitgliedern einen Internetzugang. Über die virtuelle Parteiplattform „LiquidFeedback“, die der 1.000 Mitglieder starke Berliner Landesverband in der Satzung verankert hat, soll Demokratie „fließend“ umgesetzt werden, wie ein Sprecher sagt. Die Parteimitglieder könnten dort von zu Hause aus Themen einbringen und abstimmen oder die Entscheidung einem Vertreter überlassen. So würden Programmanträge gestellt und politische Entscheidungen getroffen.
Wie breit die gesellschaftliche Basis der Piratenpartei ist, darüber streiten sich die Experten. Im Gegensatz zu den Grünen der 80er Jahre mit ihrem Schwerpunkt auf Ökologie dürften die Piraten mit ihrem Kernthema „Freiheit im Netz“ eigentlich keine breitere gesellschaftliche Basis erreichen, meint Nils Diederich, Professor im Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften der Freien Universität (FU) Berlin. Ihm widerspricht Bieber: „Die Gruppe der Onliner ist gar nicht so klein“.
„Wir wissen erst sehr wenig über die Piraten und ihre Wähler“, sagt Bieber. Dass sich die Hochburgen der Partei vor allem in studentischen Gebieten in den Stadtteilen Friedrichshain und Kreuzberg befänden, deute jedoch auf eine junge Klientel. Auch die Berliner Grünen hätten einen Anteil am Erfolg der Piraten, „weil sie hier sehr bürgerlich auftreten“ und den Studenten nicht hip genug seien. Zudem profitiere die Piratenpartei von einer latenten Anti-Parteien-Stimmung in der Hauptstadt.
Der Berliner Piraten-Spitzenkandidat Andreas Baum sieht seine Partei jedenfalls „auf den Einzug ins Abgeordnetenhaus vorbereitet“ und erhebt „den Anspruch, mitzugestalten“. Nicht nur beim Thema Netz, sondern auch bei Bürgerrechten, Bildung und Stadtentwicklung/Verkehr. Erhielte seine Partei bei der Wahl fünf Prozent, würden laut Landeswahlleiterin sieben bis acht Piraten ins Abgeordnetenhaus einziehen. Die Landesliste der Piraten umfasst 15 Kandidaten, darunter eine Frau.
Kürzlich kamen jedoch Zweifel an der Professionalität des 32-jährigen Spitzenkandidaten auf, als Baum in einer TV-Runde im Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) die Schulden Berlins auf „viele, viele Millionen“ schätzte, obwohl das Land mit über 63 Milliarden Euro in der Kreide steht.
„Der Kandidat mag in dem Moment unprofessionell gewesen sein, aber die Partei ist es nicht“, meint Bieber. Schließlich habe die Organisation mit vergleichsweise geringen finanziellen Mitteln einen sehr erfolgreichen Wahlkampf geführt, „und zwar on- und offline“. Allein schon die guten Umfragewerte „und ein eigener Balken auf den Wahlbarometern“ seien für die Piratenpartei „stabilisierend und identitätsbildend“, egal ob sie ins Abgeordnetenhaus einzieht oder nicht. (dapd)