Sigmar Gabriel: Die SPD wird die wirtschaftliche und politische Zukunft Europas nicht durch innenpolitischen Streit gefährden.

Berlin. Die SPD hat der Bundesregierung Unterstützung auch für unpopuläre Entscheidungen zur Bewältigung der europäischen Schuldenkrise angeboten. Die wirtschaftliche und politische Zukunft Europas dürfe nicht durch innenpolitischen Streit gefährdet werden, sagte Gabriel am Montag in Berlin auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier und Ex-Finanzminister Peer Steinbrück. Die Schuldenkrise einzelner Mitgliedstaaten habe sich längst ausgeweitet zu einer veritablen Krise des Euro und der europäischen Einigung, sagte Gabriel. Es handle sich um eine politische und wirtschaftliche Vertrauenskrise, der entgegengetreten werden müsse. Der Regierung unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) warf er mangelnde Entschlossenheit vor. Europaweit seien nun Entscheidungen notwendig, die bei vielen Menschen zu Zorn und Verärgerung führten, weil sie finanzielle Beiträge für andere Staaten leisten müssten. Die SPD biete dafür ausdrücklich ihre Zusammenarbeit an. Die Sozialdemokraten seien bereit, „auch diese schwierigen Entscheidungen in der Öffentlichkeit zu vertreten“.

Gemeinsam mit dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Frank-Walter Steinmeier habe er einen Brief an die Kanzlerin übermittelt, in dem die SPD ihre Unterstützung angeboten habe. Das Projekt der europäischen Einheit insgesamt werde in der Öffentlichkeit infrage gestellt, warnte Steinmeier. Die SPD wolle an einer Lösung mitarbeiten, die über den Tag hinausgehe.

Ex-Finanzminister Steinbrück bekräftigte, dass aus Sicht der SPD ein teilweiser Schuldenerlass für Griechenland in Höhe von 40 bis 50 Prozent der Verbindlichkeiten unerlässlich sei. Das „Risikoszenario eines weiteren Durchwurstelns“ berge demgegenüber viel größere Gefahren. Im Zweifelsfall müsse man auch zu einem „Zwangsmechanismus übergehen“, um eine Beteiligung privater Gläubiger zu erreichen. Das negative Urteil der Ratingagenturen müsse man schlichtweg ignorieren.

Merkel kontra Wirtschaft

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat kein Interesse an einer Umschuldung für Griechenland. „Ich arbeite nicht darauf hin“, sagte sie am Sonntag im Sommerinterview der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“. Eine Umschuldung „hat natürlich auch den negativen Effekt, dass die Länder sich vielleicht nicht mehr so anstrengen“, sagte Merkel. Zuvor hatten Wirtschaftsexperten einen Schuldenschnitt als unumgänglich bezeichnet. Aus Sicht von Bundesbank-Präsident Jens Weidmann würde dies Griechenland aber nicht helfen. Derweil nehmen deutsche Politiker die Debatte um eine mögliche Umschuldung Griechenlands zum Anlass für gegenseitige Schuldzuweisungen.

Merkel sagte im Interview, um die finanzielle Schieflage Griechenlands zu bekämpfen, seien zwei Dinge zentral: Das Land müsse „seine Hausaufgaben machen“ und private Gläubiger müssten in das weitere Vorgehen mit einbezogen werden. Sie bekräftigte ihren Entschluss, nur dann am Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstag in Brüssel teilzunehmen, wenn dabei ein zweites Hilfspaket für Griechenland beschlossen werden kann. „Hinfahren tue ich nur, wenn es ein Ergebnis gibt“, sagte sie.

Grünen-Bundestagsfraktionschef Jürgen Trittin forderte am Montag gemeinsame Euro-Anleihen und attackierte Bundesbankpräsident Jens Weidmann, der dies ablehnt. „Die höheren Zinsen für Eurobonds muss man mit den Kosten für die Rettungsschirme gegenrechnen“, sagte Trittin der „Financial Times Deutschland“. Zudem bezweifelte Trittin, dass die Staats- und Regierungschefs bei ihrem Sondergipfel am Donnerstag den notwendigen großen Schritt machen und eine Umschuldung Griechenlands und die Einführung von Eurobonds beschließen. Bundeskanzlerin Merkel handle regelmäßig mit einem halben Jahr bis zwei Jahren Verspätung. „Europäische Führung sieht anders aus“, sagte Trittin.

SPD-Haushaltsexperte Carsten Schneider warf Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor, eine Schwächung der Europäischen Zentralbank (EZB) zugelassen zu haben. Schneider sagte der Onlineausgabe des Düsseldorfer „Handelsblatts“: „Die Bundeskanzlerin hat eine umfassende Lösung aus populistischen Gründen blockiert. Heute steht sie vor dem Scherbenhaufen ihrer Politik, denn es droht nun eine systemische Krise des gesamten Euroraums.“ Merkel habe durch ihre Politik Deutschland in Europa isoliert. „Schon vor einem Jahr hatte Deutschlands Stimme in Europa kein Gewicht mehr“, sagte Schneider. Merkel habe es zugelassen, dass der französische Präsident Nicolas Sarkozy und Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi die EZB in die „größte Bad Bank Europas“ umgewandelt hätten. „Heute steht EZB der Politik nicht mehr als objektiver Ratgeber zur Verfügung, sondern vertritt nur noch die Interessen, die sich aus ihrer bilanziellen Belastung ergeben“, sagte Schneider.

Unions-Bundestagsfraktionsvize Michael Fuchs (CDU) nahm Merkel in Schutz und forderte eine Umschuldung Griechenlands. „Europa darf kein Selbstbedienungsladen der Banken und Versicherungen werden“, sagte der Chef des Parlamentskreises Mittelstand in der Unions-Fraktion der Düsseldorfer „Rheinischen Post“. Fuchs lehnte den vom Vorsitzenden des Sachverständigenrats der Bundesregierung, Wolfgang Franz, präsentierten Vorschlag zur Umschuldung Griechenlands ab, nach dem die Gläubiger Athens griechische Anleihen gegen Anleihen des Euro-Rettungsfonds EFSF tauschen sollen. Die EFSF-Anleihen werden von den EU-Staaten gemeinschaftlich garantiert.

„Wir sind gegen alles, was einen Einstieg in die Transferunion bedeuten würde“, sagte Fuchs. Ein Schuldenschnitt für Griechenland sei die einzige Lösung in der Euro-Krise. „Die Umschuldung muss kommen“, sagte Fuchs der „Passauer Neuen Presse“. Er favorisiere die Möglichkeit, die Hälfte der Schulden zu streichen. „Ich bin fest überzeugt, dass es für den Euro besser wäre“, betonte Fuchs.

Wirtschaft fordert Schudenschnitt

Mehrere Wirtschaftsexperten forderten dagegen mit Blick auf den Sondergipfel einen Schuldenschnitt für Griechenland. Commerzbank-Chef Martin Blessing schlug in der vergangenen Woche vor, dass Gläubiger ihre griechischen Staatspapiere in 30 Jahre laufende Papiere mit einem Zinssatz von 3,5 Prozent umtauschen sollten, dabei aber einen Abschlag von 30 Prozent hinnehmen müssten.

Der Wirtschaftsweise Wolfgang Franz bezeichnete einen Schuldenschnitt als „unausweichlich und zudem für gerechtfertigt“. Allerdings müsse die Umschuldung so gestaltet werden, „dass daraus für die Euro-Zone kein Desaster erwächst“, sagte der Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung dem Nachrichtenmagazin „Focus“.„Eine Möglichkeit bestünde darin, dass der derzeitige Euro-Rettungsschirm EFSF griechische Staatspapiere mit einem gehörigen Abschlag in von ihm ausgegebene und garantierte Anleihen umtauscht“, erklärte Franz.

Die deutsche Industrie sieht neben einem Schuldenerlass auch wirtschaftliche Wiederaufbauhilfen für Griechenland als notwendig an. In einem Brief von BDI-Präsident Hans-Peter Keitel an Führungskräfte der deutschen Industrie heißt es nach Informationen der „Bild am Sonntag“ :„Erstens muss die Gesamtschuldenlast des Landes auf ein tragfähiges Niveau gesenkt werden. Zweitens braucht Griechenland einen Business-Plan im Sinne eines Schumanplans.“ Mit dem Schumanplan wurde der deutschen Montanindustrie nach dem Zweiten Weltkrieg wieder auf die Beine geholfen.

Das Institut der Deutschen Wirtschaftsprüfer (IDW) rät Banken schon jetzt zu einer raschen Abschreibung von Griechenland-Anleihen. Angesichts der Diskussion über einen möglichen Schuldenschnitt habe das IDW den deutschen Kreditinstituten empfohlen, Abschreibungen auf diese Papiere bereits in den Abschlüssen für das erste Halbjahr 2011 vorzunehmen, berichtete das Magazin „Euro am Sonntag“. Bezogen auf das nominelle Griechenland-Engagement aller deutschen Banken von rund 17 Milliarden Euro läge das Abschreibungsvolumen bei dem derzeit diskutierten Schuldenschnitt von 30 Prozent bei etwa fünf Milliarden Euro, rechnete das Institut vor.

Bundesbank-Präsident Weidmann gab jedoch zu bedenken, dass ein Schuldenerlass die Probleme Griechenlands nicht lösen würde: „Griechenland konsumiert deutlich mehr als es erwirtschaftet, der Staatshaushalt weist hohe Defizite auf. So lange sich daran nichts ändert, schafft selbst ein Schuldenschnitt keine wirkliche Besserung“, sagte Weidmann der „Bild am Sonntag“.

Die zuletzt von Experten ins Spiel gebrachten Eurobonds bringen aus Sicht von Weidmann keine Besserung, im Gegenteil. „Nichts würde die Anreize für eine solide Haushaltspolitik rascher und dauerhafter zerstören als eine gemeinsame Haftung für die Staatsschulden“, erklärte der Bundesbank-Chef. Bei einem solchen Schritt müssten die europäischen und vor allem die deutschen Steuerzahler für die gesamten griechischen Staatsschulden einstehen.

Mit Material von dpa/dapd